Roel Bentz van den Bergs Pop-Essays

Profane Epiphanien

<none>

Roel Bentz van den Berg gehört mit Lester Bangs und Greil Marcus zu der Kategorie von Popkritikern, die den Essay nicht nur als Analyseinstrument nutzen, sondern ihn vor allem als Kunstform ernst nehmen. Während Bangs' Talent eher im Narrativen lag, sind Marcus und Bentz van den Berg Aphoristiker im besten Sinne. Ihre Stärke ist nicht so sehr die systematische Untersuchung des Gegenstandes, oft geht es ihnen nämlich gar nicht so sehr um das popkulturelle Phänomen an sich, sondern darum, was sich in ihm Existenzielles spiegelt -, es ist vielmehr ihr poetischer Witz.

Und zwar Witz in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, als die Fähigkeit, auch entfernte semantische Verwandtschaften wahrzunehmen. Sie laden die Kleinigkeiten des Populären durch einen Perspektivenwechsel, eine überraschende Analogie mit Bedeutung auf und transzendieren sie auf diese Weise. Insofern ist der Untertitel der neuen Aufsatzsammlung Bentz van den Bergs, »Magische Momente der Popkultur«, durchaus mit Bedacht gewählt. Es sind profane Epiphanien, deren er immer wieder teilhaftig wird.

Der Wortschatz des Sakralen ist aber noch in einem anderen Sinne legitim. Denn einer solchen Heuristik liegt tatsächlich ein religiöses Gedankenmodell zugrunde. Nicht umsonst zitiert der Autor so häufig die Patriarchen des Zen-Buddhismus: dass nämlich »alles in allem« steckt, dass auch das kleinste ephemere Detail Aufschluss gibt über das große Ganze, wenn man es nur recht zu lesen versteht.

Von dieser Gewissheit gestärkt, klettert Bentz van den Berg die Assoziationsleiter hinauf, kommt vom Hundertsten ins Tausendste: von der Beinarbeit Muhammed Alis zum Wesen aller Kunst; von Bob Dylans Verrat an den Folkies beim legendären Newport Festival zum Verhältnis von Konvention, Rechthaberei und künstlerischer Freiheit; von dem Hollywood-Gerichtsthriller »Nicht schuldig« und dessen Protagonistin, einer Bildhauerin, zur Funktion von Metakunst; von den Teletubbies zur Dialektik des Tröstens; von den Aliens im Science-Fiction-Kino zu unseren niederen Instinkten; oder vom nackten Oberkörper Iggy Pops zu Achilles und zur Psychologie des Berserkers.

In den besten Aufsätzen ist das eingängig, plausibel, leichthändig und von sprachlicher Eleganz, in einigen wenigen schlechteren wirken die Assoziationen etwas gewollt, gezwungen, oder aber man merkt ihnen noch zu sehr das tagelange Brüten darüber bzw. die Mühen des Formulierens an.

Es passiert auch schon mal, dass Bentz van den Berg über seine Verhältnisse schreibt. Dann wanken auf einmal »Zombies« über die Zeilen, die »aus der Nacht in ihre Gruft zurückkehren«, was ja eigentlich Vampiren vorbehalten bleibt. Aber eins zeigen diese Texte auf beinahe schon vorbildliche Weise: dass mit einem Essay, wenn er denn gelungen ist, grundsätzlich eine genauso starke ästhetische Suggestion erzielt werden kann wie mit einer Erzählung oder einem Gedicht. Roel Bentz van den Berg rehabilitiert das oftmals so bleichsüchtige, blutleere, ja bürokratische Genre. Was kann man Schöneres über einen Essayband sagen?

Roel Bentz van den Berg: Die unsichtbare Faust. Magische Momente der Pop-Kultur. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001. 239 S., 10 Euro