Generalstreik

Stillstand im Getriebe

Zum zweiten Mal in sechs Monaten legt ein Generalstreik das öffentliche Leben in Italien lahm.

Busse oder Taxen fuhren nur noch sporadisch, die Metro in Rom wurde acht Stunden lang geschlossen, Schulen blieben leer. In ganz Italien funktionierte der öffentliche Transport am vergangenen Freitag bestenfalls eingeschränkt, ebenso wie der Service in Banken, Postämtern und im Gesundheitswesen. Im ganzen Land beteiligten sich etwa zwei Millionen Menschen an 120 Kundgebungen und Demonstrationen, mehrere Millionen Beschäftigte legten ihre Arbeit nieder. An den Demonstrationen der Cobas nahmen in 22 Städten etwa 300 000 Menschen teil. In Rom zogen 40 000 Demonstranten unter dem Motto »Gegen den Haushalt und gegen den Krieg« durch das Stadtzentrum.

Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres hatten der größte italienische Gewerkschaftsverband CGIL, die Cobas und andere unabhängige Basisgewerkschaften zum Generalstreik gegen die Finanz- und Arbeitsmarktpolitik der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi und zur Verteidigung der Rechte von Arbeitern und Angestellten aufgerufen. Die Gewerkschaften wollten damit gegen die staatlichen Ausgabenkürzungen im Gesundheits- und Bildungsbereich, die inflationsbedingten Lohneinbußen und die Liberalisierung des Arbeitsmarktes protestieren. Für eine zusätzliche Mobilisierung sorgten die befürchteten Massenentlassungen in der italienischen Automobilbranche, die sich in einer strukturellen Krise befindet.

Den Protesten schlossen sich auch die oppositionellen Netzwerke der bürgerlichen wie der außerparlamentarischen Opposition an. Die Bürgerrechtsgruppen um den ehemaligen Staatsanwalt Antonio Di Pietro, die gegen den eigennützigen Umgang der Regierung Berlusconi mit dem Rechtsstaat protestieren, trafen Exponenten der globalisierungskritischen Bewegung, die eine Ausweitung des Generalstreiks auf illegale Arbeiter und Arbeitslose forderten und für die Einführung eines von der Arbeit unabhängigen Einkommens demonstrierten.

Die Gewerkschaftsverbände CISL und UIL nahmen hingegen nicht an dem »Streik für Italien« teil. Die beiden Gewerkschaften hatten bereits im Juli mit der Regierung und dem Unternehmerverband einen so genannten Pakt für Italien unterzeichnet, der unter anderem die Aushöhlung des Kündigungsschutzes vorsieht. Im Gegenzug erhalten sie finanzielle Mittel, um die strukturelle Arbeitslosigkeit mildern zu können und, was wohl wichtiger ist, die paritätische Beteiligung an den Fonds, die diese Mittel verwalten sollen.

Gegen den nicht »zeitgemäßen« Streik hatten sich auch einige um die Gewerkschaftseinheit besorgte Stimmen der parlamentarischen Mitte-Links-Opposition ausgesprochen. Tatsächlich war der Ausstand der erste seit über 40 Jahren, den die CGIL ohne die beiden Schwesterorganisationen durchführte.

Wegen der Ankündigung des Konzerns Fiat, 8 100 Stellen in seiner Automobilsparte zu streichen und zwei Werke, in Arese und im sizilianischen Termini Imerese, zu schließen, bekam der Generalstreik zusätzliche Brisanz. Erst im Frühjahr hatte der Konzern 2 900 Beschäftigte entlassen. Der aktuelle Sanierungsplan von Fiat würde voraussichtlich den Verlust von weiteren 50 000 Arbeitsplätzen in abhängigen Dienstleistungs- und Zuliefererbetrieben nach sich ziehen. Schon seit Jahren verlagert die Agnelli-Dynastie ihre Aktivitäten in der Finanzbranche, engagiert sich im Energiesektor und streicht in Beteiligungsgesellschaften in der Tourismus-, Kredit-, Handels- und Nahrungsmittelbranche Gewinne ein.

Der Verkauf der Autobranche an General Motors wird in Turin-Lingotto, der Residenz des Vorstands, nur unzulänglich als Umstrukturierung kaschiert. Auf die Absichten des Konzerns deuteten bereits dessen Angebote hin, strategische Sektoren aus dem Firmenimperium zu verkaufen. Allerdings fanden der Zulieferer Magneti Marelli, der Anlagenbauer Comau und die Metallgießerei Teksid bislang keine Käufer. Die Übernahme der überflüssigen Arbeiter in die zeitlich befristete Lohnausgleichskasse (cassa integrazione) bringt nun für den Staatshaushalt eine zusätzliche Belastung mit sich, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem der Industriellenverband der Regierung vorhält, die Rentenreform aufzuschieben.

Was diese Abwicklung aber für die betroffenen Beschäftigten des Turiner Unternehmens bedeutet, können vor allem Psychologen und Sozialarbeiter berichten. Seit 1980 haben sich 150 in der cassa integrazione befindliche Arbeiter Fiats umgebracht. Ein Leben außerhalb der Fabrik wird eben schnell als leer und verbraucht empfunden, wenn die Lohnarbeit, die Konkurrenz und der Konsum ringsum die Leitideen bleiben.

Und Fiat ist nicht der einzige niedergehende Industriebetrieb. Dass Städte wie Turin vielleicht bald zu Industriebrachen werden, kann nicht vorbehaltlos froh stimmen. An dem alten Betriebsgelände Alfa Romeos bei Mailand, mit dem Fiat spekuliert hat und das jetzt im Besitz der amerikanischen Versicherungsgesellschaft Aig/Lincoln ist, kann man sehen, dass die Ausbeutung bloß neue Formen annimmt. Dort werden nun unter prekären, gesundheitsschädlichen Bedingungen Abfälle verwertet und Haushaltsgeräte verschrottet.

Das Verfahren, dass die Gewerkschaften, gemeinsam oder separat, jahrelang schlechte Verträge mit der Konzernleitung abschlossen und Entlassungen akzeptierten, um - zuletzt doch erfolglos - den Standort zu retten, hat sich nicht ausgezahlt. Die Zeit der Räte und Fabrikbesetzungen ist entweder vorbei oder noch nicht in Sicht. Und die Arbeiter, die heute Bahnhöfe und Autobahnen blockieren, stellen eine hilflose, symbolische Militanz zur Schau, die ihnen sogar die Sympathie von Bischöfen, Senatoren und Bürgermeistern einbringt. Selbst der Vatikan findet den Krisenplan von Fiat unmoralisch.

Es ist vielleicht ein zusätzlicher Fehler der Gewerkschaften, den Arbeitern, die ihre Existenz mit der Autoindustrie verbinden, immer noch Hoffnungen zu machen, statt eine bessere, gesicherte Zukunft außerhalb der Fabrikgesellschaft zu organisieren.

Doch dieser Fehler liegt wahrscheinlich in ihrer Natur begründet. »Der Syndikalismus ist nichts anderes als eine Form der kapitalistischen Gesellschaft, nicht deren potenzielle Überwindung«, wusste schon der wichtigste Theoretiker der italienischen Kommunisten, Antonio Gramsci. »Er organisiert die Arbeiter nicht als Produzenten, sondern als Lohnabhängige, als Kreaturen also des kapitalistischen Regimes des Privateigentums, als Verkäufer der Ware Arbeitskraft.«

So verrichtete Guglielmo Epifani, der Vorsitzende der CGIL, vor roten Fahnen auf der Turiner Piazza San Carlo nur seinen Job, als er an die Regierung appellierte, die geplante Reform des Kündigungsschutzes zu unterlassen und bei Fiat zu intervenieren. Den Konzernvorstand kritisierte er wegen seiner verfehlten Produktlinie, mangelnder Investitionen und der inkompetenten Vertriebsstrategie.

Fausto Bertinotti interpretierte das Gefühl der versammelten Massen auf andere Weise. »Wir halten es nicht mehr aus!«, rief er den Demonstranten zu. Wenn die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen, so der Erste Sekretär der Rifondazione Comunista, dann stünde doch eigentlich die Revolution bevor.