Parlamentswahlen in der Türkei

Allah gewinnt

Parlamentswahlen in der Türkei

Allah gewinnt

von deniz yücel

»Allah-u-akbar«, skandierte in Ankara eine wütende Menge. Nein, es waren nicht die Anhänger der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die den Einzug der Sharia feierten. Es waren enttäuschte Anhänger der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die, ebenso wie fast die gesamte Konkurrenz, bei den Wahlen am letzten Sonntag den Sprung ins Parlament verfehlte. Einen überwältigenden Sieg hingegen errang die AKP. Dass extreme Rechte das Land regieren, ist nicht neu. Schließlich war die MHP mit ihrer »türkisch-islamischen Synthese« bislang als zweitgrößte Koalitionspartnerin an der Regierung Bülent Ecevits beteiligt.

Neu sind freilich die Mehrheitsverhältnisse. Dank der Zehnprozenthürde könnte die AKP mit ihren knapp 35 Prozent zusammen mit einigen parteilosen Abgeordneten sogar über eine verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit verfügen. So ging am Wahlabend ein neuer Begriff in die politische Literatur ein: die »Repräsentationsquote«.

Sie lässt sich gut am Beispiel der kurdischen Metropole Diyarbakir verdeutlichen. Hier errang die prokurdische Dehap über 56 Prozent, aber acht der zehn Mandate der Provinz gingen an die AKP, obwohl sie hier nur auf 15 Prozent kam. Mit fünf Prozent gewann die sozialdemokratische CHP die zwei anderen Mandate. Diyarbakir kommt deshalb auf eine »Repräsentationsquote« von 20 Prozent. Fast jede zweite türkische Wählerstimme ist nicht im Parlament vertreten, weniger repräsentativ kann eine repräsentative Demokratie kaum sein.

Außer der AKP wird nur die CHP im Parlament sitzen. Eine solche Konstallation gab es zuletzt nach der Einführung des Mehrparteiensystems im Jahr 1950. Aber nicht nur die neue Übersichtlichkeit in Ankara erinnert an die fünfziger Jahre. Wie heute die AKP konnte damals Adnan Menderes einen großen Teil des islamistischen wie des konservativen Lagers hinter sich vereinigen. Das Militär unterstützte im Geiste des Antikommunismus die Reislamisierung des Landes. Erst als Menderes einen offenen Machtkampf mit der Armee riskierte, kam es zum Putsch.

Damit ist jetzt nicht zu rechnen. Aber auf die Entscheidung des Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer, wen er mit der Bildung der neuen Regierung beauftragt, dürften die Generäle Einfluss nehmen. Der Vorsitzende der AKP, Tayyip Erdogan, scheidet aus, da ihm kürzlich das passive Wahlrecht entzogen wurde. Sezer muss aber nicht dessen Stellvertreter Abdullah Gül beauftragen, sondern kann genauso einen aus der konservativen Anap zur AKP gewanderten Politiker mit der Regierungsbildung betrauen. Der wirkliche Machtkampf hat erst begonnen.