Die Kinoerfolge des Jahres

Self-fulfilling Prophecies

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Selten ist ein Drehbuch allein die Sache des Autors, und der Produktion liefert das Skript bestenfalls einen Teil der Verhandlungsmasse, die noch mit etlichen Interessen abgeglichen werden muss, bevor sie im geschnittenen Film ihre Form findet. Auch Bücher könnten wohl kaum direkt als Vorlage eines Films verwendet werden, denn Bilder erzählen ihre Geschichte anders und außerdem haben sie neben den schon entstandenen Phantasien der Lektüre zu bestehen. Anlässlich der letzten beiden annoncierten Kinokassenschlager des Jahres 2001, »Harry Potter« und »Der Herr der Ringe«, hat die Kritik daher noch einmal alle möglichen Unterschiede oder Unvereinbarkeiten zwischen Buch und Film diskutiert. Auf der Leinwand aber wurde das ältere Medium wunderbar unzweideutig präsentiert, als wäre jedes Buch eine Bibel, und auch innerhalb der Filmerzählungen selbst sollte gedrucktes Wissen einen gewichtigen Akteur abgeben. So waren entscheidende Hinweise für den Fortgang des Abenteuers in Bibliotheken zu finden. Alte Dokumente, geheime Codes, die Geschichte eines Namens und exklusive Formeln korrespondierten mit den Vorschriften des vorzugsweise schmalen Pfads einer Handlung voller Rätsel.

Auf dem Höhepunkt der nur entlang einer einzigen Linie lesbaren Filmlandschaft ging es schließlich um die endgültige Verfügung über irgendein magisches Zentralding, den Stein der Weisen, den Ring der Macht oder ähnliche Super-McGuffins. Bücher gehörten also zu den Zeichen einer Welt dunkler Vermächtnisse, uralter Gesetze und raunender Berufungen. Sie wurden daher gern als noch handgemachte Kostbarkeit angefasst; jede Seite musste sich umschlagen lassen, als schreite im selben Moment die unwiederbringliche Zeit oder der Tod voran, und fiel das Ding aus seiner Staubwolke mal zu Boden, war das mindestens eine Erdbebenmeldung. Wahrscheinlich stand das Filmteam in diesen Sekunden seinen kostümierten Doppelgängern still gegenüber und dachte sich die Schweinslederrequisite vor der Kamera als Versprechen der Bedeutung des Drehbuchs.

Was immer vom Vormarsch des Kinos auf ein jüngeres Publikum und vom Einsatz so vieler Kinder auf der Starposition befürchtet wurde, ob es denn nicht bald zu Ende sei mit dem Buch oder nur noch Computerspiele konsumiert werden, die ähnlich linear wie die Filme oder ein Millionenspiel strukturiert sind ... der Erfolg von Harry Potter wirkte auf all diese Kulturuntergangswarnungen beruhigend: Die Kleinen würden jetzt immerhin wieder lesen. Rezensenten erlebten ihren Anteil an der kulturell wertvollen Sache allerdings mit gemischten Gefühlen, sahen sie sich doch, egal wie unmissverständlich ihr Verriss ausgefallen sein mochte, in eine Verkaufsmaschine eingespannt, die jede noch so abweisende Reaktion als eine Bestätigung ihres Ereignisses an sich reißt - wer weiß, ob das Interesse der Kinder an den Bestsellern nicht schon ähnlichen Gesetzen gehorcht.

Tatsächlich waren die Blockbuster-Filme in den USA bis Ende August 2001 von einem Verkaufsrekord zum nächsten gestürzt. Über »The Mummy Returns«, »Pearl Harbor«, »Tomb Raider«, »Planet of the Apes«, »Jurassic Park III« bis zu »A.I.« wurden beständig Einspielergebnisse überboten. Im September musste die Rekordserie unterbrochen werden, doch mit den letzten beiden Filmen kehrte die Ereignispolitik auf den Kinomarkt zurück, diesmal vor allem in Europa. Bleibt hinzuzufügen, dass die deutschen Kinobesitzer in diesem Jahr erstmals wieder an die seit langem vermissten Verkaufserfolge aus der Mitte der neunziger Jahre anschließen konnten. Das alles ist nun einigermaßen verwunderlich, denn anders als in den achtziger und neunziger Jahren wird die Offensive des Mainstreams seit Ende 1999 mit langweiligen, belanglosen und insbesondere im letzten Jahr mit bemerkenswert schlechten Produkten geführt.

In den USA war während der Erfolgsserie eine weitere Neuigkeit zu beobachten. Konnte am Eröffnungswochenende ein sensationeller Ansturm auf irgendeinen Film zusammengezogen werden, war er am nächsten Wochenende schon eklatant tief in der Gunst des Publikums gefallen, und nicht etwa, weil ein neues Superereignis ihn von seinem Platz verdrängt hatte. Die Sache ist nach einer Woche einfach vorbei und die Verkaufskampagnen rechnen mit dem schnellen Verfall. Mit aller Macht wird der Start durch ein hohes Anlauftempo zum Massenereignis gebündelt, weshalb zum Beispiel auch die Verleihbedingungen den Kinobesitzern diktieren, wie oft ein Film am Tag vorgeführt werden muss. Wenn Kritiker sich hier mit Recht funktionalisiert sehen und nicht einfach mit einer wohlwollenden Ankündigung dabei sein wollen, stehen sie vor einem strukturellen Problem, denn auch ihr Text braucht als Aufhänger das entscheidende Wochenende. Die Zahlen vom zweiten Wochenende lassen vermuten, dass die Strategie des Ereignisses den Erfolg von der Mundpropaganda freimachen will, dass sie also auf Empfehlungen oder Enttäuschungen des Publikums nichts mehr gibt und ihr Produkt einfach nur abwirft, egal was dazu gesagt wird.

Angesichts der Filme ist das wenig verwunderlich und es ist wohl kein Zufall, dass sie selbst ein Bild anbieten, das der Masse eine undankbare Rolle zuweist. Irgendwo im Reich des Guten schlummert das Böse, und wenn es durch Unachtsamkeit, leichtfertiges Begehren oder Neugier zur magischen Erweckung kommt, droht eine schwarze Flut des Verderbens sich in die Welt zu ergießen. Bald wird ein Heer von Kampfmaschinen losgelassen, und dann spielt die dumme Masse heranstürmender Fußvolkmonster die Gier und das Futter der Protagonisten, die an ihnen ihre furiose Kampf- und Killergymnastik exerzieren, ein Blutbad, in dem allerdings nur etwas Zeit gewonnen wird, denn letztlich hängen Arbeitslohn und Sieg doch von einem Wunder ab. Erst wenn die letzte Bühne der Vorsehung sich öffnet, wo den Guten das Gute und den Bösen ein schreckliches Ende zugeteilt wird, blinkt der Highscore auf dem Großmonster und die Sache ist entschieden.

Viele Blockbuster wie »Planet of the Apes« oder »Jurassic Park III« vertrauen nur mehr auf schon eingeführte Schauplätze, um sich an den Vorschriften des Bekannten dann lediglich im neu ausgelegten Parcours oder in erneuerter Aufmachung auszutoben, aber auch in der Handlung rücken die Filme auf ihren verschiedenen Schauplätzen näher zusammen. So erzählten »The Mummy Returns« und »Tomb Raider« kurz hintereinander fast dieselbe Geschichte, und mit ein paar Abweichungen auch »Der Herr der Ringe«: Zum Auftakt ein rasanter Kampf, dann der Schauplatz in der behüteten Heimat, die Macht des magischen Objekts, sein drohender Verlust, Expedition in ferne und fremde Landschaften, Wettlauf mit dem Bösen durch Höhlen, Pyramiden, Dschungel oder Irrgärten, eine Höllenmaschine, in der alle Dimensionen von Zeit, Raum, Geschichte, Körper oder Tod zur Disposition stehen, die Auserwählten beweisen sich im Zauberkreis, Schuss auf die Zwölf in der letzten Sekunde, Unheil bezwungen, also Rettung der ganzen Welt und schließlich Vernichtung des magischen Juwels durch die Guten - denn nach dem Rausch des Kriegs erwacht die Moral aus der Paranoia, behauptet, ihre Sache sei der Verzicht, und macht die Beute zur Last, die niemand anderer tragen wolle.

Vielleicht sind in der Filmindustrie ja die Rettungsboote knapp, sodass jeder Einfall sich auf dasselbe Modell drängt und jedes Drehbuch in ein Muster gezwängt werden muss, das nicht erst von Steven Spielberg bekannt gemacht wurde, wobei Indiana Jones noch weitaus frivoler ins Gefecht zog. Die Vorlage ist sogar älter als der Tonfilm, doch sie gehört zu seinen ersten Projekten, und zwar nicht nur als eine Idee mit ein paar zufälligen Ähnlichkeiten. Bis in die Details zeigt der Film »Die Maske des Doktor Fu Manchu« von 1932 die Struktur der ideologischen Märchen unserer Tage. Damals wurde um das Schwert des Dschingis Khan gekämpft, denn seine magische Kraft drohte, eine gelbe Flut der Hunnen im Osten auszulösen. Was heute am Anfang des 21. Jahrhunderts noch einmal mit Kostümen, Kulissen und Computereffekten aufgezogen wird, war allerdings schon in den dreißiger Jahren eine verstaubte Angelegenheit; in Hollywood werden die Wünsche wohl einer Leiche von den Lippen abgelesen.

Bemerkenswert ist aber auch, welche Bilder im Einzelnen wiederbelebt wurden. Der Unschuldsengel Harry Potter besucht beispielsweise eine Bank, in der lauter kleinwüchsige, buckelige, großnasige Segelohrenzwerge im schwarzen Zwirn über den Akten hocken. Das antisemitische Motiv der Geldratte ging ebenso locker von der Hand, wie die Segnungen der Korruption mit größter Selbstverständlichkeit vorgeführt werden. In der Vollversammlung am Schluss des Films schiebt der ehrenwert weißhaarige Gott-Herbergsvater seinen Lieblingen vor den Augen aller noch schnell ein paar Punkte zu und schon werden sie als Sieger gefeiert. Und Applaus im Kinosaal. In den meisten Filmen der Erfolgsserie agieren auf der Starposition Jungen kurz vor der Initiation ins wirkliche Leben und gern wird ihnen die Weisheit der Großvätergeneration als maßgebliche Bindung zugeordnet (ein Bündnis, das also hierzulande und in unserer Zeit der Nazigeneration gilt). Aber auch Lara Croft als einzige zentrale weibliche Heldin kämpft gehorsam nach den Anweisungen eines toten Herrn, der ihr einflüstert, wie sie eine ihr überlassene Kostbarkeit vor jedem Zugriff bewahrt. Das mysteriöse Uhrwerk ist gleichermaßen Keuschheitsgürtel, Rechenschieber und verschlüsseltes Geschlecht; es verrät in geradezu komischer Deutlichkeit den Zusammenhang zwischen einem Abwehrzauber im Dienste sexueller Enthaltsamkeit und Machtphantasien, für die sich die junge Frau zur unbezwingbaren Kampfmaschine steigert und Genuss als SM-Ritual vorturnt.

Einem gewissermaßen natürlichen Rassismus ist wohl auch zu verdanken, dass der in Neuseeland gedrehte »Herr der Ringe« seine in der Erde gezüchteten, triebhaften Monstermaschinen wie Maori vorführt, also eine Waffenschmiede als Brutstätte von Wilden verkauft. Verwechslungen dieser Art passen zu den Mysterien des Trödelladens, aus dem all die Super-McGuffins kommen und in dem eine Atombombe wahrscheinlich als Aschenputtels Puppe zu finden wäre. Daneben gefällt »Der Herr der Ringe« sich in einer aufdringlichen Gewähltheit seiner Sprache. Das unablässige Geschnörkel mit irgendwelchen getragen klingenden Namen begleitet eine Ansprache, die jeden der »Gefährten« immerzu innerlich aufrichten will, um ihm aus einer vermeintlichen Krise und irgendwelchen Zweifeln herauszuhelfen, eine Mobilmachung nach innen, die das Sprechen vom Widerspruch und Konflikt abrückt, um es in feste Formen nur mehr innerer Stimmen zu gießen. Geordnete Identifizierungen, bedeutsame Autoritäten und vor allem Versprechungen beschwören den permanenten Zuspruch, der mit wenig Konkretem auskommt und umso mehr den Ahnungen überlässt; er handelt kaum von den Verbindungen, die er bekräftigen will, und braucht insofern als seinen Antreiber Gefahren, die woanders sind.

Allen Filmen gemeinsam ist eine verschärfte Spaltung von Gut und Böse, die vehemente Vertiefung zu einem unveränderlichen und unvermischten Gegensatz, in dem es, wenn überhaupt, nur noch geringen Verhandlungsspielraum gibt. Das Medium dieser Ordnung ist das magische Objekt, das die Ereignisse von den sozialen Beziehungen trennt und Macht als kosmisches Gesetz installiert. Die Guten sind erwählt; sie folgen einem Ruf, der ihnen jede eigene Entscheidung erspart, sie aber beständig belohnt, und so tragen sie ihren Lammfellblick bis in die Schlacht. Das Abenteuer - oder genauer gesagt - der Krieg wird zur ungewollten Begegnung mit Monstern; sie braucht den schärferen Ton der Spaltung für das größere Maß an Schuld. Die Wesen der schlechten Seite dieser Konstruktion haben nur wenig Raum, sich zu figurieren; sie bleiben fremd, und kaum treten sie auf, schon gibt es ein Rasen und Toben, eine unkontrollierbare Katastrophe. Sie werden geschlachtet oder müssen erstarren und fallen als Trümmer zu Boden. Und dennoch sind diese vielgestaltigen Monster die eigentliche Domäne der Computertechnik, die an ihnen ihre Zauberkraft demonstriert. Ist es ein Zufall, dass die Flucht der modernsten Technologie in eine verstaubte Ausstattungswelt von zwei Ereignissen begleitet war: dem Einbruch am Neuen Markt und der Ankündigung von »Pearl Harbor« für den 25. Mai 2001, wobei diesmal die ganze Öffentlichkeit über den bevorstehenden Angriff im Bilde war?