Der Zweck heiligt die Vermittlung

Der neue Präsident der Bundesanstalt für Arbeit will die Behörde nach privatwirtschaftlichen Kriterien leiten.

Die schlechte Botschaft kommt aus Nürnberg. Rund 4,32 Millionen Erwerbslose zählte die Bundesanstalt für Arbeit (BA) im Februar. Die am Mittwoch dieser Woche vorgestellten Zahlen sind die höchsten seit sechs Jahren.

Die miesen Daten kommen nicht überraschend, steigende Arbeitslosenzahlen waren wegen der schlechten Wirtschaftslage in Europa und den USA schon seit Monaten vorherzusehen. Neu hingegen ist die Erklärung, die dafür geboten wird. Während üblicherweise mal die schlechte Konjunktur, mal der harte Winter herangezogen werden, gilt jetzt ausgerechnet die Behörde, die das Übel eigentlich bekämpfen soll, als Ursache der Misere. Seitdem der Skandal um die gefälschten Vermittlungsstatistiken bekannt geworden ist, scheint das Problem nicht mehr darin zu bestehen, dass es einfach nicht genügend Stellen gibt, sondern im Versagen der Behörde.

Dass mit den schlechten Nachrichten aus dem Reich Jagodas keine Wahlen zu gewinnen sind, weiß natürlich auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der noch bei seinem Amtsantritt die Zahl der Arbeitslosen halbieren wollte. Innerhalb weniger Tage hat er deswegen Konsequenzen aus dem Skandal gezogen, Jagoda in den Ruhestand versetzt und eine umfangreiche Reform der Bundesanstalt angekündigt.

Der neue Mann, der nun monatlich in Nürnberg die trübe Bilanz verkünden darf, heißt Florian Gerster (SPD). Der frühere Arbeits- und Sozialminister von Rheinland-Pfalz soll die lahme Superbehörde mit fast 90 000 Beschäftigten und einem Etat von 52 Milliarden Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre in ein florierendes Unternehmen verwandeln.

Wie das funktionieren soll, darüber hat sich der ehrgeizige Sozialpolitiker, der auch schon als Nachfolger von Rudolf Scharping gehandelt wurde, bereits viele Gedanken gemacht. »Das Wort Anstalt ist unerträglich«, klagte Gerster am vergangenen Samstag in der FAZ. Ihm sei ein »dynamischer« Name wesentlich lieber, so etwas wie »Bundesagentur für Arbeit« schwebt ihm vor.

Auch der Titel des Präsidenten, den er von seinem Vorgänger Bernd Jagoda (CDU) übernehmen muss, gefällt dem neuen Jobagenten der Bundesregierung nicht. Anstalt und Präsident, das klingt ihm alles zu sehr nach Behörde, Verwaltung, kurz: nach Ineffizienz. Stattdessen werde er »in sehr viel stärkerem Maße Manager sein und eine unternehmerische Aufgabe wahrnehmen«.

Seine Pläne stellte er bereits am vorvergangenen Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard Schröder vor. Die Behörde möchte er in einen »Dienstleister mit privatwirtschaftlichen Führungsstrukturen« umbauen, dessen Geschäfte ein dreiköpfiger Vorstand weitgehend selbständig leiten soll. Die langfristige Neustrukturierung der Bundesanstalt wird an eine unabhängige Kommission delegiert, die der VW-Personalvorstand Peter Hartz anführt.

Auch intern soll die Behörde marktwirtschaftliche Kriterien übernehmen. Kontrolle, Leistungsanreize und Liberalisierung sind dabei die Stichworte, die vermutlich bei Gersters neuen Untergebenen nicht unbedingt große Begeisterung erzeugen werden. Erfolgreiche Vermittler sollen Leistungsprämien erhalten, unmotivierte Angestellte hingegen möchte er mit Hilfe von verdeckten Ermittlern kontrollieren.

Zudem will Gerster seinen Angestellten durch die Zulassung von privaten Vermittlern zusätzliche Konkurrenz verschaffen. Arbeitslose, die nach drei Monaten noch keinen Job gefunden haben, können sich dann an kommerzielle Agenturen wenden. Einen kleinen Schönheitsfehler hat die Sache allerdings. Der neue Job könnte manchen Erwerbslosen bis anderthalb Monatslöhne kosten - nach Angaben von Arbeitsminister Walter Riester (SPD) die Höchstgebühr, die private Vermittler nehmen können, wenn sie eine Festanstellung beschaffen.

Die Idee, dass Arbeitslose künftig für einen neuen Job auch noch zahlen sollen, stößt auch in der SPD auf Skepsis. Und mit seinen liberalen Vorstellungen von einer Neudefinition des Sozialstaates gehört Gerster dort nicht zu den beliebtesten Politikern. In seinem 1997 erschienen Buch »Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Gewinner und Verlierer im Sozialstaat« plädierte er, zum Ärger der Parteilinken, für einen Abbau staatlicher Leistungen und forderte mehr Verantwortung des Einzelnen. Im vergangenen Jahr schlug er eine Reform des Gesundheitswesens vor, bei der erhebliche Leistungskürzungen für die Versicherten vorgesehen waren.

Wenn der gelernte Diplom-Psychologe mehr Eigeninitiative fordert, weiß er, wovon er spricht. Schließlich sammelte er seine ersten Berufserfahrungen in den achtziger Jahren als freiberuflicher Personalberater. Anfang der neunziger Jahre wurde er zum Minister für Bundesangelegenheiten und Europa in der rheinland-pfälzischen Landesregierung ernannt, wo er 1994 das Ressort Soziales, Arbeit und Gesundheit übernahm.

In seinem Amt hat er vor allem mit dem so genannten Mainzer Modell auf sich aufmerksam gemacht. Das Kombilohn-Modell sieht vor, bei niedrigen Einkommen staatliche Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen zu gewähren. Damit sollen Erwerbslose angehalten werden, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Etwa 100 000 Arbeitslosen will er auf diese Weise einen neuen Job verpassen. Doch selbst Arbeitsminister Riester bezweifelt diese Zahl.

Seine sozialpolitischen Ambitionen will Gerster jedenfalls auch als Chef der Bundesbehörde weiterverfolgen. Er werde künftig in »gleicher Augenhöhe mit Riester« agieren, erklärte er stolz in der vergangenen Woche.

Seinen Amtsantritt benutzte er dann auch gleich dafür, seine umfassenden Reformvorstellungen zu präsentieren. Deutschland sei »zu langsam und zu schwerfällig, was die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen in der ergänzenden Beschäftigung angeht«. Daher sollten mehr Teilzeitstellen, Zeitarbeit, befristete sowie niedrig entlohnte Arbeitsverhältnisse geschaffen werden.

Gleichzeitig müsse man aber die Erwerbslosen dazu drängen, diese Stellen auch anzunehmen. Denn wer glaube, der Staat »könne relativ großzügig bemessene Hilfe dauerhaft gewähren, ohne die Motivation der Empfänger zu beeinflussen«, hänge einem »illusionären Menschenbild« an, sagte er dem Spiegel. Seiner Meinung nach soll die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld für Ältere »stufenweise reduziert« und zudem die Stütze für Langzeitarbeitslose gekürzt werden - auf maximal zwölf Monate.

Kein Wunder also, dass Gerster auch die Pläne der Bundesregierung unterstützt, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzufassen. Für ihn sei dabei klar, dass sich »das Niveau der Unterstützung künftig eher am Niveau der Sozialhilfe als an dem der Arbeitslosenhilfe orientieren wird«. Außerdem halte er es für sinnvoller, künftig an Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen zu sparen und dafür mehr Lohnkostenzuschüsse für gering Qualifizierte zu zahlen.

Mit seinen Plänen, ausgerechnet diejenigen, die zu alt oder nicht qualifiziert genug für den Arbeitsmarkt sind, mit Leistungskürzungen zu bestrafen, hat sich Gerster bereits den ersten Clinch mit dem Arbeitsminister Riester eingehandelt. Ein Sprecher des Ministeriums erklärte umgehend, dass Gerster seine Äußerungen vermutlich »noch als Minister von Rheinland-Pfalz getätigt habe, nicht aber als Chef der Bundesanstalt«. Als Präsident der BA habe er schließlich keine gesetzgeberische Funktion. Mit anderen Worten: Gerster soll von dem heiklen Thema erstmal schweigen.

Vor den Wahlen will die Bundesregierung vermutlich nicht so unpopuläre Maßnahmen wie etwa Kürzungen des Arbeitslosengeldes ergreifen und unter anderem einen Streit mit den Gewerkschaften riskieren. »Wer die Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe zusammenlegen will, wird mit den Gewerkschaften großen Ärger bekommen«, drohte schon mal der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske.

Doch für solche drastischen Einschnitte ist auch noch Zeit im nächsten Jahr. Und dass sie kommen werden, daraus hat die Bundesregierung bislang auch keinen Hehl gemacht. Sie bastelt bereits seit einiger Zeit an einer Änderung des Sozialgesetzbuches III, um so genannte intelligente Systeme der Arbeitsvermittlung einzuführen. Die rot-grüne Koalition folgt damit den Modellen der Arbeitsmarktpolitik, die in Großbritannien und Dänemark schon seit Jahren praktiziert werden. Welfare to work, New Deal oder Aktivlinie heißen dort die Programme, die Arbeitslosen schlecht bezahlte Jobs anbieten. Wer sie ablehnt, muss mit Sperrzeiten rechnen.

Die Maßnahmen sollen bewirken, dass Erwerbslose irgendeiner Lohnarbeit nachgehen, egal zu welchen Bedingungen und für welchen Lohn. Mit Florian Gerster hat die Bundesregierung sicherlich die richtige Wahl getroffen, um ihre Vorstellungen zu realisieren.