Musikmesse Pop Up in Leipzig

So klingt die Ostmoderne

Gejammert über die Krise der Unterhaltungsindustrie wird nicht. In Leipzig will man mit der Pop Up eine Popkomm von unten etablieren, die sich für Inhalte interessiert.

Manche Dinge bleiben immer gleich. Mitte August etwa trinkt sich die versammelte Unterhaltungsindustrie bei der Popkomm mit Kölsch am Rheinufer gepflegt unter den Tisch. Außer Spesen nichts gewesen, heißt es danach. Zumindest bei den kleineren und mittelgroßen Plattenlabels. Dabei war die Popmesse ursprünglich gerade für diese Labels ins Leben gerufen worden.

Kontakte knüpfen, Erfahrungen austauschen, Vertriebsdeals auschecken, die ganze Palette informeller Strategien sollte es hier einmal an einem Ort geben. Doch seit Jahren bleiben diese Anliegen auf der Strecke. Es klafft eine Riesenlücke zwischen der Realität und der zum Mythos gewordenen Messe als Kontaktbörse und Multiplikator.

Alles soll anders und besser werden, und zwar in Leipzig, wo man mal wieder auf die Idee gekommen ist, ein eigenes ernst zu nehmendes Festival mit angegliederter Messe und Diskussionsforum zu etablieren. Pop Up heißt die Veranstaltung, die sozusagen eine Popkomm von unten sein will, inklusive Showcases und allem Pipapo. Und das mitten in der so genannten Krise, von der die ganze Popbranche rumort.

Das Konzept will back to basics, Akteure zusammenbringen, die mehr mit der Musik und dem Biz verbinden als ihre Gehaltsabrechnung und irgendein aufgeschnapptes Gefasel vom »heißen Scheiß«. Das klingt dann so: »Jammern rettet die Welt nicht. Popmusik wahrscheinlich auch nicht, aber zumindest darüber kann man sich schon wieder streiten. Und wer Popmusik liebt, liebt es genauso, sich darüber zu streiten. Wir nennen das dann allerdings lieber Diskurs, was heißt, es geht zwar mit genau so viel Inbrunst zur Sache, aber es gibt einen Moderator.« So steht es im Festivaljournal.

Streit gab es in Leipzig in den letzten Jahren aber vor allem ums Geld. Denn die Pop Up ist nicht der erste Versuch, in dieser Stadt ein funktionierendes Musikfestival aufzubauen. Ihre Vorläufer scheiterten jedoch unrühmlich an finanziellen Problemen und hinterließen einen beträchtlichen Imageschaden, der es den diesjährigen Veranstaltern nicht leicht machte. Doch man gab sich einfach weiterhin optimistisch. Abgesehen von ein wenig Geld aus dem obligatorischen Alkoholika-Sponsoring wurden mit nichts als Idealismus, Enthusiasmus und sehr viel Arbeit die meisten Probleme überwunden.

Samstag, Messetag, die von der Hallendecke herabhängenden Banner verkündeten: Sex - Love - Pain - Hope - Style - Fashion - Peace - Music. Dem Geist, den diese Pop-Vokabeln, die mit Comic-Illustrationen versehen waren, symbolisieren, hätten wohl alle Anwesenden blind zustimmen können, bildeten sie doch den Rahmen dessen, was hier zur Diskussion stand, und waren wohlgemerkt völlig ironiefrei zu lesen. Als Gefühlsbarometer taugt Pop in seiner simplifizierenden Plakativität eben immer.

Unter den Bannern tummelten sich die Betreiber der Messestände und ein übersichtliches Publikum. Die vertretenen Labels hätten unterschiedlicher kaum sein können und rekrutierten sich aus dem Spektrum zwischen Gitarre (Tumbleweed, Firestation Tower), Indietronics (2nd Records, Doxa) und Club (WMF Records, Moon Harbour). Newcomer (Popdealer) waren genauso vertreten wie alte Hasen (What's So Funny About). Doch bei aller Heterogenität schmorte die Indie-Gemeinde doch weitgehend im eigenen Saft, die Gitarrenlabels waren einfach in der erdrückenden Überzahl. Labels mit musikhistorisch jüngeren Identitätsangeboten - wie etwa WMF Records - blieben Exoten. Alles in allem war das Ganze leicht bodenständig.

Man konnte ahnen, weshalb sich möglicherweise die Posse um das ewig angesagte Label Kitty Yo nach anfänglichem Interesse an Leipzig dann doch entschloss, lieber zu Hause in Berlin zu bleiben. Wahrscheinlich hätte der leicht schal gewordene Indie-Kontext, in den man sich in Leipzig begeben hätte, der eigenen, stets nach Höherem strebenden Marke eher geschadet als genutzt.

Ein Publikumsmagnet war diese Veranstaltung zwar auch nicht gerade, dafür fehlte es an bekannten Namen. Aber wen interessiert schon die Prominenz, wenn es darum geht, Überlebensstrategien für sein eigenes Dasein unter dem Banner von Pop zu entwickeln? Das Programm der Club-Events und Konzerte konnte Erfolge ohne Abstriche verzeichnen, das Publikum strömte, die Nächte waren lang, und die Konzerte kickten. Damit wurden all diejenigen beruhigt, die befürchtet hatten, die schiere Masse der Veranstaltungen könnte für diese Stadt einfach zu viel des Guten sein.

An allen sechs Veranstaltungsorten wurden die einzelnen Events autonom organisiert, jedoch im Zuge des Festivals gemeinsam promotet. Darunter waren Locations wie »Ilses Erika«, von der Uwe Viehmann (Spex) sich wünschte, er könne sie sofort, so wie sie ist, nach Köln »rüberbeamen«, weil es solch einen geilen Ort, wo es möglich ist, abzuhängen und sich gute Gitarrenmusik anzuhören, dort schon lange nicht mehr gebe. Einfach schon deswegen nicht, weil in Köln jede halbwegs okaye Kneipe meint, sie könne jenseits des Konsens-DJ-Flows nichts mehr bringen, ohne dass ihr die Kundschaft davonrenne. In Leipzig war das Gegenteil der Fall, wie der What's So Funny About-Labelabend mit Knarf Rellöm und den Monostars demonstrierte.

Also: Krise? Welche Krise? Doch das von Viehmann angesprochene Wegsterben guter Orte ließ sich bei näherer Betrachtung dann doch als symptomatisch für den gesamten Wirtschaftszweig Pop herbeizitieren. Schließlich verschwinden nicht nur die guten Locations, sondern gleichzeitig auch die konsensfähigen Platten und Künstler, auf die sich alle einigen können. Diese »wichtigen« Platten und Künstler wären aber auch weiterhin notwendig, um den Pop-Gedanken - begriffen als demokratisches Instrument zur Einmischung in Gesellschafts- und Kulturdebatten - überhaupt produktiv weiterführen zu können.

Somit also doch: Krise. Die Musikindustrie nämlich geschäftelt derzeit dreist an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen vorbei und ist dennoch verwundert, dass die Bereitschaft, mehr CDs zu höheren Preisen zu kaufen, immer weiter sinkt. Ganz so, als bewegten sich »Inhalte« völlig jenseits der ökonomischen Wertschöpfungskette und als könne die Entpolitisierung von Pop einfach folgenlos bleiben.

So waren sich die Gäste des Panels »Indie Major Media« über das Bestehen einer recht diffus wahrgenommenen, vermeintlichen Krise der Musikbranche weitgehend einig. Die A&R-Politik der Majors würde die gesamte Musiklandschaft killen, indem sie den Markt mit zum Himmel stinkendem Müll bewerfe, so die bekannte und auch hier artikulierte Kulturindustriethese.

Doch der Majorvertreter von Capitol/EMI verwies sofort auf das sinkende Niveau des Formatradios, auf das ein großes Label mit der eigenen Veröffentlichungspolitik letztlich reagieren müsse. Der MDR-Mensch wiederum machte sich mit seiner Bemerkung zum Verlust der »Sinnlichkeit« beim Plattenkauf, wofür er den MP3-Boom verantwortlich machte, eher lächerlich.

Mittendrin saß auch noch ein etwas nachdenklich dreinblickender Alfred Hilsberg, der mit der bahnbrechenden Erkenntnis aufwartete, dass sich die krasse Musik von Mutter wegen der »schonungslosen deutschen Texte« irgendwie nicht verkaufen lasse, Blumfeld mit ihren nicht minder unangepassten Statements hingegen wunderbar - wobei: auch nur die Single, das Album würde ja eh kaum jemand kennen. So in etwa lief es auf allen Panels ab.

Es ist dieser, wenn auch eher ergebnislose, aber immerhin wertvolle Einblicke verschaffende öffentliche Austausch von Standpunkten und Interessenlagen, der auf der Pop Up immerhin den Eindruck vermittelte, es ginge tatsächlich um mehr als bloßes Gejammer.