Meine Zeit in der Hölle IV

Spezialisten

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Es ist eine Veranstaltung von Spezialisten für Spezialisten und im Grunde genauso obskur, vereinsmeierisch, lächerlich, aber auch so leidenschaftlich, informiert, ja gebildet wie ein überregionales Treffen der H 0-Modelleisenbahner, die Jahrestagung der Schäferhundfreunde oder, sagen wir, der Goethe-Gesellschaft. Nur beim Metal-Open-Air-Festival im holsteinischen Wacken gibt es Sätze wie: »Ein Drummer, der mit dem Hihat die 16tel mitspielt, hat bei mir ja schon gewonnen!« »Ja, aber die Double-Bass war hundertprozentig getriggert.«

Zwar gibt es auch hier kleine Nicklichkeiten zwischen den Fraktionen. So macht sich der sinistre Morbid Angel-Addict nicht gemein mit der sonnengebräunten Dauerwelle, die sich eher am US-Leichtmetall von Lizzy Borden oder Dee Snider zu delektieren weiß, und der Prog-Metal-Hörer rümpft vielleicht auch schon mal die Nase ob des unsinnigen und bar jeder Instrumentenbeherrschung in die Nachtluft entlassenen Notenkonvoluts der Black-Metal-Legende Venom.

Alles in allem obsiegte aber freundlich lächelnde Duldsamkeit, die den fundamentalen Irrtum des anderen nicht gleich mit Inquisitoreneifer verfolgte und eben auch einlud, die Grenzen des eigenen musikalischen Sprengels zu überschreiten. Die Gothic Metal der melodiereichen Art spielenden Sentenced hätte ich sonst wohl glatt ignoriert, die groovende Variante des Death Metal mit gehörigem Garagenrock-Einfluss von Entombed wäre vermutlich an mir einfach so vorübergegangen, und über Liege Lord hätte ich wohl weiterhin verächtlich gesprochen. Dabei war alles nur ein großer Irrtum.

Und es hat ja auch etwas für sich, wenn sich ein paar der alten Vorurteile bestätigt werden. Etwa dass die einflussreichen Melodie-Hardrocker Praying Mantis nie den gerechten Lohn ihrer Initiationsarbeit erhalten haben. Oder dass sich kein Mensch, der noch ein Herz im Leib hat, dem beinharten Boogie von Rose Tattoo entziehen kann. Das geht nämlich gar nicht! Vorurteile, so sagt ein guter Freund von mir immer (und der hat es von seinem ehemaligen Professor), sind die Abstraktionen der Wahrheit. Manchmal sind sie es tatsächlich.

Das seit knapp zwei Jahren zu beobachtende Interesse der Headbanger an den Wurzeln ihrer Musik, das sich in Retro-Klangmalereien und einem eigenen Subgenre mit der Aufschrift True Metal offenbart, prägte das Festival maßgeblich. Auch heuer ein Haufen Reunions. Leider nicht alle hochkarätig. Ohnehin bleibt bei der schieren Masse an Bands - immerhin gut 80 an nur zwei Tagen - auch das musikalische Mittelmaß ein ständiger, aber nicht zu aufdringlicher Begleiter.

Doch selbst noch eine gänzlich gesichtslose Formation, die am Ende eines langen harten Tages aufspielte, traf auf ein mehrere Hundert Menschen zählendes, wohlvorbereitetes Publikum, das jede Textzeile runterbetete, wenn es nur dazu aufgefordert wurde. Spezialisten eben.