Volksgruppenpolitik der Paneuropa-Union

Antikolonial zum Ural

Mit der EU-Ost-Erweiterung und völkischer Minderheiten-Politik will die Paneuropa-Union Russland beikommen.

Ist der Kaiserenkel Karl Habsburg ein antikolonialer Befreiungskämpfer? Wohl kaum, doch für die Volksgruppen-Fighter in Tschetschenien hegt der Chef der österreichischen Paneuropabewegung allemal Sympathien: »Russland muss sich dekolonialisieren«, zog der k.u.k.-Sprössling im Frühjahr in der Welt erstaunliche Konsequenzen aus dem Tschetschenien-Krieg. Denn der könne »nicht als Einzelfall gesehen werden«, vielmehr sei er »das blutigste Symptom einer Krankheit der Politik eines ganzen Landes«. Die »Krankheit« bestehe darin, dass Russland zahlreichen Völkern innerhalb seines Territoriums das Selbstbestimmungsrecht verweigere. Sein Vater Otto von Habsburg, Vorsitzender der internationalen Paneuropa-Union, schlägt in dieselbe Kerbe: Russland sei das »letzte Kolonialreich«, der Kampf der Tschetschenen somit antikolonial und legitim, zitierte ihn die FAZ erst kürzlich.

Die internationale Paneuropa-Union (PEU) wurde 1923 von Richard Coudenhove-Kalergi als europäische Einigungsbewegung gegründet, die auf ein kapitalistisches Großeuropa unter der wirtschaftlichen Führung Deutschlands abzielte. 1973 übernahm ein Kreis von Vertriebenenfunktionären und konservativen Politikern um Otto von Habsburg die PEU Deutschland: Mit der »Europäisierung der deutschen Frage« sollte die Teilung Deutschlands im Rahmen der europäischen Einigung überwunden werden. Antikommunismus, katholische Soziallehre, völkischer Nationalismus und eine Zusammenarbeit mit den Unionsparteien, der Kirche und den Vertriebenenverbänden bestimmen die Arbeit der PEU bis heute. Dazu kommt ein unklares Verhältnis zu eindeutig rechtsextremen Gruppen und Einzelpersonen (Jungle World, 45/99).

Die Forderung der PEU, Russland müsse für soziale Gebilde, die sich selbst als »Völker« bezeichnen, ein möglichst weit reichendes Selbstbestimmungsrecht umsetzen, liegt im Interesse der deutschen Vertriebenenverbände. Sie hoffen auch, von der zur Zeit diskutierten europäischen Grundrechte-Charta zu profitieren. Wenn es nach den PEU-Abgeordneten im Europaparlament geht, soll die Charta umfassende »Volksgruppenrechte« garantieren - die Forderung nach einem engeren Anschluss der »deutschen Minderheiten« in Osteuropa an die BRD dürfte dadurch gestärkt werden.

Ein unabhängiges Tschetschenien wäre nicht nur als Werbeträger für »Volksgruppenrechte« nützlich, es brächte vor allem eine Schwächung der russischen Position in der strategisch wichtigen Kaukasusregion mit sich. In jedem Fall dürfte es sich Russland nicht bedingungslos unterordnen. Gelänge es darüber hinaus, Tschetschenien - wie jetzt schon Georgien und Aserbaidschan - zur Orientierung an der Nato zu bewegen, gewänne der Westen im Süden des russischen Kernlandes eine bedrohliche Stärke.

Dies ist ganz im Sinne der PEU: Die »russische Gefahr« zu bändigen und »Europa vor der russischen Flut« zu schützen, waren schon die Ziele von PEU-Gründer Coudenhove-Kalergi, der in dem noch jungen und attraktiven Sowjetkommunismus, aber auch in dem euro-asiatischen Riesenstaat überhaupt eine Bedrohung ausgemacht hatte. Der russische Expansionsdrang war für ihn eine geopolitische Konstante: Ob er »nun rot ist oder weiß«, »einem organisierten und industrialisierten Russland« sei »kein europäischer Staat militärisch gewachsen. So übt Russland durch sein bloßes Dasein einen ständigen Druck auf die Staaten Europas aus«, schrieb er 1923.

»Vor dieser Gefahr«, so führte Coudenhove-Kalergi aus, »gibt es nur eine Rettung: den europäischen Zusammenschluss.« Heute hat dieser Zusammenschluss aus Sicht der PEU zwar gewaltige Fortschritte gemacht, doch die alte Frontstellung gegen Russland ist geblieben. Auf die Frage, ob sich die EU-Osterweiterung gegen Russland richte, wurde PEU-Chef Otto von Habsburg 1998 in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk deutlich: »Natürlich. Russland ist auch heute eine Gefahr für uns.«

Mit der EU-Osterweiterung rückt Europa weiter gegen Russland vor. Die PEU hat dies seit den achtziger Jahren mit vorbereitet: Sie unterstützte die antikommunistische Opposition in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas und war an der Zerschlagung des Territoriums der Sowjetunion zumindest im Baltikum und in der Ukraine beteiligt. Als der Realsozialismus sich von der Macht verabschiedet hatte, beteiligte sie sich an den Bemühungen, die postkommunistischen Staaten aus den Strukturen des ehemaligen RGW herauszubrechen und sie an die EU heranzuführen. Die Ost-Erweiterung der EU soll dieses Unterfangen unumkehrbar machen und die Einigung Europas gegen Russland vollenden.

Die zukünftigen Vorgänge im Osten selbst sind langfristig für die PEU entscheidend. Schließlich reicht Europa, schrieb schon Coudenhove-Kalergi, eigentlich bis zum Ural. Und der geht mitten durch Russland hindurch.

Wie das Gebiet von St. Peterburg bis zur Wolga ohne den ökonomisch wenig interessanten asiatischen Teil des Moskauer Reiches in die EU eingegliedert werden soll, darüber sprechen selbst PEU-Mitglieder selten öffentlich. »Beispiele für Selbstständigkeitsbestrebungen finden sich in der jetzigen russischen Föderation von Tuwa über Grosny bis nach Joskar-Ola«, meinte Karl Habsburg in der Welt. Europa müsse durch das Beharren auf den »Volksgruppenrechten« »Russland auf dem Weg der Dekolonisierung unterstützen«, drohte er. Joskar-Ola liegt mitten im russischen Kerngebiet zwischen Moskau und dem Ural. Östlich des Urals, »bei den Völkern Sibiriens«, glaubt Karls Vater Otto von Habsburg, nehme »das Bewusstsein« zu, dass diese »Asiaten sind und die Russen fremde Okkupanten«. Über ein zerstückeltes europäisches Russland, dessen asiatischer Teil die russische »Fremdherrschaft« abgeschüttelt und sein eigenes Staatswesen gegründet hat, kann sich die PEU nur freuen. Denn eine von Deutschland dominierte europäische Grossraumwirtschaft vom Atlantik bis zum Ural hätte dort ein leichtes Spiel. Anders als beim letzten Versuch: Den unternahm Deutschland ohne ein europäisches Bündnis - und scheiterte.