Krise der SPD

Partei mit Macke

Niemand kann den Sieg der SPD bei der Bundestagswahl gefährden außer der SPD selbst.

Befinden wir uns schon in Zeiten der Kanzlerdämmerung? »Wenn man die Verantwortung, die man hat, nicht wahrnehmen kann, dann muss man sie abgeben«, sagte Gerhard Schröder auf der Klausur der SPD-Bundestagsfraktion am vergangenen Donnerstag. Völlig still sei es während seiner Rede gewesen, berichteten Teilnehmer der Sitzung, von einigen Abgeordneten sei das Kanzlerwort mit Bestürzung aufgenommen worden.

Es muss ein schlechter Stern sein, der gegenwärtig über dem Willy-Brandt-Haus, der Bundeszentrale der SPD in Berlin-Kreuzberg, steht. Und das liegt nicht nur an den Eskapaden des Verteidigungsministers Rudolf Scharping. Jenseits von peinlichen Mallorca-Urlaubsfotos und exzessivem Gebrauch der Bundeswehr-Flugbereitschaft erschüttern die SPD gleich mehrere Krisen.

Da war zum einen die Mazedonien-Abstimmung im Bundestag, bei der die rot-grüne Regierung zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt keine eigene Mehrheit zustande bekam und der Einsatz der Bundeswehr nur mit Stimmen der Opposition auf den Weg gebracht werden konnte. 19 Abgeordnete der SPD hatten gegen den Einsatz votiert und damit ihren Fraktionsvorsitzenden Peter Struck und den SPD-Generalsekretär Franz Müntefering auf den Plan gerufen.

Bei einer Sitzung des SPD-Parteirates am 3. September zeigte Struck sich überzeugt, dass nicht alle Abweichler aus Gewissensgründen mit Nein gestimmt hätten. Er äußerte den Verdacht, dass einige »dem Kanzler, Scharping oder mir eines vor den Bug geben wollten«. Und Müntefering bekräftigte nach der Sitzung: »Ein solches Abstimmungsverhalten darf es nicht wieder geben.« Die Abgeordneten müssten sich darüber im Klaren sein, dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur SPD in den Bundestag gewählt worden seien.

Diese Drohung Münteferings jedoch war taktisch äußerst unklug. Sie kam bei der Parteibasis gar nicht gut an, einige der 19 Abweichler zeigten sich empört. Bernd Reuter etwa sagte dem Hessischen Rundfunk: »Wir haben nach unserem Gewissen und in Übereinstimmung mit der Verfassung entschieden.« Er äußerte den Vorwurf, »dass manche in unserer Partei, die Funktionen haben, die Bodenhaftung verlieren.« Die Saarbrücker SPD-Politikerin Gudrun Roos sagte, sie erfahre seit der »Intervention von Müntefering und Struck« noch mehr Unterstützung für ihre Position in ihrem Wahlkreis. In einem Gespräch mit der Jungle World betonte sie, sie sei grundsätzlich gegen militärische Einsätze und werde auch gegen eine mögliche Verlängerung des Mandats in Mazedonien stimmen.

Zu der widerspenstigen Basis und dem Generalsekretär, der diese mit unverhüllten Drohungen auf Linie bringen will, gesellte sich dann auch noch ein Kanzler, der mit seinem Rücktritt kokettiert. Anstatt die 19 Abweichler als Beweis innerparteilicher Demokratie zu verkaufen und auf eine vergleichbare Uneinigkeit in der CDU/CSU-Fraktion hinzuweisen, wo ja auch einige Abgeordnete gegen die Parteilinie votiert hatten, entschloss sich die SPD-Parteiführung zu autoritären Hau-drauf-Methoden. Völlig besinnungslos verspielt die SPD so ihren Vorsprung vor der Union, den sie in den Umfragen bisher innehatte.

Dabei bringen die steigenden Arbeitslosenzahlen Schröder sowieso schon in Bedrängnis. Im Wahlkampf 1998 versprach er noch ihre Halbierung, später ihre Senkung auf 3,5 Millionen, und nun stiegen sie erstmals seit drei Jahren wieder und lagen im August über dem Stand des Vorjahres. Schröders Diktum von der »Politik der ruhigen Hand« erntet inzwischen nur noch Spott. Der Spiegel brachte ein Titelbild mit Schröder, die Hände in den Hosentaschen. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: »Dass es am Ende der Kohl-Ära noch schlimmer war, ist kein Trost und eine dümmliche Entschuldigung.«

Steigende Arbeitslosenzahlen, leere Gesundheitskassen, Streit mit dem Koalitionspartner um die Zuwanderung, und als ob das nicht alles längst genug wäre, auch noch der »liebestolle Verteidigungsminister« (stern), der sich von der Bunten mit seiner Freundin Gräfin Kristina Pilati-Borggreve turtelnd in der Badehose fotografieren und von der Flugbereitschaft der Bundeswehr zwischen Berlin, Frankfurt, Mallorca und Mazedonien hin und her fliegen lässt. Diese »Scharpingiaden« (Süddeutsche Zeitung) sprengen selbst die Bilderwelt der Neue Mitte. Jetzt »wo es ernst wird, planscht Scharping im Urlaub mit der Gräfin«, attackierte der CDU-Verteidigungsexperte Paul Breuer den ehemaligen Kanzlerkandidaten der SPD. Der Vorwurf könnte Scharping tatsächlich schaden, denn er lautet schlicht: Verrat an der Truppe.

Aber auch in der Regierungskoalition wächst die Kritik an Scharpings peinlichen Auftritten. Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, bekannte: »Ich bin irritiert, um es freundlich zu sagen.« Der stellvertretende SPD-Vorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Wolfgang Clement, gab dem stern zu Protokoll: »Wir alle sagen, der hat im Moment ´ne Macke.«

Wir alle? Gerhard Schröder stellte sich zunächst hinter den Minister mit der Macke. Scharping sei nichts vorzuwerfen, er habe die Richtlinien der Flugbereitschaft der Bundeswehr eingehalten. Doch ob sich die Öffentlichkeit von Schröders Worten so beeindrucken lässt wie die Basis der SPD, darf bezweifelt werden. Denn es häufen sich die Gerüchte, der »Vielflieger« Scharping (Bild) habe die Vorschriften nicht so genau eingehalten, wie behauptet. Einige Flüge des Verteidigungsministers mit der Bundeswehr könnten doch privater Natur gewesen sein. Vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages wollte Scharping am vergangenen Montag dazu Stellung nehmen. Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel betonte vor der Sitzung schon mal: »Ein Rückzug aufs Formale reicht nicht, es gibt auch eine moralische Verantwortung.«

Schröders Unterstützung für Scharping dürfte eher mit den anstehenden Wahlen in Hamburg und Berlin zu tun haben, als mit übermäßigem Vertrauen in den ungelenken Minister. Scharping wäre bereits das achte Kabinettsmitglied, das Schröder seit seinem Amtsantritt 1998 verlieren würde. Doch während eines Fronteinsatzes wechselt man nicht den Verteidigungsminister aus.

Scharping wehrte sich auf seine Weise. Für seinen Flug nach Mazedonien am vergangenen Donnerstag lud er kurzfristig die Journalisten aus. Wahrscheinlich um mit den Leuten ungestört zu sein, von denen er annimmt, dass sie ihn verstehen: »Die Soldaten freuen sich, dass sie einen immer präsenten und im Übrigen glücklichen Minister haben.«

Man hätte es ahnen können, dass jemand, der einen Fötengrill und einen Hufeisenplan imaginiert, Probleme mit der Wahrnehmung hat. Doch die Vorstellungskraft Scharpings diente 1999 wenigstens dem Kriegsziel. Was man heute nicht mehr behaupten kann.

Denn zu allem Ungemach plauderte er kürzlich vor der Presse auch noch die geheime Route aus, über die die deutschen Truppen aus dem Kosovo nach Mazedonien einrücken sollten. Aus Sicherheitsgründen mussten sie deswegen einen sechsstündigen Umweg fahren. Aber so ist er eben, »die nackte Kanone« (stern), der Bademeister von Mallorca, unser Verteidigungsminister der Herzen.