Innenministerkonferenz der EU

Die EU lässt den Laden runter

Die Innenminister nutzen die Gunst der Stunde zum Ausbau der polizeistaatlich überwachten Festung Europa.

Die Beamten der Europäischen Kommission und des EU-Rates sind im Allgemeinen taktvolle Menschen. Darum darf man annehmen, dass in den Büros des Brüsseler Eurokratenviertels am späten Nachmittag des 11. September die Bestürzung groß war. Auch wenn die Ereignisse in den USA den einen oder die andere vermutlich in der Annahme bestätigten, dass nun wenigstens die Arbeit des letzten Jahres nicht umsonst war.

Nicht an terroristischer Logistik und Entführungsplänen haben die Damen und Herren gesessen, sondern an Planungen zur Überwachung der gesamten Bevölkerung und zum Ausbau riesiger Datenbanken, an Verschärfungen des Strafrechts sowie an der Vernetzung von Polizeistellen und Geheimdiensten. Selten werden die Ergebnisse von solch mühsamer Arbeit einer breiten Öffentlichkeit präsentiert, doch diesmal war es anders.

Was am Donnerstag der vergangenen Woche im Brüsseler Ratsgebäude nach dem Treffen der EU-Justiz- und Innenminister vorgestellt wurde, war zwar schon von langer Hand vorbereitet worden. Da man aber das Bedürfnis verspürte, in irgendeiner Weise auf die Anschläge zu reagieren, die neun Tage vorher die Welt erschüttert hatten, bündelte man kurzerhand 37 geeignet erscheinende Akten und verkaufte sie mit einigem Brimborium als Europas Antwort auf den Terrorismus.

Darum geht es in dem dicksten Papier, das an diesem Tag besprochen wurde, zumindest dem Namen nach. »Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des Terrorismus« heißt das Dokument, das die Behörde des Innenkommissars Antonio Vitorino ausgearbeitet hat.

In Artikel 3 werden die »terroristischen Straftaten« aufgeführt, um die es unter anderem gehen soll. Neben klassischen terroristischen Kerntätigkeiten wie Mord, Entführung, Erpressung oder Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion findet man dort auch »widerrechtliche Inbesitznahme oder Beschädigung staatlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, Infrastruktur-Einrichtungen, öffentlicher Plätze und öffentlichen Eigentums«. So beschreibt ein EU-Beamter nicht das, was in Manhattan geschehen ist, sondern dass, was in Göteborg und Genua passierte. Die Bestätigung steht im so genannten explanatory memorandum: »Dies könnte zum Beispiel auch Akte städtischer Gewalt einschließen.«

Als Terrorismus gelten ab sofort auch »Angriffe durch Eingriff in ein Informationssystem«, sprich: Hacken. Wenn dergleichen dann auch noch in der Absicht geschieht, »die politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Strukturen eines oder mehrerer Länder ernsthaft zu verändern oder zu zerstören«, kann kein Zweifel mehr bestehen: Hier sind lauter kleine bin Ladens am Werk. Wenn der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung, egal wie er artikuliert wird, strafverschärfend wirkt, ist das die unselige Tradition der Hoch- und Landesverratsparagrafen. Auf der Basis eines gemeinsamen Terrorismusbegriffs soll nun auch ein europäischer Haftbefehl eingeführt werden, der die Auslieferung mutmaßlicher Terroristen beschleunigt. Einzelheiten sollen bis zum Dezember ausgearbeitet werden.

Wer wissen will, was militante GlobalisierungsgegnerInnen in Zukunft erwartet, wird im Rahmenbeschluss vom vergangenen Donnerstag ebenfalls fündig: jeweils bis fünf Jahre Haft für die genannten Delikte, zwei Jahre allein für die Androhung. Außerdem wird es den Mitgliedsstaaten freigestellt, weitere Sanktionen zu verhängen. Als Beispiele nennt der Entwurf »gemeinnützige Arbeit, die Einschränkung bestimmter politischer oder Bürgerrechte« sowie Geldstrafen.

Dass in dieser Liste auch die »gemeinnützige Arbeit« genannt ist, bestätigt, dass es offenbar nicht nur um klassische Schwerverbrechen geht, sondern dass tatsächlich auch politische Kleinvergehen - sprich: Randale bei Demos - künftig als Terrorismus behandelt werden sollen.

Die »Aberkennung politischer oder Bürgerrechte« dürfte demnächst die linke Diskussion beenden, ob man Wahlen boykottieren soll. Womöglich wird bald nichts anderes mehr übrig bleiben. Nebenbei wird auch noch das Strafrecht der meisten Mitgliedsländer verschärft. Für Mord muss die Höchststrafe künftig mindestens 20 Jahre betragen, ein Strafmaß, das im deutschen Recht überhaupt nicht vorgesehen ist.

Eine weitere zentrale Maßnahme, die von den Ministern und Ministerinnen beschlossen wurde, besteht im Umbau der Europolzentrale zu einer Schnittstelle der besonderen Art. Dort sollen in einer Anti-Terror-Arbeitsgruppe neben Polizeispezialistinnen auch Vertreter der nationalen Geheimdienste sitzen. Die im deutschen Grundgesetz festgeschriebene Trennung von Polizei und Geheimdiensten, die innerhalb des letzten Jahrzehnts schon sukzessive mit der Ausweitung der geheimdienstlichen Zuständigkeiten aufgehoben wurde, wird damit vollends obsolet.

Diese Dienststelle der Europol wird zwar auch in Zukunft relativ klein sein, ihre Aufgabe besteht aber hauptsächlich darin, »die richtigen Informationen in die richtigen Kanäle zu leiten«, also das Trennungsgebot systematisch zu unterlaufen.

Die Mitarbeit der Geheimdienste in der Behörde ist zwar zunächst nur für sechs Monate geplant, doch die Erfahrung hat gezeigt, dass Gesetzesverschärfungen nach so genannten Terrorakten auch dann besonders langlebig zu sein pflegen, wenn sie zunächst mit einem Verfallsdatum versehen wurden. Die Rasterfahndung, die in der BRD nach dem »Deutschen Herbst« 1977 eingeführt wurde, wird bis heute praktiziert. Nach dem Willen von Innenminister Otto Schily soll sie demnächst auf ganz Europa ausgedehnt werden.

Gleichzeitig soll der Zugriff von Polizeistellen und Geheimdiensten auf die Datenbanken von Behörden in anderen EU-Staaten erheblich vereinfacht werden. Auch hier handelt es sich um ein Projekt, das EU-Kommission und -Rat schon seit einiger Zeit verfolgen. Eine in der Umgebung des Rats angesiedelte Arbeitsgruppe entwirft ein einheitliches Anfrageformular, mit dem vor allem die Sprachbarrieren zwischen den Mitgliedsländern überwunden werden sollen. Die polizeiliche Zusammenarbeit in der Behörde Europol soll wiederum eng mit US-amerikanischen Ermittlern verbunden werden. Zudem beschlossen die EU-Finanzminister auf einer Sondersitzung am vergangenen Samstag in Lüttich, finanzielle Transaktionen und Geldwäsche möglicher terroristischer Organisationen zu verfolgen.

Die Datenbanken des Schengen-Informations-Systems (SIS), die damit erschlossen werden, sind schon jetzt zu rund 90 Prozent angefüllt mit den Daten so genannter unerwünschter Ausländer, denen die Einreise in die EU verweigert werden soll. Weil das aber offensichtlich nicht ausreicht, sollen einem Vorschlag der EU-Kommission zufolge demnächst auch die Daten aller Ausländer, die einen Visumsantrag gestellt haben, allen Staaten der EU zur Verfügung stehen.

Grünes Licht dürfte es demnächst wohl auch für den unter der Bezeichnung Enfopol bekannt gewordenen Plan geben, sämtliche Kommunikationsdaten - ob aus Telefongesprächen, Faxen, von e-Mails oder schlichtem Internet-Surfen - jahrelang aufzubewahren und für die Polizei und die Geheimdienste bereit zu halten. Die Vorbehalte, die bei der vorletzten Innenministerkonferenz Ende Juni allein Deutschland noch angemeldet hatte, dürften wohl als ausgeräumt gelten. »Wir sind entschlossen, alle rechtsstaatlichen Mittel gegen den Terrorismus aufzubieten«, kündigte Otto Schily am Rande des Brüsseler Ministertreffens an.