DNA-Datenbank beim BKA

Gefangen in der Gendatei

Über 70 000 Datensätze in zwei Jahren: Seit der Einrichtung der DNA-Datenbank zeichnet das BKA das Bild vom unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher neu.

Die Kripobeamten waren pünktlich: Am selben Tag, als die höchsten deutschen Richter ihr Urteil über die Rechtmäßigkeit von DNA-Analysen fällten, tauchten sie an der Frankfurter Wohnungstür von Gisela Dutzi auf. Fast zehn Jahre nach dem Ende ihrer Haftzeit wollten die Polizisten an der früheren RAF-Frau vorbeugend nachholen, was ihnen durch den Karlsruher Gerichtsentscheid hätte verwehrt werden können: die Erstellung einer DNA-Analyse des Gendatensatzes von Dutzi. Den unerwünschten Hausbesuch begründeten die Beamten mit dem längst abgeschlossenen Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Dutzi war an jenem ersten Freitag im Januar nicht zu Hause, und bis heute hat sie auch den erforderlichen richterlichen Beschluss zu Abnahme einer Speichelprobe nicht erhalten. Und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 5. Januar ausdrücklich auf einem solchen Beschluss beharrte.

Doch gut zwei Jahre nach Einrichtung der zentralen Gendatei beim Bundeskriminalamt (BKA) bekommen die Kripobeamten offensichtlich Routine beim Umgang mit datenrechtlichen Bestimmungen. (Jungle World, 5/01) Rund 72 000 persönliche DNA-Identifikationsmuster - besser bekannt unter der Bezeichnung »genetischer Fingerabdruck« - sind nach BKA-Angaben bislang gespeichert worden. Noch im Juli 2000 waren es nur 45 000 Muster.

Vor allem auf die genetische Identität von Gefangenen haben es die Wiesbadener Kriminalisten abgesehen. Denn dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom September 1998 zufolge muss ein Häftling auch gegen seinen Willen Blut- oder Speichelproben abgeben, wenn er wegen einer »Straftat von erheblicher Bedeutung« verurteilt wurde. Außerdem muss »Grund zu der Annahme bestehen, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren zu führen sind«. Um die Erhebung und Speicherung so sensibler Daten wie der DNA-Identifikationsmuster nicht allein den Entscheidungskriterien der Exekutive zu überlassen, schreibt das Gesetz außerdem vor, dass Richter - und nicht Staatsanwaltschaften oder Landeskriminalämter - prüfen, ob Wiederholungsgefahr besteht.

Doch im wirklichen Leben findet eine Einzelfallprüfung nicht statt. Besonders perfide war das Verfahren in einigen bayerischen Haftanstalten: Wer bislang nicht freiwillig eine Probe für die DNA-Analyse abgab, dem wurden keine Hafterleichterungen gewährt. Diese Praxis rief 1999 zwar die Konferenz der Datenschutzbeauftragten auf den Plan, die aber den Freistaat nicht daran hinderte, so gewonnene Daten zu speichern.

Einen weiteren Ansatz für rechtsstaatliche Willkür bietet die »Straftat von erheblicher Bedeutung«. Um den Begriff zu präzisieren, stellte die rot-grüne Bundestagsmehrheit im Frühjahr 1999 einen Straftatenkatalog zusammen, der neben Kapitalverbrechen wie Mord oder Freiheitsberaubung auch die Bildung einer terroristischen Vereinigung, Einbruchdiebstahl und Vollrausch enthält. Zugleich wurde eingeräumt, dass es sich dabei nicht um »eine abschließende Aufzählung« handele.

Entsprechend unterschiedlich wird der Begriff verwendet - wenn auch in erster Linie in Ermittlungs- und Strafverfahren. Denn Beschuldigte und Verdächtige können ebenfalls zur Abgabe einer Probe gezwungen werden, wenn es um eine Straftat von erheblicher Bedeutung geht und eine Wiederholungsgefahr angenommen werden kann.

Karlsruhe hat nun weiteren Grundrechtseinschränkungen Tür und Tor geöffnet. Zwar konstatierte das Gericht, dass für die richterliche Anordnung einer DNA-Analyse und der anschließenden Speicherung eine echte Einzelfallprüfung nötig sei. Doch die Definition einer »Straftat von erheblicher Bedeutung« über-lässt die Speicherung des genetischen Fingerabdrucks subjektiven Kriterien, die je nach politischer Konjunktur neu gesetzt werden können. So muss die Straftat »mindestens der mittleren Kriminalität« zuzurechnen sein, »den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen«.

Obwohl die VerfassungrichterInnen weitere Hintertürchen für polizeiliche Überwachungswünsche öffneten, fand das Urteil in den Medien positive Resonanz. So schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung: »Außer den überführten Schwerverbrechern ist heute kaum jemand prinzipiell gegen den genetischen Fingerabdruck mit seinen beeindruckenden Ergebnissen.«

Selbst wenn die große Mehrheit der bisher gespeicherten Datensätze mit Eigentumsdelikten in Verbindung steht, erscheint in den Medien immer wieder das Bild des brutalen Sexualstraftäters und Kinderschänders. Auch die Polizei streicht diese Fälle gern heraus. »Man muss bedenken, dass es sich in der Regel um schwerste Straftaten handelt«, erklärte ein Sprecher des Berliner Landeskriminalamtes. Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz sei allein deshalb sinnvoll, weil es die Möglichkeit biete, unbekannte Spuren abzugleichen mit Daten von »Personen, die potenziell verdächtig sind«.

Und vom potenziellen bis zum geborenen Kriminellen ist der Weg nicht weit, wie der wissenschaftliche Diskurs an einigen Instituten in den USA oder in Großbritannien zeigt. Aber selbst wenn solche biologistischen Tendenzen in der deutschen Kriminologie nur in Ansätzen zu finden sind, dürfte sich das Konstrukt des unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechers mit der neuen Technologie weiter durchsetzen.

Zumal zweifelhaft ist, ob ehemalige Gefangene dieses Stigma jemals verlieren. Spätestens zehn Jahre nach der Haftentlassung soll überprüft werden, ob die DNA-Muster in der zentralen BKA-Datei gespeichert bleiben. Dabei gelten dieselben Kriterien wie bei der Speicherung. Mit dem Unterschied, dass über die Entfernung der Daten aus der Gendatei diesmal kein Richter entscheidet, sondern die Polizei.