Was bringt der 1. Mai

Jedes Jahr was Neues

Von Ivo Bozic

Zwei Uni-Professoren bringen mit einem eigenwilligen zivilgesellschaftlichen Konzept zur Befriedung des 1. Mai alles durcheinander.

Verkommt der berühmt-berüchtigte Kreuzberger 1. Mai zu einem Politzirkus, einem bunten Jahrmarkt der letzten linken Großstadthippies? Diese Frage stellt sich angesichts des geplanten Konzepts des Bündnisses um den FU-Professor Peter Grottian. Allerdings könnte man sie auch ganz lapidar mit der Gegenfrage beantworten, ob der 1. Mai in den letzten Jahren denn etwas anderes gewesen ist? Die Debatte hat begonnen, ist bereits eskaliert, und nur eines ist dabei sicher: Dass erst am 2. Mai feststehen wird, wer Recht gehabt hat.

Nachdem im vergangenen Jahr der CDU-SPD-Senat in Berlin erstmals die Revolutionäre 1. Mai- Demonstration der Autonomen verboten hatte und es wieder zu Straßenschlachten gekommen war, hatten sich zwei Professoren der Freien Universität, Wolf-Dieter Narr und Peter Grottian, vorgenommen, in diesem Jahr den ewig gleichen Ritus von Gewalt, Gegengewalt und Gegengegengewalt zu durchbrechen. Die Grundlage ihres Konzepts ist, die Polizei am 1. Mai aus dem Kiez rund um den Mariannen- und den Heinrichplatz fernzuhalten. Stattdessen soll ein großes Fest mit Diskussions-, Informations- und Kulturveranstaltungen an allen Straßenecken stattfinden.

Grottian ist sich sicher, dass die Präsenz von mindestens 40 000 Interessierten jedem Gewaltausbruch die Grundlage entziehen werde. Dieses Ziel werde jedoch nur bei einer vollständigen Abwesenheit der Polizei erreichbar sein, gab er in der letzten Woche auf einer Pressekonferenz in Kreuzberg zu bedenken. Die Anwesenheit der Polizei werde sofort zur Einstellung des Projekts führen, drohte er in Richtung Senat und Polizeiführung.

In der Tat bringt das Bündnis um Grottian den rot-roten Senat in ein gewisses Dilemma. Stößt man Grottian vor den Kopf und lässt die Polizei wie gewohnt aufmarschieren, wird die sicher zu erwartende Eskalation dem Senat und der Polizeiführung angelastet werden. Verzichtet Innensenator Ehrhart Körting auf eine Polizeipräsenz in SO 36, und es kommt dennoch zu Gewalt, wird ihm das ebenfalls angelastet. So gesehen ist das Projekt »Denk Mai Neu«, wie Grottian es nennt, durchaus eine spannende Offerte.

Aber auch für die autonome Szene stellt das Konzept ein Problem dar. Legt man sich mit dem Bündnis an und bringt das Projekt zum Scheitern, gerät man immer weiter in die Isolation und verscherzt es sich womöglich mit jenen bürgerlichen Linken, die noch im letzten Jahr halfen, das Verbot der 1. Mai-Demo zu umgehen, oder die zumindest dagegen protestierten, wozu die Autonomen allein vermutlich nicht in der Lage gewesen wären.

Schließt man sich dem Bündnis jedoch an, so unterstützt man ein zivilgesellschaftliches Projekt zur eigenen Befriedung, wie es in abgewandelter Form seit Jahren auch von der Polizei mit ihrem Aha-Konzept (Aufmerksamkeit Hilfe Appell) versucht wird. Noch dazu, wo das Motto des Projekts lautet: »Ein politischer und polizeifreier 1. Mai ist möglich«, was nahe legt, der 1. Mai sei in den letzten Jahren nicht politisch gewesen.

Das jedoch ist Unsinn. Zwar war er inhaltlich ziemlich beliebig und von einer ritualisierten und diffusen Militanz gekennzeichnet, aber unpolitisch war er nicht. Selbst blinder Zerstörungswille, wie man ihn sicher manch einem Steinewerfer nachsagen muss, ist immer noch Ausdruck einer Wut, die sicher nicht zufällig in der Staatsmacht ihren Gegner sieht.

Das dürfte auch den beiden Politologen Grottian und Narr nicht entgangen sein. Dass sie dennoch glauben, die Abwesenheit der Polizei reiche aus, um die jährlich nur einmal, aber dafür aus tiefstem Herzen revoltierenden Jugendlichen Kreuzbergs für ein schnarchiges Straßenfest begeistern zu können, wird ihnen von Kritikern als Naivität ausgelegt. Und in der Tat sind die Erfolgschancen eher gering.

Das Risiko ist dagegen enorm. Geht die Polizei auf die Forderungen des Bündnisses ein, und es kommt trotzdem zu einer Straßenschlacht, wäre dies für die Initiatoren ein Fiasko. Ob Naivität oder Wagemut - auf jeden Fall ist es ein Vabanquespiel. Zumal auch die Haltung des Senats und der Polizei zu diesem Experiment höchst ungewiss ist. Bisher sieht es so aus, als ob noch nicht einmal die Bereitschaft existiert, bis zum 1. Mai die in der Koalitionsvereinbarung versprochenen Kennzeichnungsschilder für Polizeibeamte einzuführen. An ein polizeifreies Kreuzberg kann niemand ernsthaft glauben.

Als einzige Gruppe aus dem linksradikalen Spektrum beteiligt sich die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) an dem Bündnis. Gleichzeitig will sie jedoch nicht auf die Revolutionäre 1. Mai-Demo verzichten, die sie in den letzten Jahren so ziemlich im Alleingang organisiert hatte. Dieser Spagat führte inzwischen zum ersten Eklat. Beim ersten Demo-Vorbereitungstreffen wurde der AAB vorgeworfen, mit »Kriegstreibern« zusammenzuarbeiten, weil auch Personen mit SPD- und Grünen-Parteibuch das Bündnis um Grottian unterstützen. Die AAB habe sich auf die Seite der Reformisten geschlagen, weshalb man nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten wolle und sie, ebenso wie die JungdemokratInnen, stante pede vor die Tür setzte.

Allerdings sagt dieser Vorfall noch nichts über die Diskussion in der Szene aus, da bei dem Treffen vor allem einige ältere Antiimps das Wort führten, deren Mobilisierungsfähigkeit eher gering ist. Dieselben Gruppen, die der AAB vorwarfen, falsche Bündnisse einzugehen, tolerierten die Anwesenheit einer PDS-Vertreterin, was bisher undenkbar gewesen wäre, weil Parteien und erst recht Regierungsparteien für die autonome 1. Mai-Demo bisher nicht als Bündnispartner in Frage kamen. Unter den AAB-Gegnern war auch das Palästina-Komitee, das zur Zeit zusammen mit einem anderen Bündnis, an dem auch ein Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung beteiligt ist, Aktionen gegen Israel vorbereitet. Dieses Bündnis plant, mit einem Palästina-Soli-Block an der 1. Mai-Demo teilzunehmen. Die palästinensische Gemeinde gehört übrigens von Beginn an zum Bündnis um Grottian, was für die antiimperialistischen AAB-Gegner aber kein Problem war.

Die autonome Szene indes ist, wie erste Debattenbeiträge im Internet und dem Szene-Blatt Interim zeigen, durchaus gespalten was das Projekt Grottians angeht. Zwar lehnt man das Befriedungsanliegen und eine eigene Beteiligung daran rigoros ab, allerdings wittert man auch Chancen zu neuen politischen Ansätzen jenseits des Anzündens von Mülleimern.

Aber was ist bei der ganzen Sache zu gewinnen? Die mit den geplanten Diskussionsveranstaltungen anvisierte Repolitisierung des 1. Mai wäre gleichzeitig seine Entpolitisierung. Die inhaltliche Aussage des 1. Mai in Kreuzberg war in den letzten Jahren eine radikale Ablehnung der nicht reformierbaren bestehenden Verhältnisse.

Genau diese Kompromisslosigkeit bildet den Kern des autonomen Selbstverständnisses und steht mit dem Projekt »Denk Mai Neu« zur Disposition. Unabhängig vom Umgang mit dem Bündnis um Grottian führt für Linksradikale - und da sind sich alle einig - nichts an einer eigenständigen 1. Mai-Demo vorbei. Ob sich die linke Szene in Berlin darauf verständigen kann?