Gerhard Schröder zu Gast bei Peter Schneider

Harmonische Untertanen

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»Denn es kannte nun die Servilität keine Grenzen mehr, es konnte der Kanzler gar nicht so viel speicheln, wie die Schriftsteller Speichel lecken wollten, und beinahe hätten sie den ganzen Kanzler weggeleckt. Wir aber hatten unsere Lektion gelernt. Was kommt hinter der intellektuellen Fassade der alten Achtundsechziger zutage, wenn der Lack ab ist und die Macht gute Laune hat? Der Untertanengeist. So ist die Berliner Republik.« So lautet das Fazit der Süddeutschen Zeitung über einen bunten Abend, der am Mittwoch vergangener Woche im Haus der Berliner Festspiele stattfand.

Der Schriftsteller Peter Schneider stellte sein Buch »Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen ...« vor. Neben Hans-Christoph Buch war auch Gerhard Schröder geladen worden, um zusammen mit den beiden 68ern, die spätestens seit der Wiedervereinigung ihren Frieden mit diesem Deutschland gemacht haben, über Schneiders Werk zu plaudern.

Alle Kommentatoren waren sich einig, es wurde eine langweilige Show. Denn zwar handelt das Buch von einem jüdischen Musiker, Konrad Latte, dem es gelang, in der Nazizeit in Deutschland zu überleben - auch er war an jenem Abend anwesend -, doch wenn der Kanzler kommt, dann wird von den Opfern geschwiegen. Dann sind Deutsche unter sich. Also wurde eine Frau aus dem Saal geworfen, weil sie feststellte, dass Schneiders Werk »antiisraelisch« (FR) sei, auch wurden andere kritische Stimmen vom Publikum niedergepfiffen.

So blieb es bei der Schleimstunde. Schröder erzählte launig davon, dass er Grass, Walser und Grünbein lese, und dass er das, was das Feuilleton gemeinhin gutheißt, auch gern gutheißt. Er merkte an, dass er die 68er-Revolte »verpennt« (taz) habe, da er während seines Studiums zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt habe, bis zwölf im Bett zu bleiben. Schließlich bekannte er sich noch zu den Gewerkschaften, zitierte Shakespeare, sprach von Kriegen, über sein Abitur und vielleicht auch übers Wetter. Es war also ein Abend mit einem jovialen Kanzler und zwei ihn anhimmelnden Literaten, die ästhetisch abgewirtschaftet haben, und daher auf Spektakel hoffen müssen. So ist der Wahlkampf. Und so ist der Untertanengeist.

Doch hat sich an diesem Abend und an den Berichten, die ihm in den Zeitungen folgten, noch etwas ganz anderes gezeigt: Alles ist Oberfläche. Das Buch ging unter. Die Einwände gingen unter. Konrad Latte wurde zur Randfigur degradiert. Er, dessen Schicksal den Anlass für das Buch und somit auch für den Abend bot, stand schließlich »vereinsamt am Rand« (Spiegel).

Dabei drehte sich noch nicht mal alles um den Kanzler. Sein Erscheinen fügte sich nur in eine Veranstaltung ein, die sowieso harmonischer nicht hätte sein können. Deutsche retteten Juden, Deutsche schreiben darüber und Deutsche reden davon. Und darüber wiederum schreiben die Feuilletons, die sich zwar kritisch geben, doch auch nicht die Anstrengung unternehmen, das Politische des Abends zu untersuchen. Lieber lästert man über die 68er, über ihren Kanzler, über das Publikum und alles andere. So wird auch ein Wahlkampfabend, der keiner sein will, zu keinem gemacht, und ein Kanzler, der sich privat gibt, bleibt eine öffentliche Figur, und alles bedeutet nichts. Juden, Deutsche, Künstler und Politiker, Kritikerinnen und Lobhudler, das alles ist nur noch eine einzige Suppe. Die reine Oberfläche. So ist die Berliner Republik.