Prozess wegen der Tötung eines Arbeitsamtsleiters in Verden

Prekäre Maßnahme

In dieser Woche wird vor dem Landgericht Verden die Tötung des örtlichen Arbeitsamtschefs durch einen Erwerbslosen verhandelt.

Die Rede ist Bernhard Jagoda, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, vermutlich nicht leicht gefallen. »Der Tod hat nicht der Person Klaus Herzberg gegolten, sondern der Institution Arbeitsamt«, sagte er bei der Trauerfeier, bei der einer seiner Mitarbeiter beerdigt wurde. Wenige Tage zuvor, am 6. Februar dieses Jahres, hatte der arbeitslose Ingenieur Werner Braeuner aus Verden bei Bremen den Direktor des örtlichen Arbeitsamtes, Klaus Herzberg, getötet, einen 60jährigen Vater von zwei Kindern. Anschließend stellte er sich der Polizei, seither sitzt er in Untersuchungshaft. Am Freitag dieser Woche beginnt der auf vier Tage angesetzte Prozess vor dem Landgericht Verden. Die Anklage lautet auf vorsätzlichen Mord.

Die Staatsanwaltschaft kündigte bereits im Februar an, ein psychiatrisches Gutachten über den 46jährigen einzuholen. Doch auch wenn die Tat zunächst den Eindruck einer individuellen Verzweiflungsaktion erweckt, die Umstände, die dazu führten, deuten nicht darauf hin.

Braeuner war bereits seit acht Jahren arbeitslos, er lebte unter prekären Verhältnissen, die ihn schließlich aus dem Gleichgewicht brachten. Er hatte ständige Geldsorgen und litt unter seinen beengten Wohnverhältnissen. Zudem zerbrach im vergangenen Jahr einige Monate vor der Geburt seiner Tochter die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin. Er musste sich ein Zimmer im Nachbardorf suchen.

Im Juli 2000 hatte er sich um eine Weiterbildung bemüht, die ihm auch bewilligt wurde. Schließlich galt Braeuner wegen seines Alters und der angespannten Situation in der Branche als schwer vermittelbar - 57 000 arbeitslose Ingenieure sind derzeit beim Arbeitsamt gemeldet. Doch Ende November brach er die Maßnahme entnervt wieder ab. Ihm drohte deshalb eine Sperre der Arbeitslosenunterstützung, seiner einzigen Einkommensquelle. Eine Sperre ist jedoch nicht obligatorisch, sondern hängt von den individuellen Gründen ab, die zum Abbruch der Maßnahme führten.

Braeuner wandte sich in zwei Briefen an den Amtsleiter Klaus Herzberg. Er sei weitgehend zur Untätigkeit gezwungen gewesen, teilte er ihm mit, die Maßnahme entspreche in keiner Weise seiner Erwartung. Statt um eine Qualifizierung habe es sich um eine Beschäftigungstherapie gehandelt. Zudem wies er darauf hin, dass eine Sperre »eine weitere Verschärfung meiner Armutslage« bedeuten würde, »die ich als nicht mehr hinnehmbar betrachte«.

Als ihm Anfang Februar die Unterstützung gestrichen wurde, machte er Herzberg persönlich verantwortlich. »Ein Großteil Ihres Jobs besteht darin, langzeitarbeitslose Menschen zu schikanieren und dahingehend unter Druck zu setzen, blödsinnige 'Trainingsmaßnahmen' und unsinnige Weiterbildungen zu erdulden«, schrieb er. Kurz darauf erstach Braeuner den Amtsleiter vor dessen Wohnung.

In den Medien erregte der Fall wenig Aufsehen. Außer in der Lokalzeitung Weser-Kurier erschien nur in der Regionalausgabe der Bild ein Artikel über den Vorfall. Dort wurde Braeuner als Extremist dargestellt, der versucht habe, die Tätigkeit des Arbeitsamtes zu sabotieren. Angeblich war Herzberg am Morgen der Tat besonders gut gelaunt, wusste Bild zu berichten, da er mittags die Presse über die sinkende Arbeitslosenquote in der Region informieren wollte - »doch einer will das unbedingt verhindern«, hieß es in dem Boulevardblatt.

Der Weser-Kurier publizierte einen Artikel mit der Überschrift »Mord als ein politisches Fanal? - Tötung des Verdener Arbeitsamtschefs offenbar geplant«. Braeuner habe sich in dem linken Netzwerk Hoppetosse engagiert, das im Internet zu »kreativem Widerstand gegen den Kapitalismus« aufruft. »Er hat es getan, weil es ihm um ein politisches Fanal ging«, zitierte die Zeitung einen Bekannten des Angeklagten.

Tatsächlich ist Braeuner seit Jahren in der Arbeitslosenbewegung aktiv. Er tritt für eine radikale Arbeitszeitverkürzung und ein existenzsicherndes Einkommen für alle ein, er kritisiert die Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die nach wie vor der blinden Betriebslogik der Wachstum-schafft-Arbeitsplätze-Ideologie verpflichtet seien. Zudem übersetzte er Texte der französischen Arbeitslosenbewegung AC! (Agir ensemble contre le chômage! - Gemeinsam handeln gegen Erwerbslosigkeit!) und beteiligte sich an deren Internetforum.

Vielleicht waren es seine unbequemen Thesen, die ihn auch in der deutschen Arbeitslosenbewegung zu einem Außenseiter machten, vielleicht zog er sich wegen seiner zunehmend prekären Lage zurück. Jedenfalls reduzierten sich seine sozialen Kontakte zunehmend auf den Austausch im Internet. Vielen war er bekannt, doch die wenigsten kannten ihn persönlich. Nach seiner Tat gibt es kaum eine Reaktion von Seiten der Erwerbsloseninitiativen. Viele sind über die Tötung entsetzt, sehen darin eine Verzweiflungstat oder haben Angst, selbst kriminalisiert zu werden.

Monatelang geschah nichts. Erst als sich AC! einschaltete, wurde der Fall bekannter. Die Gruppe veröffentlichte einen Aufruf unter dem Titel »Die Freunde Werner Braeuners«, in dem auf die persönliche Vorgeschichte der Tat und vor allem ihre politische Dimension hingewiesen wurde. »Auch in Deutschland fällt der Regierung nichts anderes als mehr Kontrolle und Druck für die Arbeitslosen ein, anstatt die Ursachen zu bekämpfen.« Sei es denn unter diesen Umständen und ohne die Perspektive eines kollektiven Widerstandes so verwunderlich, wenn Einzelne verzweifeln und Amok laufen, fragte AC! in dem offenen Brief, den sie unter anderem auch an die deutschen Arbeitsloseninitiativen geschickt hat. »Es liegt an uns zu verdeutlichen, dass Handlungen solcher Art nicht einfach wie gewöhnliche Gerichtsfälle zu behandeln sind. Kriminell ist jene soziale Logik, die Menschen wie Werner in die Verzweiflung treibt«, schließt der Aufruf.

Doch auch auf das Rundschreiben erfolgte bislang kaum eine Reaktion. »Das ist keiner von uns«, würde es bei den Gewerkschaften und Arbeitsloseninitiativen heißen, beschreibt sein Anwalt, Michael Brennecke, die Situation. Er hofft, dass der Prozessbeginn den Fall nun wieder publik macht. Eine öffentliche Diskussion um die Hintergründe der Tat scheint auch das einzige zu sein, was Braeuner derzeit noch helfen kann. Bei einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.