Annäherung an die EU

Es lebe der Zar!

Die Aussicht auf den EU-Beitritt eint alle bulgarischen Parteien. Man schweigt zum Konflikt in Mazedonien.

Das europäische Parlament will seinem demokratischen Verhandlungspartner im EU-Beitrittsland Bulgarien offenbar großzügig die Hand reichen. Denn statt wie vorgesehen kurz vor den Wahlen im Juni, soll nun bereits am 10. April die im Schengener Abkommen festgelegte Visapflicht für bulgarische Staatsbürger fallen.

Diese Entscheidung kommt für die Regierungskoalition um die Union der Demokratischen Kräfte (SDS) gerade zur rechten Zeit. Denn Mitte März zwangen tagelange heftige Proteste vor dem Parlamentsgebäude die Regierung von Premierminister Ivan Kostov beinahe zum Rücktritt. Nun kann sie die vorgezogene Befreiung von der Visapflicht im Wahlkampf als eigene Errungenschaft präsentieren und sich zudem als erste Regierung in der neueren Geschichte des Landes feiern, die mit großer Wahrscheinlichkeit ihr vierjähriges Mandat zu Ende führt.

Zwar müssen auch nach dem 10. April beispielsweise für einen Deutschlandbesuch an der Grenze pro Aufenthaltstag 25 Euro vorgewiesen werden, was für die meisten bulgarischen Reisenden eine nicht eben leicht zu überwindende Hürde darstellt. Allerdings entfallen die oft mehrtägigen Wartezeiten vor dem deutschen Konsulat sowie die Abhängigkeit von den willkürlichen Entscheidungen der Visaabteilung. Die Visumsfreiheit wird jedoch hauptsächlich zur Folge haben, dass Bulgaren vermehrt als Touristen legal in die EU einreisen und dort drei Monate lang ihre billige Arbeitskraft feilbieten.

So ist der eigentliche Hintergrund für die zurückliegenden Proteste auch die wachsende Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation. Die Inflation erreichte bei stagnierenden Löhnen innerhalb eines Jahres die 50 Prozent-Marke, die Arbeitslosenquote in den ländlichen Gegenden liegt inzwischen bei knapp 70 Prozent.

Anlass für die Großdemonstrationen vor dem Regierungssitz war jedoch eine Serie von Morden und blutigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden mafiösen Organisationen, die von der Opposition und den Medien instrumentalisiert wurde, um der Regierung Untätigkeit »angesichts des Ausmaßes der organisierten Kriminalität« vorzuwerfen. Ausgelöst wurden die Proteste schließlich vom Mord an dem dreijährigen Sohn eines Taxifahrers. Und ähnlich wie 1997, als spontane Straßenproteste die postkommunistische »sozialistische« Regierung von Zhan Videnov stürzten, waren es auch dieses Mal die Taxifahrer, die sich zuerst erhoben.

Innerhalb kürzester Zeit setzte sich jedoch ein heterogenes Bündnis von altbekannten Persönlichkeiten des politischen Lebens an die Spitze der Unruhen. Diese so genannte erste Generation hatte Anfang der neunziger Jahre die damalige Oppositionspartei SDS gegründet. Mitte der Neunziger waren diese Politiker entweder von der zweiten Generation der Parteifunktionäre ausgeschlossen worden oder nach den Konfrontationen eines Teils der Partei mit dem Clan von Premier Kostov aus der SDS ausgetreten.

Die Leitfigur dieser auferstandenen ersten Generation ist der bulgarische Zar Simeon II. von Sachsen-Koburg (Sakskoburgski). Er hat sich im spanischen Exil als Geschäftsmann etabliert und gilt als einzige moralische Instanz, um eine Koalition der nationalen Einheit als politische Alternative zur kriselnden SDS oder zur völlig diskreditierten Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) zu legitimieren.

Das entstehende neue Bündnis ist eine widersprüchliche Mischung aus monarchistischen, ultranationalistischen Strömungen und aggressiven, auf die EU fixierten neoliberalen Modernisierern. Genau mit dieser Kombination könnte man jedoch die Stimmen von über einer Million unzufriedener Wähler gewinnen, während die Unterstützung für SDS und BSP auf deren jeweilige Stammwählerschaft schrumpfen dürfte. Die neozaristische Plattform muss allerdings schon jetzt einen Rückschlag verkraften. Denn die Protestkundgebungen in der Hauptstadt Sofia, die zunächst aussahen, als würden sie den Zaristen den Weg ins Parlament ebnen, endeten abrupt, als die Mutter des toten Kindes der Tat angeklagt wurde.

Jenseits der populistischen Aufbereitung skandalträchtiger Themen sehen indes alle Parteien, sei es die postsozialistische BSP, die regierende bürgerlich-neoliberale SDS, die rechtsnationalistischen Vertretungen der türkischen und mazedonischen Bulgaren, DPS und VMRO, oder die bislang noch virtuelle Koalition um den Zaren, den EU- und Nato-Beitritt als einzige Perspektive. Allenfalls in Nuancen unterscheiden sich die Ansichten, wie der Weg nach Europa auszusehen habe.

So fordert die VMRO »ein Europa der Vaterländer«, und die Sozialisten von der BSP sowie die fünfzehn weiteren Parteien in der linken Wahlkampfkoalition »Für Bulgarien« wünschen sich mehr »soziale Abfederung«. Die Haltung der DPS hingegen ist davon beeinflusst, dass die Gewährung von Minderheitenrechten zu den Bedingungen der EU für einen Beitritt Bulgariens gehört. Vor einigen Jahren hätte der DPS-Vorsitzende Ahmed Dogan wohl noch lautstark gegen die ablehenende Haltung Brüssels gegenüber der türkischen EU-Kandidatur protestiert. Heute mäßigt er seine Kritik im Interesse eines bulgarischen Beitritts.

Auch die Entwicklungen in Mazedonien erzeugen keinen wirklichen politischen Dissens, schließlich wissen doch alle, dass die Krise im Nachbarland zugleich einen EU- und Nato-Kompatibilitätstest für die verschiedenen politischen Formationen in Bulgarien darstellt. Nachdem der Regierung in Skopje zunächst Unterstützung angeboten wurde, äußern sich mittlerweile alle Parteien sehr vorsichtig und betonen, es handele sich um einen innermazedonischen Konflikt - allerdings ohne der Nato das Recht zur Intervention abzusprechen. So hat die SDS-Regierung bereits ein Gesetzesprojekt vorgestellt, das es ihr künftig erlauben soll, der Nato ohne jede weitere parlamentarische Zustimmung Überflug- bzw. Durchfahrtsrechte einzuräumen.

Nach der Offensive der mazedonischen Armee gegen die albanischen Seperatisten der UCK im Norden Mazedoniens rief Premier Kostov am vergangenen Montag die Regierung des Nachbarlandes sogar explizit »zur Zurückhaltung« auf. Selbst die VMRO, die die mazedonische Minderheit in Bulgarien vertritt, hält sich mit klaren Aussagen zurück, auch wenn niemand daran zweifelt, dass im Fall einer Eskalation viele Freiwillige aus ihren Reihen nach Mazedonien in den Kampf ziehen würden.

Und sogar die DPS, von deren türkisch-bulgarischen Wählern sich während des Jugoslawien-Krieges 1999 viele auf die Seite der UCK stellten, meint vorsichtig, es müssten auch die mazedonischen Interessen berücksichtigt werden. Allerdings ließ es sich ihr Vorsitzender Dogan nicht nehmen, bulgarischen Nationalisten zu drohen: Sollte eine der Parteien den mazedonischen Standpunkt unterstützen, wären ethnisch aufgeladene Spannungen auch in Bulgarien möglich.