Jungfräulichkeitstests in der Türkei

Sei erfolgreich, vermeide Sex!

Proteste verhinderten, dass in der Türkei Zwangstests zur Jungfräulichkeit bei Schülerinnen durchgeführt werden.

Ich bin 52 Jahre alt und immer noch Jungfrau.« Dieses peinliche Geständnis der damals für Frauen- und Familienfragen zuständigen Ministerin Isil Saygin ließ 1998 die moderne urbane Bevölkerung in der Türkei aufstöhnen.

Dennoch ist diese in einem Interview geäußerte Aussage paradigmatisch für die aktuelle Diskussion um die Wiedereinführung von so genannten Jungfräulichkeitstests. Der Gesundheitsminister der faschistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Osman Dürmus, hatte Anfang Juli angeordnet, Schülerinnen an medizinischen Oberschulen, die vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten, von der Schule zu verweisen.

Nach heftigen Protesten von Frauenverbänden und Bürgerrechtlern behauptete Dürmüs letzte Woche, er habe niemals Jungfräulichkeitstests bei Schülerinnen angeordnet. Damit konnte der liberale Teil der türkischen Öffentlichkeit zumindest soweit es die Tests an Schulen betrifft einen kurzzeitigen Sieg erringen. Aber Äußerungen wie die der Ministerin Saygin werfen ein bezeichnendes Licht auf den patriarchalisch gepägten Umgang mit Sexualität in der Türkei.

Die türkische Journalistin Gülçin Telci hatte die Ministerin 1998 bei einer Tour durch Ost- und Südostanatolien begleitet. Sie veröffentlichte das Interview im Oktober 1998 in der Sonntagsbeilage der Tageszeitung Hürriyet. Saygin erklärte darin, dass sie nie geheiratet habe, deshalb selbstverständlich noch Jungfrau sei und dass sie an nichts anderes als an ihre Arbeit und ihre Pflichterfüllung denke.

Auch der Ort des Interviews war bezeichnend: Anatolien gehört zu den Regionen der Türkei, in der die traditionellen Geschlechterrollen nach wie vor rigide eingehalten werden. Immer wieder gibt es Fälle, in denen Mädchen, über die Gerüchte kursieren, dass sie keine Jungfrauen mehr seien, von ihren Angehörigen ermordet werden, damit die Ehre der Familie wiederhergestellt wird.

Der türkische Staat hat deshalb eine Institution geschaffen, die sich um das Empowerment von Frauen in Ost- und Südostanatolien kümmern soll. Zu deren Hauptaufgaben zählen die Alphabetisierung und die Schaffung von Ausbildungsplätzen sowie bezeichnenderweise auch die Förderung der standesamtlichen Ehe zum Schutz der Familie sowie die Familienplanung für verheiratete Frauen.

Das Jungfräulichkeitspostulat für Ledige wird jedoch weder von der Frauenförderungseinrichtung noch von anderen staatlichen Stellen angegangen. Und obwohl die Türkei als eines der ersten Länder überhaupt den Frauen das Wahlrecht bereits in den zwanziger Jahren gewährte, sind die sexuellen Rechte von Frauen nach wie vor ein Tabuthema.

Erst in den achtziger Jahren begannen vorwiegend intellektuelle Frauen der urbanen Oberschicht, die traditionellen Rollenzuweisungen ihrer Mütter zu hinterfragen. Sie kritisierten damit genau das Bild, das Isil Saygin repräsentieren möchte: das der pflichtbesessenen Karrierefrau, die alle Ungleichbehandlungen lediglich durch Bildung und Beruf zu kompensieren versucht.

Dieser Konflikt zwischen türkischen Feministinnen und VerfechterInnen der »asexuellen kemalistischen Elitefrau« - wie es in den Pamphleten von Feministinnen wie Sirin Tekeli damals hieß - dauert noch immer fort. Noch vor drei Jahren verteidigte Saygin den Junfräulichkeitstest vehement, obwohl immer wieder Fälle von Selbstmorden bei Schülerinnen bekannt wurden, denen man mit einem solchen Test gedroht hatte.

Das Argument für das entwürdigende Verfahren von seiten der Kemalisten lautet, der Test diene dem Schutz des Kindes und gleichzeitig der Feststellung eines eventuellen sexuellen Missbrauchs. Die Realität sieht allerdings völlig anders aus. Die zwangsweise verordneten Jungfräulichkeitstests wurden 1999 in der Türkei verboten, nachdem fünf Mädchen aus Angst vor einer Untersuchung versuchten hatten, sich das Leben zu nehmen.

Die Mädchen, die in einem Waisenhaus lebten, waren spätabends nach Hause gekommen und sollten deshalb auf ihre Jungfräulichkeit untersucht werden. Daraufhin schluckten sie Rattengift und sprangen in einen Wassertank. Während sie sich im Krankenhaus von ihren Selbstmordversuchen erholten, wurde der Test nachgeholt. Der Fall löste Empörung beim liberalen Teil der türkischen Öffentlichkeit aus, und das Justizministerium verbot daraufhin die Anwendung des Tests gegen den Willen der betroffenen Frauen.

Die Befürworter der entwürdigenden Tests versuchen nun dieses Verbot zu umgehen, indem sie die Einwilligung der Eltern oder Erziehungsberechtigten zur Bedingung machen wollen. Doch gerade die Konfrontation mit den Familien bereitet den Frauen am meisten Angst und treibt sie nicht selten in den Suizid.

Neben der generellen frauenverachtenden Haltung, die den Tests zugrunde liegt, ist es darüber hinaus üblich, diese Form der gynäkologischen Untersuchung bei politischen Gefangenen anzuwenden. So erhoben etwa die Anwälte der wegen PKK-Mitgliedschaft zu einer 15jährigen Haftstrafe verurteilten Deutschen Eva Juhnke Anklage vor dem Europäischen Menschenrechtshof.

Juhnke war 1997 im türkischen Südosten festgenommen worden. Anschließend wurde sie gezwungen, sich einem Jungfräulichkeitstest im staatlichen Krankenhaus von Hakkari zu unterziehen. Nach der Aussage von Juhnke wurde sie damals an den Händen und Füßen von Soldaten festgehalten. Juhnkes Klage war damals vom Gouverneur von Hakkari schlichtweg abgelehnt worden.