W. Heitmeyer über die neue rechte Mitte

Der Laurenz-Meyer-Effekt

Rechte Schläger sind für die Demokratie weniger gefährlich als die neue rechte Mitte, erklärt der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer in seinem jüngsten Buch.

Die Zeiten, in denen der Neoliberalismus unwidersprochen ein neues »goldenes Zeitalter« verheißen konnte, scheinen endgültig vorbei zu sein. Mit der von Wilhelm Heitmeyer und Dietmar Loch herausgegebenen Aufsatzsammlung »Schattenseiten der Globalisierung« liegt ein weiteres Buch vor, dass den säkularen Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes in Abrede stellt. Im Mittelpunkt der Arbeiten steht die Frage nach dem Zusammenhang von Globalisierung und autoritären politischen Entwicklungen wie Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Deutschland und Europa.

Der Strukturwandel, der mit der Globalisierung einsetzte, habe die Voraussetzungen der nationalstaatlich organisierten Demokratie untergraben. Ökonomische Instabilität, wachsende soziale Ungleichheit und der Bedeutungsverlust des Nationalstaates führten zu einer »Demokratieentleerung« (Heitmeyer) mit weitreichenden Folgen. Der Demokratie drohe aber nicht nur Gefahr »von außen« durch den Kompetenzverlust des Nationalstaates auf der internationalen Ebene, vielmehr seien auch im Inneren der westlichen Demokratien mit der »Krise der Repräsentation« Entwicklungen zu beobachten, die sich zu einer demokratiegefährdenden Tendenz verdichtet haben.

Der eigentliche Beitrag des Buches zur gegenwärtig abklingenden Debatte um rechtsradikale Gewalt ist die Feststellung, dass die rechtsextremen Schläger zukünftig die demokratische Spielart des Kapitalismus weniger gefährden werden als der bis in die Mitte der demokratischen Parteien reichende und teilweise aus ihr stammende Rechtspopulismus. Die Gefahren rechtsextremer Gewalt sieht Heitmeyer durch einen sicherheitspolitisch aufgerüsteten Staatsapparat gebannt, der als sozialpolitische Reaktion selbst ein Problem darstelle. Themen des klassischen Rechtsextremismus werden von einem »autoritären Kapitalismus« integriert, indem sie in ökonomisch und politisch durchgesetzte Spielregeln umgeformt werden. Die neue Mitte verschiebe sich nach rechts.

Allerdings gelingt es den Autoren des Sammelbandes nur unzureichend, die kulturelle Vermittlung der ökonomischen und politischen Umstrukturierungen kenntlich zu machen. So entsteht der Eindruck, dass Globalisierung unmittelbar Rechtspopulismus nach sich ziehe, weil das Phänomen der kulturellen Globalisierung mit ihren autoritären nationalistischen und ethnisierenden Effekten nicht genauer in Augenschein genommen wird.

Der Ansatz erinnert ein wenig an die Debatten um rechtsradikale Gewalt Anfang und Mitte der Neunziger, als ebenfalls sehr direkt von neoliberal bedingten sozialstrukturellen Umbrüchen wie Massenarbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen usw. auf rassistische Einstellungen geschlossen wurde. Die Argumentation, die häufiger auch in der sozialliberalen Presse verwendet wurde, verlief nach dem Muster, dass die deklassierten Deutschen gar nicht anders konnten, als sich Migranten und Migrantinnen als Sündenböcke zu suchen. Implizit wird den Subjekten die Verantwortung für ihr Tun abgesprochen. Die in soziologischen Debatten gängige strukturtheoretische Argumentation, die sich gegen Personalisierung und moralisierende Schuldzuweisung richtet, wurde so zur Rechtfertigung rassistischer Handlungen.

In einigen Aufsätzen des Bandes taucht denn auch der alte Fehlschluss auf, die rassistische Diskriminierung könne in irgendeiner Weise auf die Diskriminierten zurückgeführt werden. Die rassistische Mobilisierung habe also einen rationalen Kern und sei auch als Reaktion auf das Verhalten der Diskriminierten bzw. auf deren Existenz zu verstehen. Etwa wenn Detlef Oesterreich von dem »Asylbewerberproblem« spricht, ohne zu merken, dass er selbst dieses »Problem« konstruiert. Probleme fallen eben nicht vom Himmel, sie werden gemacht, d.h. in einer zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit hergestellt. Die Frage ist also nicht, ob das »Asylbewerberproblem« günstigere Bedingungen für rechtspopulistische Mobilisierungen schafft, sondern wie es gelang, politisches Asyl als Problem zu konstituieren.

Die Beschäftigung mit dem unverständlicherweise ausgesparten Thema Antisemitismus hätte vielleicht vor solchen Unzulänglichkeiten bewahrt. Gerade im Zusammenhang von Globalisierung und Autoritarismus ist es unerklärlich, dass in dem Band das Thema nicht einmal erwähnt wird. Die in den Debatten zur Globalisierung häufiger anzutreffende Gegenüberstellung von produktivem Kapital und Finanzkapital bietet rechtspopulistischen Bewegungen Ansatzpunkte für die abstrusesten Verschwörungstheorien, deren alltagspraktische Relevanz leider allzu offenkundig ist.

Im Vordergrund steht die Kritik an den politischen Eliten. Mit dieser Kritik ist ein weiterer analytischer Befund verbunden, nämlich dass sich Rechtsradikalismus nicht als ein Problem der unteren und sozial deklassierten Schichten beschreiben lässt, sondern in allen sozialen Klassen vorzufinden ist. Am anschaulichsten wird das im Beitrag von Michael Vester, der mit Bourdieus Habituskonzept arbeitet. Hier wird der Horizontalen der sozialen Klassen eine Vertikale der kulturellen Orientierung hinzugefügt. So wird erklärbar, warum sich autoritäre Verhaltensweisen in gewerkschaftlichen Kreisen genauso finden lassen wie emanzipative in konservativen Milieus. Vester kommt zu dem Schluss, dass die politischen Eliten weit gefährlicher seien als die subalternen Klassen, da es in ihrer Macht liege, die im Zuge der Globalisierung notwendigen Umstrukturierungen, beispielsweise sozialstaatlicher Rechte auf europäischer Ebene, vorzunehmen. In dieser Perspektive lässt sich der Rechtspopulismus als die kulturell und sozial avanciertere Form des Rechtsradikalismus beschreiben.

Allerdings scheint die hier vertretene Elitenkritik den tumben Schläger auf der Straße und seine begeisterten Zuschauer von ihrer Verantwortung zu entlasten. Denn der »kleine Mann« bleibt letztlich doch nur verlängerter Arm der eigentlichen Drahtzieher in Ökonomie und Politik.

Zwar bemühen sich die Autoren des Bandes um Vorschläge, wie den autoritären Tendenzen entgegenzuwirken sei, ihr Ideal jedoch ist die im Rückblick verklärte fordistische Phase des Kapitalismus. Beim Versuch, die rheinische Form des Kapitalismus auf eine europäische Ebene zu retten, wurden dessen autoritäre Strukturen offenkundig vergessen.

Wilhelm Heitmeyer/Dietmar Loch (Hg): Schattenseiten der Globalisierung. Suhrkamp, Frankfurt/M 2001, 544 S., DM 33,90