Grüner Parteitag in Münster

Jubeln für den Konsens

Gesicherte Laufzeiten für Atommeiler, Modernisierungspläne für das Militär und eine neue Führungsspitze: Auf ihrem Parteitag haben sich die Grünen für den Konkurrenzkampf mit der FDP fit gemacht.

Die Absage an die Linken war eindeutig. »Ich habe vor 30 Jahren auch gegen den Schah demonstriert«, kanzelte Christian Ströbele rund 25 Exil-Iraner ab, die am Samstag nicht vor, sondern in der Halle Münsterland gegen den Deutschland-Besuch des iranischen Präsidenten Mohammad Khatami protestieren wollten.

Doch in die Nähe der grünen Delegierten kamen die Khatami-Gegner nicht: Die Polizei hatte den Zugang versperrt, und auch Ströbele mochte niemanden in die Halle lassen. So wenig wie sein Berliner Parteifreund Kambiz Behbahani: »Das sind keine kultivierten Menschen«, urteilte das Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Immigration und Flüchtlinge über die Demonstranten; zum Dialog mit den »Reformern« in Teheran gebe es für Außenminister Joseph Fischer keine Alternative.

Dialog beendet, Mission erfolgreich ausgeführt: Als die Polizei der Forderung, einen Festgenommenen frei zu lassen, nachgekommen war, konnte Ströbele beruhigt in die Münsteraner Halle zurückkehren. Szenen wie vor einem Jahr auf dem Kriegsparteitag in Bielefeld hatte er den Grünen mit seiner Intervention erspart: Weder Farbbeutel noch Polizeiknüppel störten den zweitägigen Konsensbetrieb, die Arbeitsteilung klappte hervorragend. Für das gute Image der Regierungs-Ökos tun Parteilinke einfach alles.

Vielleicht zum letzten Mal. Denn selbst wenn in Bielefeld die entschiedensten Kriegsgegner nicht Mitglieder der grünen Organisation, sondern Linke waren, gab es zumindest einen erkennbaren politischen Dissens unter den Delegierten. Den gab es dieses Jahr nicht mehr: Rund 1 000 Grüne haben seit Mai 1999 ihren Austritt erklärt. Wer in Münster immer noch dabei war, konnte sich wirklich nicht beschweren.

Astrid Rothe, neben Claudia Roth und Rebecca Harms die letzte der selbsternannten Linken, die den Sprung in den 16köpfigen Parteirat schaffte, tat es trotzdem: Allen Ernstes forderte die thüringische Landessprecherin die Delegierten auf, endlich die Frage von Krieg und Frieden zu klären. Dabei hatten sie genau das in Bielefeld doch erledigt.

Überhaupt erweckte der Parteitag von Münster den Eindruck, dass die so genannten grünen Urthemen immer dann behandelt werden, wenn keiner mehr da oder ohnehin alles schon entschieden ist. So trug Angelika Beer den Leitantrag des Bundesvorstandes zur Modernisierung von Bundeswehr und Nato am Freitagabend erst gegen 23 Uhr vor - nach einer fast schon absurden vierstündigen Debatte darüber, ob den AKW-Betreibern nun Garantien für Restlaufzeiten über oder unter 32 Jahren zugestanden werden sollte.

Das Ergebnis des vermeintlichen Flügelkampfs ist bekannt, die Vorstände von Preussen-Elektra, Veba-Viag und RWE können sich freuen. Denn der Vertrag zwischen Bundesregierung und Energie-Konzernen, dem der Parteitag zustimmte, enthält keine Deadline; weil die Laufzeiten von Meiler zu Meiler übertragbar sind, können die Top-Reaktoren am Ende erheblich länger laufen.

Reiner Zeitnot war es letztlich zu verdanken, dass den rund 700 Mitgliedern am Freitagabend die Gelegenheit entging, sich dem olivgrünen Spektrum weiter anzunähern - und ihrer verteidigungspolitischen Sprecherin darin zu folgen, »eine weitere Differenzierung unserer Partei im Rahmen der Gestaltung der zukünftigen Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes« vorzunehmen.

Beer, die nach dem ohrverletzten Fischer vor einem Monat durch Messerstiche zum zweiten grünen Kriegsopfer avancierte, war dennoch über jeden Verdacht potenzieller pazifistischer Restteilchen erhaben: »Wer hieraus das Konstrukt ableitet, wir wären für eine Interventionsarmee, verkennt unsere Anstrengungen, die Rolle von Militär zurückzudrängen, verkennt unsere grundsätzliche militärkritische Haltung.«

Damit war am Samstag der Weg frei, Bielefeld endgültig der dunkelgrünen Vergangenheit zuzuschlagen. Weil die Vorstands- und Parteiratswahlen so glatt über die Bühne gingen, dass selbst Joseph Fischer wieder lachte, konnte der Tagesordnungspunkt Asyl- und Einwanderungspolitik noch vor den EM-Spielen abgehakt werden. Ursprünglich war das von der neuen Vorsitzenden Renate Künast zum grünen Top-Thema auserkorene Politikfeld auf 21 Uhr abgeschoben worden - dafür dauerte die Debatte dann aber auch nur 30 statt der veranschlagten 45 Minuten.

Der Jubelparteitag war zu diesem Zeitpunkt längst gelaufen und jener »Lebensabschnitt unserer Partei zu Ende gegangen« (Fischer), in dem es schon genügte, zwei Jahre weniger Restlaufzeit zu fordern, um die eine larmoyante Doppelspitzenhälfte gegen die andere aufzubringen. Ob es nun um die Trennung von Amt und Mandat, den Atomausstieg oder die Haltung zur Bundeswehr ging: Was bis Münster regelmäßig für partei-interne Richtungsstreits sorgte, wo jeder, der politisch klar denken konnte, nur noch eine Richtung sah, dürfte sich mit der neu gewählten Parteispitze endgültig erledigt haben.

Renate Künast hatte zwar die Lacher auf ihrer Seite, als sie drohte, »mit Fritz Kuhn erfolgreich zu kooperieren«. Zu Beginn »von zwei Jahren Vorwahlkampf«, die der wiedergewählte Bundesgeschäftsführer Rainer Bütikofer der Partei verschrieb, bleibt ihr allerdings auch nichts anderes übrig. Das Ende des »Strömungs-Showdowns« (Künast) setzt die Grünen wohl restlos dem Konkurrenzkampf mit der FDP aus - für die bisherige Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus nichts weniger als der Kampf um »die Modernisierung der Bundesrepublik«.

Dass diese nicht ohne weitere Deregulierung des Sozialstaats zu haben sein wird, räumte auch Fritz Kuhn ein. So werde man zwar »nicht wie das Kaninchen auf die FDP starren»; wenn von den Liberalen effektive Vorschläge kämen, würde man diese aber auch nicht ablehnen. Schon in seiner Bewerbungsrede hatte Kuhn klar gestellt, wohin er »die Partei der sozialen Innovationen« führen will: »Der Gegensatz zwischen sozial und wirtschaftlich muss der Vergangenheit angehören«, kündigte er an. Mit dem Verweis auf die »erfolgreiche Arbeit« der Vorsitzenden des Bundestags-Haushaltsausschusses Christine Scheel und dem vom wirtschaftspolitischen Fraktionssprecher zum schleswig-holsteinischen Umweltminister aufgestiegenen Klaus Müller beseitigte er jeden Zweifel, der Kampf um die Mehrheiten könnte ein anderer sein als der um die Neue Mitte.

Die personellen Voraussetzungen dafür, im Wettstreit um die besseren neoliberalen Konzepte nicht völlig unterzugehen, hat die Basis ihrer Führung am Wochenende jedenfalls bereitet. Unter den 16 Parteiratsmitgliedern finden sich nicht nur die drei Bundesminister und die beiden Bundestagsfraktionsvorsitzenden; neben zwei Landesministerinnen und einer weiteren Fraktionsvorsitzenden hat es gerade mal eine Grüne ohne Parlaments- oder Regierungsmandat in das neue Gremium geschafft - ausgerechnet Gunda Röstel. Als die zurückgetretene Vorsitzende im vergangenen Sommer den persönlichen Versuch unternahm, die nun erfolgreich beendete Trennung von Amt und Mandat aufzuheben, erreichte sie als thüringische Spitzenkandidatin gerade einmal 2,5 Prozent.

Viel mehr wird auch Kuhn im Osten nicht holen können. Und der fromme Wunsch des Ex-Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag, nicht als »Regionalpartei-West« zu enden, ließe sich höchstens durch wohlwollende Auslegung des Durchmarschs der Südwest-Fraktion erfüllen: Das politische Machtzentrum der Grünen jedenfalls hat sich nach Münster weiter in die Berliner Fraktion verlagert, wo die Schwaben Rezzo Schlauch als Vorsitzender und der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher Oswald Metzger den marktradikalen Kurs bereits vorgeben. Mit Außenminister Fischer hat Kuhn ohnehin den Mann hinter sich, gegen den bei den Grünen nie Politik gemacht werden konnte.

Wie gut, dass es noch Renate Künast gibt. Während Kuhn dem Mittelstand künftig weismachen wird, dass die Senkung des Spitzensteuersatzes unmöglich der FDP überlassen bleiben könne, kann Künast ungestört dafür sorgen, dass Ökologie, Demokratie und Frauenpolitik weiter als grüne »Hauptprofilpunkte« erkennbar bleiben. Schade nur, dass ihr erster Versuch, die von der FDP betriebene »Entpolitisierung der Politik« inhaltlich zu kontern, nicht zum Tragen kam: Ihren Vorschlag, den nächsten Bundestrainer per Volksentscheid zu ernennen, verwiesen die Delegierten an den Länderrat. Und bis der das nächste Mal tagt, wird ohnehin entschieden sein - ohne die Grünen. Da soll noch einer sagen, sie blieben sich nicht treu.