Erwerbslosenzahlen und Wahlkampf

Millionen Einzelfälle

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Die Massenerwerbslosigkeit auf höchstem Niveau bleibt eine Dauererscheinung. 4,018 Millionen Menschen in Deutschland waren im August ohne Job, das ist der höchste Stand im August seit mehreren Jahren. Die Arbeitslosenquote ging zwar im Vergleich zum Juli leicht von 9,7 auf 9,6 Prozent zurück, doch war das im Wesentlichen jahreszeitlich begründet.

Im vergangenen Jahr dienten solche Zahlen noch dazu, die Erwerbslosen zu diffamieren. Der Bundeskanzler blies zur Attacke auf die »Faulenzer«. Im Wahlkampf aber macht sich der ernste Staatsmann mit Sorgenfalten, entschlossenem Blick und energischem Kinn besser als der hemdsärmelige Büttenredner. »Die radikalste Arbeitsmarktreform, die dieses Land je gesehen hat«, kündigt Schröder nun im Wahlspot an. Und man darf sie ihm durchaus zutrauen. Denn selten zuvor hat es bei diesem Thema eine größere Koalition gegeben als heute.

Was in allen Parteien als notwendige »Arbeitsmarktreform« bezeichnet wird, ist in der Tat radikal: eine Verschärfung der Arbeitspflicht, härtere Zumutbarkeitsregeln, die Zusammenfassung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die Abschiebung von Erwerbslosen in Billigjobs, in Leiharbeit oder eben ins Nichts. Unter welcher Regierung auch immer, der »aktivierende Sozialstaat« wird ernst machen mit den Drohungen vom »Fördern und Fordern«.

Je mehr also gerade im Wahlkampf über Erwerbslosigkeit gesprochen wird, umso bedrohlicher ist das für die Betroffenen. Unter der Hand wird die Erwerbslosigkeit im öffentlichen Diskurs von einem gesellschaftlichen zu einem individuellen Problem. Wir haben es nicht etwa mit Millionen von Menschen zu tun, die entlassen wurden. Nein, es sind 4,018 Millionen Menschen, die sich falsch oder zu wenig qualifiziert haben, die zu unflexibel sind, die »vermittlungshemmende Merkmale« aufweisen oder die gar »nicht wollen«. Entsprechend wimmelt es im Jargon der Arbeitsmarktpolitik von »Diagnosen«, »Prophylaxen«, »Anamnesen« und »Persönlichkeitsprofilen«. Arbeitsmarktpolitik wird zu einer Form der Zwangstherapie.

Niemandem geht es um die Erwerbslosigkeit oder gar um ihre Beseitigung. Sinnvolle Jobs, von denen man auch leben kann, eine vernünftige Ausbildung, garantierte existenzsichernde Einkommen auch ohne Lohnarbeit, das Recht, Arbeit auch ablehnen zu können - das alles ist kein Thema. Es wird nicht für, sondern mit Erwerbslosen Politik gemacht; es ist eine Politik, der es am Ende nur um die Senkung der Lohnnebenkosten geht, Standortpolitik eben. Die Kosten der Erwerbslosigkeit will man verringern, mit Leistungskürzungen und Niedriglohnsektoren.

Was sich anbahnt, ist das Ende der Arbeitslosenversicherung. Warum soll in Zukunft in eine staatliche Pflichtversicherung eingezahlt werden, die im Fall der Fälle nur ein Jahr lang ein bisschen Arbeitslosengeld gewährt und danach nur Arbeit zum Sozialhilfesatz verspricht? Da drängt sich die private Zusatzversicherung doch geradezu auf. Was für die Rente und die Krankenversicherung gut ist, kann für die Arbeitslosenversicherung nicht schlecht sein: staatliche Sicherung an der Armutsgrenze plus private Sicherungssysteme. Es gibt kein besseres Mittel zur Senkung der Lohnnebenkosten, als die Unternehmer aus der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme ganz zu entlassen.