Nato fahndet nach Karadzic

Ein Zeuge auf der Flucht

Hinter der Fahndung nach Radovan Karadzic steckt das Bestreben des Uno-Kriegsverbrechertribunals, neue Beweise im Prozess gegen Slobodan Milosevic zu gewinnen.

Es sind abenteuerlich aussehende Gestalten, die derzeit im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Montenegro unterwegs sein sollen. Ein seltsam anmutender serbisch-orthodoxer Priester samt einem Dutzend junger Männer wandert dieser Tage zwischen Montenegro und Bosnien hin und her, und die Einwohner der Gegend scheinen ganz genau zu wissen, wer da in der Priesterrobe die Grenzen passiert: Radovan Karadzic höchstpersönlich samt bewaffnetem Tross. Die mächtige Mähne habe er sich abrasieren lassen und mit kahl geschorenem Kopf sei er kaum noch erkennbar.

Trotzdem besteht für viele kein Zweifel, dass hier der einst mächtigste Mann der Republika Srpska - gemeinsam mit der muslimisch-kroatischen Föderation bildet die serbische Entität den bosnischen Gesamtstaat - den kleinen Grenzverkehr zwischen Montenegro und Bosnien belebt. »Es ist nur logisch, dass er sich in dem Gebiet aufhält. Schließlich stammt er selbst aus Montenegro und auch seine Mutter lebt wieder dort«, sagt Amer Kapitanovic, Sprecher des bosnischen Außenministers Zlatko Lagumdzija, der Jungle World.

So freizügig sind andere Regierungsvertreter nicht, wenn es um Auskünfte über den derzeitigen Aufenthaltsort des mutmaßlichen Kriegsverbrechers geht. Die montenegrinische Regierung bestritt noch in der letzten Woche, dass Karadzic in Montenegro lebt. Der Präsident der Republika Srpska, Mirko Sarovic, folgte diesem Beispiel: »In der Republika Srpska halten sich keine vom Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchten Serben auf.« Da fühlte sich naturgemäß auch die Regierung in Belgrad berufen, zu dementieren, dass Karadzic oder sein engster Verbündeter, General Ratko Mladic, in Serbien seien. »Zumindest im Moment nicht«, fügte der serbische Innenminister Dusan Mihajlovic hinzu.

Doch wirklich glaubwürdig sind diese Dementis nicht. Schließlich weist immer mehr darauf hin, dass Karadzic am Freitag der vorletzten Woche im Grenzgebiet zwischen Bosnien und Montenegro tatsächlich nur knapp dem Verhaftungsversuch einer britischen Spezialeinheit entgangen ist. Der Observer berichtete unter Berufung auf mehrere Quellen in der Sfor-Friedenstruppe über einen solchen missglückten Versuch, bei dem zwei britische Soldaten verletzt worden seien.

Der bosnische Außenamtssprecher Amer Kapitanovic will das im Gespräch mit Jungle World weder bestätigen noch dementieren, gibt aber einen viel sagenden Hinweis. »Sie kennen ja das Sprichwort: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.« Auch Viktor Gobarev, der Direktor des US-Instituts stratfor, will von einem derartigen Verhaftungsversuch wissen: »Aber die Briten würden niemals zugeben, dass da etwas schief gegangen ist, also dementieren sie einen solchen Versuch rundweg.« Mehrere Regierungsvertreter in Sarajevo wiesen außerdem darauf hin, dass in den letzten Wochen Elite-Einheiten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA auf bosnischem Territorium operierten, die offiziell nicht zur Sfor gehörten und nur darauf trainiert seien, Karadzic einen Freiflug nach den Haag zu ermöglichen.

Die intensivierten Bemühungen, jenen Mann zu erwischen, der vermutlich wesentlich am Massaker von Srebrenica im Juli 1995 beteiligt war, würden derzeit gut ins politische Drehbuch passen. Das Parlament der Republika Srpska in Banja Luka will schon am Freitag dieser Woche die gesetzliche Grundlage für die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag schaffen. Die Notwendigkeit eines solchen Schrittes ist dem Ministerpräsidenten Mladen Ivanic durchaus klar. »Es gibt keine Alternative. Wenn wir das Gesetz verabschiedet haben, wird es für uns zur Verpflichtung, Karadzic auszuliefern«, erklärte er in der vergangenen Woche.

Dass Ivanic sich den Begehrlichkeiten der Haager Chefanklägerin Carla del Ponte fügt, verdankt sie im Wesentlichen der US-amerikanischen Regierung. Als er sich gemeinsam mit dem bosnischen Außenminister Lagumdzija vor zwei Wochen in Washington aufhielt, redete US-Außenminister Colin Powell stundenlang auf ihn ein und versprach ihm »großzügige finanzielle Hilfe« im Falle einer Festnahme Karadzics. Die Überredungsgabe Powells scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. »Wenn das Parlament das Auslieferungsgesetz nicht verabschiedet, werde ich zurücktreten«, drohte Ivanic.

Doch ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sich die Polizei der Republika Srpska des Mannes annehmen wird. »Wenn die Behörden der Republika Srpska Karadzic selbst festnehmen, könnte das zu einem politischen Erdbeben führen«, fürchtet Kapitanovic. Also überlässt man die Drecksarbeit lieber den ausländischen Interventionstruppen. Ein beinahe salomonischer Kompromiss: Zwar wird man Karadzic nicht mehr so decken wie in den vergangenen fünf Jahren, aber die entscheidende Tat für die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen muss schon der Westen begehen.

Beim Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag laufen die Vorbereitungen zur Einlieferung Karadzics in das Gefängnis von Scheveningen schon seit Wochen. Dass die Nachfolgerin Karadzics im Präsidentenamt der Republika Srpska bis zum Beginn ihres Prozesses die unwirtliche Umgebung von Scheveningen verlassen darf und sich in Belgrad dem Tribunal zur Verfügung halten kann, liegt nach Ansicht politischer Beobachter nicht zuletzt an ihrer Kooperationsbereitschaft. »Ich bin fast sicher, dass Frau Plavsic einiges über den Aufenthaltsort von Karadzic weiß, und jetzt wissen es eben auch die Behörden des Tribunals«, feixt der Ministeriumssprecher Kapitanovic.

Auch wenn Karadzic als einer der Hauptverantwortlichen für den Krieg in Bosnien vermutlich genug auf dem Kerbholz hat, um in Den Haag verurteilt zu werden, dürften die verzweifelten Bemühungen, ihn endlich zu fassen, mehr mit Slobodan Milosevic als mit jenem selbst zu tun haben. »Ich bin sicher, dass es ohne Karadzic keinen Prozess gegen Milosevic geben könnte«, sagte Milosevics Anwalt Christopher Black der Jungle World. Schließlich möchte Carla del Ponte die Anklage gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten auch auf die möglichen Kriegsverbrechen in Bosnien ausdehnen. Und wer wäre da geeigneter als Radovan Karadzic? Das vermutet auch Amer Kapitanovic in Sarajevo: »Nur wegen Milosevic ist Karadzic für das Tribunal wirklich interessant geworden.« Einen Grund, auf Milosevic nachhaltig sauer zu sein, hätte Karadzic wohl, denn schon 1996 soll Milosevic zur Beruhigung des Westens die Auslieferung Karadzics an das Tribunal befohlen haben.

Sollte Radovan Karadzic in absehbarer Zeit die Priesterrobe gegen die Scheveninger Gefängniskluft eintauschen müssen und sollte ein Prozess beginnen, könnte es aber nicht nur für ihn und Milosevic unangenehm werden. Während des Prozesses könnte auch zur Sprache kommen, wie es ihm gelungen ist, fünf Jahre lang mehr oder minder unbehelligt von Belästigungen durch Sfor-Truppen zu leben.

In Sarajevo jedenfalls ist man darüber wohl am meisten verbittert, denn nichts macht deutlicher, dass man in Den Haag nicht anhand juristischer Gesichtspunkte entscheidet, sondern nach politischen Kriterien. Dafür spricht das weitgehende Desinteresse an mutmaßlichen kosovo-albanischen oder kroatischen Kriegsverbrechern genauso wie die bisherige Schonung Karadzics. Trotzdem hätte ein möglicher Prozess wenigstens historischen Wert. Ein Regierungsvertreter in Sarajevo drückt es vorsichtig aus: »Wir werden viel über die Rolle der damaligen Bosnien-Vermittler Owen und Stoltenberg erfahren.«