Iran sucht neue Verbündete

Satan oder Taliban

Die Islamische Republik Iran befürchtet wachsenden westlichen Einfluss in der Region nach dem Sturz der Taliban.

Zu Beginn des Ramadan ist im Iran ein altes Thema neu aufgewärmt worden: die Haltung gegenüber den USA. Der einflussreiche Freitagsimam von Ghom, Ayatollah Meshkini, erklärte, an jeder Unterdrückung, die irgendwo in der Welt geschehe, seien die Amerikaner beteiligt. Daher sei er sehr erstaunt, dass manche Verantwortliche im Iran, die »wohl den Dollar gerochen« hätten, sich für eine Verbindung mit den USA aussprächen, schrieb die iranische Zeitung Resalat am Samstag.

Der Freitagsimam von Teheran und Mitglied des Wächterrates, Ayatollah Mohammad Jasdi, ein politisches Schwergewicht, bezog sich positiv auf die Besetzung der US-amerikanischen Botschaft am 4. November 1979. Die iranische Jugend ansprechend, betonte Jasdi die Relevanz von Khomeinis Worten, der die 444 Tage währende Geiselnahme von rund 70 Botschaftsangehörigen als die »zweite islamische Revolution« bezeichnet hatte. Ob er bei den Jugendlichen damit punktet, steht auf einem anderen Blatt. Nach dem Fußballspiel Iran gegen Irland kam es am vergangenen Donnerstag nach Angaben des iranischen Student Movement Coordination Committee in verschiedenen Städten, u.a in Teheran, Esfahan und Schiraz, erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Regimegegnern auf der einen und Angehörigen der repressiven Organe der Islamischen Republik auf der anderen Seite. »Nieder mit den Unterdrückern in Kabul und Teheran« war ein beliebter Slogan.

Der ebenfalls wortführende Ayatollah Mehdi Ebadi betonte beim Freitagsgebet, dass sich an den Positionen des Iran zu den Parolen »Tod den USA« und »Tod Israel« nichts geändert habe. Er warnte vor Optimismus nach dem Sieg über die Taliban-Herrschaft in Afghanistan. Denn die USA verfolgten dort das Ziel, eine neue Regierung zu installieren, um eine Bastion im Osten des Iran zu errichten.

Damit formulierte Ebadi die Befürchtung der iranischen Mullahs, der US-Einfluss in der Region könnte nach einem Sieg gegen die afghanischen Taliban dauerhaft steigen. Darüber hinaus dürfte ihnen der westliche Versuch, in Afghanistan eine Regierung unter dem ehemaligen König Zahir Schah zu installieren, quer im Magen liegen. Ein Schah im Nachbarland nach dem Sturz des theokratischen Taliban-Regimes - das könnte auch der royalistischen Bewegung im Iran wieder Aufschwung verleihen. Deren Machtgelüste dürften wachsen, schließlich hatten die Mullahs im Jahr 1979 die Macht erst nach dem Sturz des iranischen Schahs, Reza Pahlewi, übernehmen können.

Diese Interessenlage erklärt die neuerlichen antiamerikanischen Ausfälle des iranischen Establishments. Die Anschläge vom 11. September hatten die iranischen Mullahs verurteilt, denn sie setzen auf Machterhalt im eigenen Land und keineswegs auf eine pseudo-revolutionäre internationale Konfliktstrategie wie Ussama bin Laden. Andererseits war der als liberal geltende iranische Staatspräsident Mohammad Khatami einer der wenigen, der auf der UN-Vollversammlung am vorletzten Wochenende die US-Kriegführung in Afghanistan offen kritisierte. Einseitiges Handeln, motiviert durch falschen Stolz und Zorn, so erklärte er, könne auch dazu führen, dass der Terrorismus noch gefördert werde.

In der Haltung zu den Taliban, ihren feindlichen Glaubensbrüdern, ist sich die theokratische Oligarchie Irans nicht einig. Seit Beginn der neunziger Jahre unterstützte das iranische Regime verschiedenen Fraktionen der heutigen Nordallianz, vor allem der schiitischen Hizb-i Wahdat, gegen die sunnitischen, von Pakistan protegierten Taliban. Noch im Juli forderte die NGO Human Rights Watch den UN-Sicherheitsrat auf, das gegen die Taliban verhängte Waffenembargo auch auf die Nordallianz auszudehnen, als deren Unterstützer neben Russland auch der Iran genannt wurde.

Inzwischen scheint die iranischen Führung auch andere Bündnispartner in Betracht zu ziehen. So berichteten die Middle East News, der iranische Kriegsminister Ali Schamkhani habe sich für eine Allianz mit bin Laden und den afghanischen Taliban ausgeprochen. Auch die Anhänger Khatamis vertreten keine einheitliche Auffassung in dieser Frage. Die hinter Khatami stehende »linksislamistische« Organisation der »revolutionären Mujaheddin« beispielsweise hatte sich für eine Unterstützung der Taliban ausgesprochen, was der Redakteur der Zeitung Resalat, Seyyed Morteza Nabawi, der ebenfalls Khatamis Aufstieg an die Macht unterstützt hat, als Verbreitung von Taliban-Gedankengut kritisierte.

Darüber hinaus existieren Hinweise, dass sich der iranische Staat auch militärisch in den Afghanistan-Krieg einmischt. Nach Berichten der exil-iranischen Nachrichtenagentur Iran Press Service (IPS) hat sich der Iran dafür entschieden, das herrschende Taliban-Regime gegen die USA zu unterstützen. Der Iran soll IPS zufolge 1 500 Männer, die zu den paramilitärischen Einheiten der Revolutionsgarden »Al Ghods« gehören, nach Afghanistan gesandt haben. Der im Iran lebende afghanische Warlord Gulbuddin Hekmatyar - möglicherweise ein As im Ärmel der iranischen Mullahs beim Machtpoker um die politische Zukunft Afghanistans - soll nach den US-Angriffen auf die Taliban und al-Qaida-Stellungen in Afghanistan in Dialog mit der al-Qaida und den Taliban getreten sein und etwa 5 000 seiner zuvor im Iran stationierten Heiligen Krieger nach Afghanistan geschickt haben, um die USA zu bekämpfen.

Insgesamt bleibt die iranische Politik gegenüber dem Westen widersprüchlich. Bereits am 9. November meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Iran 700 Geheimdienstmitarbeiter und Militärberater aus Bosnien, dem Sudan und dem Libanon zurückziehen will. Damit wird einerseits bestätigt, dass der Iran eine Mujaheddin-Brigade im bosnischen Zenica unterhalten hat. Andererseits kann sich das iranische Regime durch den Abzug ein besseres Verhältnis zum Westen erhoffen.

Einem besseren Verhältnis zu den USA steht allerdings die Haltung des Iran gegenüber Israel im Weg, dessen Existenzrecht die Mullahs ausdrücklich bestreiten. Indessen hat der russische Präsident Wladimir Putin Präsident George W. Bush und den Leitern einer jüdischen Organisation garantiert, dass Russland dem Iran keine Waffen liefern werde, die Iran befähigen könnten, Israel anzugreifen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der explizit geäußerten Sorgen der Beraterin für nationale Sicherheit der USA, Condoleezza Rice, die vor einer atomaren Aufrüstung des Iran gewarnt hatte.

Der 11.September hat die Koordinaten der iranischen Außenpolitik durcheinander gebracht. Noch ist unklar, wie die Theokratie auf die neue Lage reagiert.