Kroatische Nationalisten auf Sezessionskurs

Deserteure für Kroatien

Die Agitation kroatischer Nationalisten spaltet die Armee der kroatisch-muslimischen Föderation. Langsam verliert die internationale Protektoratsverwaltung in Bosnien-Herzegowina die Kontrolle.

Wirkliches Vertrauen zum kroatischen Teil der bosnischen Armee scheint die internationale Truppe Sfor nicht zu haben. Denn am vergangenen Samstag wurden Hunderte kroatische Soldaten der Armee der kroatisch-muslimischen Föderation aus einer Kaserne in der Stadt Busovaca evakuiert. Zwar bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für ihr leibliches Wohlergehen, doch der Propaganda kroatischer Nationalisten wollte man sie nicht aussetzen. Als Tausende Anhänger des kroatischen Nationalisten Ante Jelavic und der Tudjman-Partei Kroatische Demokratische Bewegung (HDZ) vor die Kaserne marschierten, um die Soldaten zur Desertion aufzufordern, hätte die internationale Besatzungsmacht fürchten müssen, dass nicht wenige kroatische Soldaten diesem Ruf folgen würden.

Die Evakuierung nützte aber nicht viel, denn im Laufe der vergangenen Woche gelang es den Nationalisten, rund 8 000 kroatische Mitglieder der Föderationsarmee zur Desertion zu bewegen. Mit der Massenflucht aus der gemeinsamen Armee begann wohl auch die endgültige Abkehr von der Idee eines gemeinsamen Staates. Mitte vergangener Woche hat auch der kroatisch-bosnische General Tomo Knezevic erklärt, von nun an die kroatischen Nationalisten zu unterstützen. Knezevic galt bislang immer als loyaler Beamter der Zentralregierung in Sarajevo, er genießt bei seinen Untergebenen hohe Popularität. »Ich stehe unter enormem Druck. Die Sfor benimmt sich völlig intolerant uns gegenüber«, verabschiedete er sich von seiner Karriere.

Wolfgang Petritsch, der Hohe Repräsentant in Bosnien-Herzegowina, gewann aus den Ereignissen der letzten Wochen eine niederschmetternde Erkenntnis: Sein übliches Instrumentarium zur Krisenbewältigung ist ausgeschöpft, und die kroatische Rebellion geht dennoch weiter. Jetzt muss er der unbeliebten Sfor-Friedenstruppe das Krisenmanagement überlassen. Schon Mitte März hatte er den Hardliner Ante Jelavic aus dem dreiköpfigen Staatspräsidium in Sarajevo entfernt und ihn sämtlicher politischer Ämter enthoben (Jungle World, 11 und 12/01). Bisher hatte die Absetzung missliebiger Amtsträger immer auch das Aufflackern diverser Nationalismen vorübergehend beendet. Doch diesmal ist das anders. Ante Jelavic agiert geschickter als etwa die serbischen Nationalisten aus der Republika Srpska, die in den vergangenen Jahren mit einer Brachialrhetorik mehrmals versuchten, das fragile Staatsgebäude zum Einsturz zu bringen. Was ihren abenteuerlichen Unternehmungen gefehlt hatte, ist bei Ante Jelavic vorhanden: ein Plan.

Die Kündigung des Dayton-Abkommens durch ihn und seine HDZ-Partei war nur der erste Teil einer breit angelegten politischen Dramaturgie. Dass ein kroatischer Miniaturstaat rund um die Stadt Mostar wirtschaftlich nicht lebensfähig ist, versuchte Jelavic in der vergangenen Woche zu widerlegen. Da versammelte er rund 300 Geschäftsleute aus der Umgebung in Mostar, um Pläne für eine stetige wirtschaftliche Entwicklung der Region zu schmieden.

Auch die finanzielle Basis der Selbstständigkeit scheint gesichert. »In den vergangenen Wochen sind mehrere Millionen D-Mark über Konten der Herzegovacka Banka an die Organisation rund um Jelavic geflossen«, sagt der Sprecher von Wolfgang Petritsch, Oleg Milisic. Nach Angaben aus Kreisen um den Hohen Repräsentanten sollen es 54 Millionen Mark sein, die die Herzegovacka Banka für die HDZ und Jelavic gehortet hatte. Ein beachtliches Grundkapital für einen politischen Umsturz.

Die Übernahme der Bank durch einen von Petritsch eingesetzten Verwalter am vorletzten Freitag erinnerte ein wenig an die dilettantische Verhaftung von Slobodan Milosevic. Maskierte Sfor-Sondereinheiten stürmten die Zentrale der Bank in Mostar und bekamen die Lage erst nach Stunden unter Kontrolle. Zwischenzeitlich nahmen bewaffnete Sympathisanten der kroatischen Freischärler einen Vermittler als Geisel, und die örtliche Polizei half den Protestierenden, Wagen der Sfor in Brand zu stecken.

»Hier geschieht nichts aus Zufall. Es war alles organisiert und unsere Polizei hat mitgeholfen«, sagte ein Polizist. Milan Sutalo, ein Sprecher der Bank, fühlte sich während des Sfor-Einsatzes eher als »Opfer eines Banküberfalls«. Der wenig sensible Sfor-Einsatz war militärisch erfolgreich, politisch aber ein Desaster. Bisher war die Sfor im kroatischen Teil Bosniens zwar unbeliebt, doch zu größeren Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung kam es nicht. Das harte Durchgreifen der Truppe aber führte schließlich dazu, dass ein großer Teil der kroatischen Bevölkerung sich mit Jelavic und seinen bedrängten Finanziers solidarisierte.

Als weiteres Mittel, ihre Sezession durchzusetzen, dürfte die Organisation rund um Jelavic und die HDZ inzwischen auch den Terror entdeckt haben. In der Stadt Siroki-Birjek explodierte eine Autobombe vor dem Haus zweier prominenter kroatischer Politiker, die sich in den vergangenen Monaten mehrmals gegen die sezessionistischen Ambitionen von Jelavic gewandt haben. Mladen Ivankovic, Minister in der bosnischen Regierung, und sein Bruder Jerko, Abgeordneter im Parlament, entkamen dem Anschlag nur mit Glück. »Das Attentat war klar politisch motiviert«, sagt Douglas Coffman, der Sprecher der Vereinten Nationen in Sarajevo.

Terror, eine Spaltung der Armee, die Kontrolle über weite Teile der Polizei und ein zumindest grober Plan für die wirtschaftliche Zukunft sind die wesentlichen Bestandteile eines halbwegs Erfolg versprechenden Sezessionsversuches, aber eben nicht alle. Auch Hilfe aus dem Ausland ist in extremen Situationen nützlich, und Jelavic erhält sie direkt aus Zagreb. Der Zeitplan für die Bildung des Staates Herceg-Bosna und seinen späteren Anschluss an Kroatien ist eng mit wichtigen politischen Terminen in Kroatien selbst verknüpft. Ivica Pasalic, der Vorsitzende der Rest-HDZ in Kroatien, hat am 20. Mai Kommunalwahlen zu bestehen und benötigt dringend groß-kroatische Erfolge beim südlichen Nachbarn.

Damit würden auch wieder eine alte Forderung des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman reanimiert werden und ein nationalistischer Mythos, der beliebig oft zu politischen Zwecken recycelt werden kann. Das Zusammenspiel zwischen Mostar und Zagreb jedenfalls funktioniert recht gut. Um auch in Kroatien nationalistische Emotionen anzuheizen und gegen die Sfor zu mobilisieren, wurden in den vergangenen Tagen Sfor-Basen an der dalmatinischen Küste blockiert.