Ökonomischer Wandel

Alles platt machen

Sein nukleares Rüstungsprogramm will Nordkorea nicht stoppen, doch mit der Errichtung von Sonderwirtschaftszonen soll der ökonomische Wandel eingeleitet werden.

Die heranfliegenden roten Raketen zielen auf das Capitol in Washington. Für den Fall, dass der Betrachter die Botschaft nicht verstanden hat, verkünden die koreanischen Buchstaben: »Wenn irgendjemand es wagen sollte, uns anzugreifen, werden wir als erstes die amerikanischen Bastarde vernichten!«

Kunstsinn und diplomatisches Taktgefühl waren noch nie die Stärken der nordkoreanischen Bürokratie. Die Enthüllung, dass Nordkorea sein militärisches Atomprogramm ungeachtet internationaler Verträge und eines Abkommens mit den USA weiterführt, sorgte Mitte Oktober in den Staaten der Region für Unruhe. Das Plakat im Stil eines Kriegscomic hängt allerdings in einer Schuhfabrik in Sinuiju, einem Ort, der für die zweite Option der nordkoreanischen Führung steht, für ökonomische Reformen und eine Annäherung an den Westen.

In Sinuiju, im Nordwesten der Demokratischen Volksrepublik Korea (DRVK) und gegenüber der chinesischen Grenzstadt Dandong, soll nach dem Willen der Herrscher in Pjöngjang die erste Sonderwirtschaftszone des Landes entstehen. Die geplante Oase für das internationale Kapital inmitten des Paradieses der Arbeiterklasse präsentiert sich allerdings wenig anziehend. Es ist eine Stadt mit 400 000 Einwohnern, viele von ihnen wirken sichtlich ausgezehrt. Tristesse, so weit das Auge blicken kann, Block an Block abbruchreife Wohnkasernen, still gelegte Industrieanlagen, kahle, komplett abgeholzte Berge, permanenter Stromausfall; selbst genießbares Trinkwasser ist nicht erhältlich.

Noch im November soll eine zweite Sonderwirtschaftszone in Kaesung nahe der südkoreanischen Grenze ausgewiesen werden. In der vergangenen Woche warb eine Delegation nordkoreanischer Wirtschaftsbürokraten im südlichen Nachbarland um Investoren. Zahlreiche Unternehmen zeigten sich interessiert, denn der Durchschnittslohn in Nordkorea beträgt weniger als ein Achtel, und es gibt dort keine renitenten Gewerkschaften.

Die glänzende Zukunft Sinuijus allerdings steht schon jetzt in Frage, denn die chinesischen Behörden haben den Hauptakteur des Projektes verhaftet. Yang Bin, ein chinesischer Orchideenexporteur mit niederländischem und seit neustem nordkoreanischem Pass, hat mit der Euro-Asia-Group ein Vermögen erworben, das vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf 900 Millionen Dollar geschätzt wird. Er sollte das erste kapitalistische Wirtschaftsexperiment leiten.

Am 16. September stellte Yang Bin in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang sich und seine Vorhaben der internationalen Öffentlichkeit vor. Er wolle eine hohe Mauer um sein neues Reich ziehen und die gesamte Bevölkerung Sinuijus »in das Landesinnere verfrachten«, wo schon jetzt hunderttausende Nordkoreaner auf der Suche nach Nahrung, warmer Kleidung und Brennmaterialien für den Winter durch das Land wandern.

Nach der Räumung wollte er »alles platt machen«, verschont werden sollten allein die »historischen Monumente«, womit offenbar die Denkmäler des stalinistischen Staatsgründers Kim Il-sung gemeint waren. Dann könnten 200 000 der »fähigsten Nordkoreaner« angesiedelt werden.

Für seine Sonderwirtschaftszone hatte er eine eigene, von Pjöngjang »absolut unabhängige« Legislative, Judikative und Exekutive vorgesehen. Er gab auch bekannt, dass ab sofort Visafreiheit in seinem Reich herrsche, nur die Nordkoreaner seien davon ausgenommen. Zumindest das war nicht mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-il abgesprochen. Nicht wenige Journalisten machten sich auf den Weg, um dann feststellen zu müssen, dass der Eiserne Vorhang weiterhin fest verschlossen war.

Yang Bins Aussage zufolge berief ihn Kim Jong-il persönlich auf seinen Posten. Er gab sogar an, demnächst in der nordkoreanischen Regierung mitzuarbeiten. Möglicherweise als Vizepremier, da sei er sich aber nicht ganz sicher. Bei seiner letzten Pressekonferenz in China auf das doch recht bedeutende Polizeiaufgebot in der Nähe seiner Residenz angesprochen, entgegnete er, das sei »ganz natürlich« für einen »nordkoreanischen Regierungsbeamten«.

Kurz darauf wurde er verhaftet, seit dem 4. Oktober sitzt er abwechselnd in Untersuchungshaft oder steht unter Hausarrest. Die chinesischen Behörden werfen ihm unter anderem Steuerhinterziehung in Millionenhöhe und illegale Landnahme vor. Yang Bin macht seit mehr als zehn Jahren Geschäfte in China, sodass die plötzliche Entdeckung seiner mutmaßlichen kriminellen Aktivitäten ein Signal an Nordkorea sein dürfte, einen anderen Gouverneur zu wählen. Kim Jong-il soll dennoch an ihm festhalten, ein Nachfolger zumindest wurde nicht ernannt.

Wegen jahrzehntelanger Misswirtschaft, der nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten ausgebliebenen Hilfe und der Blockade des Westens ist die Wirtschaft Nordkoreas komplett ruiniert. Obwohl die politische Führung die Unvermeidlichkeit ökonomischer Reformen erkannt hat, mangelt es bei der Realisierung noch an der nötigen Professionalität. Der wirtschaftlichen Annäherung an Südkorea und einigen konzilianten diplomatischen Signalen widerspricht zudem die Rüstungspolitik des Regimes.

Das militärische Atomprogramm ist nach den Erkenntnissen westlicher Geheimdienste weit fortgeschritten, zudem soll Nordkorea über große Mengen an chemischen und biologischen Waffen verfügen. Sogar um die Entwicklung von Interkontinentalraketen bemüht sich das verarmte Land, dessen konventionelles Arsenal jedoch hoffnungslos veraltet ist.

Die Unnachgiebigkeit in den Verhandlungen über einen Stopp des Atomprogramms kann aber auch als Versuch gedeutet werden, die Interessen der Führungsschichten zu wahren. Wie die chinesische will auch die nordkoreanische KP ihre Herschaft beim Übergang zum Kapitalismus erhalten; die Betonung der Kriegsbereitschaft signalisiert, dass man sich jede ausländische Einmischung verbittet.

Zudem gibt es in internationalen Verhandlungen außer der Militärmacht nichts, was die nordkoreanische Führung aufbieten könnte, um Zugeständnisse zu erreichen. 1994 stimmte Nordkorea einem Abkommen mit den USA zu, das als Gegenleistung für den Stopp der Atomrüstung die kostenlose Errichtung zweier Atomreaktoren vorsah. Möglicherweise glaubt Kim Jong-il, der US-Regierung sein Atomprogramm noch einmal verkaufen zu können.