Londons Bürgermeister Ken Livingstone gegen New Labour

Sprechstunde beim Volkstribun

Von Alex Veit

Nach vier Monaten im Amt geht der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone gegen die Privatisierungspläne von New Labour in die Offensive

Schäm dich, Ken!« Die beiden älteren Frauen mit dem Megaphon sind empört: Londons Bürgermeister Ken Livingstone hat angekündigt, den Verkauf von Taubenfutter auf dem Trafalgar Square zu verbieten. Aus Sorge um die Tauben mit dem prominenten Wohnort fordern sie Livingstones Rücktritt.

Der Bürgermeister, seit 100 Tagen im Amt, hat die Londoner zu »People's Questions« eingeladen. Die Bürgersprechstunde gerät zum Heimspiel, denn bis auf die beiden Seniorinnen sind fast ausschließlich Anhänger des Labour-Dissidenten erschienen: Gewerkschafterinnen, Aktivisten von Migranten-, Behinderten- und Obdachlosengruppen sowie die Reste von Old Labour. Die Stimmung in der »Westminster Central Hall« im imperialen Regierungsviertel ist gelöst, auch wenn Ken - alle sprechen ihn mit Vornamen an - in seiner Eingangsbilanz nichts Konkretes vorzuweisen hat.

Nach seinem ruhigen Start geht Livingstone in die Offensive: »Die Regierung macht immer noch Druck zur Privatisierung der U-Bahn - ich wehre mich noch immer dagegen!« Die Modernisierung der U-Bahn, die sich in einem desolaten Zustand befindet, sieht er als seine dringendste Aufgabe: In der Rush-hour sind die Züge total überfüllt, Rolltreppen fallen nur dann nicht aus, wenn es keine gibt, und die Benutzer sind überrascht, wenn sie ohne größere Verspätungen ans Ziel kommen.

Anfang Oktober hat Livingstone seinen bislang größten Coup gelandet. Er konnte den US-Amerikaner Bob Kiley als Chef seiner Transportabteilung verpflichten - mit einem erfolgsabhängigen Jahresgehalt von 500 000 Pfund (850 000 Euro). Kiley, der als der Retter der New Yorker U-Bahn gilt, ist wie Livingstone ein Gegner der von der britischen Regierung beabsichtigten Teilprivatisierung der U-Bahn. Die so genannte Public Private Partnership (PPP) der Regierung sei »ein Rezept, um wirkliche Probleme zu schaffen«, zitiert ihn der Guardian. »Ich hoffe«, sagt Kiley, »die Menschen nehmen eine Auszeit und überlegen, ob sie das Richtige tun.« Kiley hat es in New York geschafft, über öffentliche Anleihen genug Geld zur Sanierung des öffentlichen Nahverkehrs aufzutreiben. Genauso möchte auch Livingstone vorgehen.

Die Privatisierungspolitik hat zur Zeit einen schlechten Ruf im Königreich. Die Schuld am Zugunglück von Hatfield Mitte Oktober wird der privatisierten Bahn und dem Profitstreben der Unternehmen zugeschrieben. Labour sah sich gezwungen, mehrere Milliarden Euro zur Sanierung der Infrastruktur bereitzustellen. Für die Verpflichtung von Kiley wird Livingstone von der Handelskammer, den Tories und den Liberaldemokraten gelobt - nur von New Labour nicht. Vizepremier John Prescott lies beleidigt verlauten, er halte an der Teilprivatisierung fest. Doch auch die Linke bleibt misstrauisch. Den versprengten Old Labour-Anhängern ist nicht nur Kileys fürstliches Gehalt suspekt, sondern auch seine Vergangenheit. In den sechziger Jahren war er Offizier beim CIA. In der New Yorker Subway setzte er eine »Zero Tolerance«-Politik gegen Sprayer und Kleinkriminelle durch.

Der öffentliche Nahverkehr ist auch bei »People's Questions« das wichtigste Thema. Und Livingstone spart nicht mit kämpferischen Tönen gegen private Transportunternehmen: »Wenn die Busunternehmen ihren Service nicht verbessern, wenn sie ihren Angestellten nicht angemessene Löhne zahlen, werden wir ihre Verträge nicht erneuern! Und jeder Busunternehmer, der sich homophob gegen seine Angestellten verhält, hat mit Strafen zu rechnen!«

Mit solchen Sprüchen kann er das Publikum für sich einnehmen. Den ebenfalls anwesenden Labour-Vorsitzenden im Stadtrat und Privatisierungsprotagonisten, Trevor Phillips, kontert er mit Scherzen wie: »PPP bedeutet, was man möchte, dass es bedeutet: wenn man die Idee mag, bedeutet es Private Public Partnership, was sich nett anhört. Wenn man die Idee nicht mag, bedeutet es Partial Privatisation of the People's Tube.«

Livingstones Rezept ist es, kämpferische Rhetorik mit Charme zu verbinden - so wirkt er nicht so verbohrt wie der Rest der »Lefties«. Trotzdem schafft er klare Fronten. Die Feinde sind die Unternehmer, die ihre Angestellten ausbeuten, die Politiker, die ihnen in die Hände spielen, und die reichen Bewohner der Vorstädte, die durch Vergnügungsfahrten mit dem Auto die Innenstadt verstopfen: »Wir wollen nicht Bürger zweiter Klasse werden, während die Autos Bürger erster Klasse sind!«

Doch auch ein Livingstone kann sich dem Rechtsruck der britischen Gesellschaft nicht verschließen. Für öffentliche Sicherheit will auch er mit Law and Order sorgen. Schon in seinem Wahlprogramm kündigte er die Einstellung von 2 000 Polizisten an, »um eine verstärkte Präsenz der Polizei auf den Straßen zu ermöglichen«. Den miesen Ruf der Ordnungshüter, die weithin als rassistisch gelten, will er verbessern, indem er sie in Zukunft verstärkt aus den »ethnischen Minderheiten« rekrutiert. Auch das »Stop and Search«-Gesetz, dass der Polizei Kontrollen ohne begründeten Verdacht ermöglicht - denen meist Menschen mit der falschen Hautfarbe zum Opfer fallen - möchte er nur modifizieren: »Man muss mit Respekt behandelt werden. Wir brauchen neue Regeln für Stop and Search.«

Livingstone hat den Ruf, ein Anti-Politiker zu sein, jemand, der sich nicht um Konventionen kümmert. Auf diesem Image hat er seine Wahlkampagne im Frühjahr aufgebaut. Den größten Bonus brachte ihm die Kampagne von Tony Blairs New Labour gegen seine Kandidatur ein, die in seinem Partei-Ausschluss ihren Höhepunkt fand. Die Möglichkeiten des# Bürgermeisteramtes sind zwar begrenzt. Als direkt gewählter Vertreter eines Achtels der britischen Bevölkerung und des ökonomischen Zentrums des Landes hat Livingstone eine gute Position in den Medien.

Auf dem Londoner Regionalparteitag Anfang November forderten elf von 40 Anträgen Livingstones Wiederaufnahme. Bei weiteren sieben ging es um den Abschied vom PPP-Konzept. Die Parteileitung verwies die Anträge in die Unterausschüsse, »da sie nicht ausreichend aktuell sind«.