Africa Apart

Verkehrsunfall oder Strafe Gottes?

Metaphernbildung und sprachliche Bildlichkeit im Kontext von Aids.

Mit Infektionsraten bis 40 Prozent in der erwachsenen Bevölkerung hat die Aids-Epidemie in den letzten zwei Jahrzehnten weit reichende Auswirkungen auf die Gesellschaften im subsaharischen Afrika gehabt. Besonders betroffen sind dabei die ohnehin oft fragilen Ökonomien sowie die Gesundheits- und Bildungssysteme postkolonialer Staaten. Auf einer weniger abstrakten Ebene haben das massenhafte Sterben und die tägliche Erfahrung von Leid und Schmerz aber auch tiefe Einschnitte in den Lebensalltag der Menschen gegraben. Nicht nur hat die Krankheit zu deutlichen Veränderungen in Familien, in Partnerschaften und in individuellen Biografien geführt. Auch hat sie sich nachhaltig auf Konzeptionen von Zukunft und Hoffnung und damit auf den individuellen und gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit, Tod, Risiko und Sexualität ausgewirkt.

Doch obwohl Leid, Armut und eine strukturell bedingte Gewalt - welche die starke Ausbreitung der Epidemie in weiten Teilen der Welt erst befördert haben (1) - mittlerweile zu festen Bestandteilen des Lebensalltags lokaler Bevölkerungen geworden sind, hat sich gerade auf den lokalen Ebenen ein oft sehr kreativer Umgang mit HIV / Aids entwickelt. Aus den Erfahrungen von Krankheit und Tod sind vielfältige kulturelle und künstlerische Ausdrucksformen entstanden, die diese Erfahrungen in Zeitungscartoons, in den Aufführungen zahlreicher community theatre groups, auf Mauerbildern oder auch in der Literatur mit einer manchmal fast erstaunlichen Kraft und Leichtigkeit thematisieren.

Der Bereich, in dem die kulturelle Auseinandersetzung mit Aids jedoch am unmittelbarsten eingesetzt hat und bis heute die stärksten Wirkungen zeigt, ist die Alltagssprache. Sehr schnell nach seinem Auftreten ist Aids in den meisten Sprachen Afrikas mit einer Bildhaftigkeit versehen worden, in der die Bedrohung durch die Krankheit in eine Fülle von Metaphern und Sprachbildern übersetzt wurde.

Die Metaphorisierung von Aids, die Susan Sontag Ende der achtziger Jahre für den westlichen Kontext beschrieb (2), ist somit auch in Afrika zu einem besonders kraftvollen Mittel geworden, durch das bestimmte Aspekte der stigmatisierten Krankheit im Alltagsdiskurs hervorgehoben und die mit Aids verbundenen Emotionen und Ängste auf lokal bedeutungsvolle Weise transportiert werden. Denn während Metaphernbildung weltweit ein Grundelement sprachlicher Dynamik ist (3), ist der Gebrauch von Metaphern bei Aids außergewöhnlich reichhaltig und auch besonders wirkungsvoll, insofern er zum Beispiel zur Stigmatisierung von Menschen mit HIV/Aids beitragen kann. (4)

Die Reichhaltigkeit und die Kraft sprachlicher Bilder sind zum einen dem Umstand zuzuschreiben, dass Aids so eng mit den Themen Sexualität und Tod verbunden ist, welche in vielen Ländern der Welt stark tabuisiert und selbst einer regen Metaphernbildung unterworfen sind. Zum anderen wird der lokale Blick auf die Epidemie in erster Linie von denjenigen Bildern und Metaphern bestimmt, die der Krankheit über die medizinische Beschreibung hinaus ihre eigentliche Färbung und Bedeutung im gesellschaftlichen Kontext verleihen.

So entfaltete sich in Metaphern wie der »Schwulenpest« erst die ganze Fülle gesellschaftlicher Bedeutungen und Stigmata, durch die der Blick westlicher Gesellschaften auf Aids in den achtziger Jahren geprägt war. In Uganda wiederum wird die Epidemie als »Vernichter der Menschheit« bezeichnet, in Tansania schlicht als »die Krankheit von heute«.

Die Wahl und die impliziten Bedeutungen von Sprachbildern im jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext können somit ganz unterschiedliche sein. In den westlichen Industrienationen hat vor allem der Gebrauch von Metaphern aus dem semantischen Bereich »Kampf« eine wichtige Rolle in der Biomedizin und im Alltagsdiskurs gespielt, um die Ausbreitung und Wirkung von HIV/Aids in gesellschaftlichen und in individuellen Körpern zu beschreiben.

Exemplarisch geworden ist die Verwendung von Kriegsmetaphern in einem autobiografischen Roman von Emmanuel Dreuihle, »Mortal Embrace«, in dem der Autor das gesamte Spektrum militärischer Begriffe zur Schilderung seiner Erkrankung heranzieht und den eigenen Körper zum »Schlachtfeld« seines Kampfes mit Aids macht. So schreibt Dreuihle im Prolog des Buches über seine »Begegnung mit Aids«: »Since the moment we met, I've been obliged to keep my decks cleared for action (no more fooling around with sailors), and I've invested everything in war bonds for our Defense Department: hospitals and medical specialists. I might even hoist defiant flags over the already invaded organs of my body, which has become a battlefield like Paris in 1871, torn between the opposing forces of the Commune and the Prussians.« (5)

Auch in Afrika haben Kriegsmetaphern teilweise Verwendung gefunden, gerade wenn die zahlreichen Aids-Programme zum »Kampf gegen Aids« aufrufen. In den meisten Ländern haben sich im Sprechen über Aids jedoch andere Metaphern und Sprachbilder durchgesetzt.

In Malawi wurde das HI-Virus als »gefräßiges Tierchen« visualisiert - ein Bild, das auch von Präventionskampagnen im Land eingesetzt wird, wenn diese das Virus mit dem Begriff »wildes Tier« (chirombo) umschreiben. (6) Angelika Wolf zufolge ist das Bild des fressenden Tierchens jedoch keine simple Gleichsetzung mit dem biomedizinischen Virusbegriff, es knüpft implizit an weitere gesellschaftliche Bedeutungsfelder an. So referiert die Metaphorik des Essens zum einen auf die Sinnhaftigkeit von Sexualität, die in Malawi oftmals mit dem Genuss der Nahrungsaufnahme gleichgesetzt wird und die vor dem Hintergrund der Aids-Epidemie »gefährlich« geworden ist. »Sex ist eine wohlschmeckende Frucht, aber auch bitter«, lautete die warnende Liedzeile bei einem nationalen Aids-Lieder-Wettbewerb.

Auf der anderen Seite findet der »fressende Aids-Wurm« seine Analogie im malawischen Diskurs über »gefräßige Hexen«, die in der Chewa-Gesellschaft als die Verkörperung anti-sozialer Kräfte gelten und denen nachgesagt wird, ihre Opfer - vorzugsweise bei Nacht - »von innen aufzufressen«.

Im östlichen Afrika wiederum ist die Aids-Epidemie, in ähnlicher Weise wie in Nordamerika, zu einer »apokalyptischen Metapher« (7) geworden und symbolisiert für viele Menschen eine »Strafe Gottes« und den nahenden Weltuntergang. Neben dem Gebrauch einer solchen Bildlichkeit in den Gottesdiensten der unterschiedlichsten religiösen Konfessionen hat die biblische Sprache in eine Präventionskampagne Einzug gefunden: die »Flotte der Hoffnung«, die Schutz vor der alles vernichtenden »Flut Aids« bietet. Auf Postern wird Aids zunächst als ein kleiner Fluss dargestellt, der zu einer riesigen Flut anschwillt und die Menschen überschwemmt. Auf weiteren Bildern sind Boote zu sehen, die mit den drei Wörtern Enthaltsamkeit, Treue und Kondom beschriftet sind. Die begleitende Aufforderung ist, sich jederzeit in einem der drei Boote aufzuhalten und sich in keinem Fall dem Wasser zu überlassen.

Die Entstehung der Kampagne selbst beschreiben die Initiatoren mit Worten, die an eine himmlische Eingebung oder eine Vision erinnern: »I suddenly felt: 'This epidemic is not a small stream which we can damn, it is a real flood.' And then I saw as in a dream Noah's Ark as described in the Bible and thought: 'Of course we can be saved by getting into a boat.' Looking at this Ark, I remembered that people are different and that they need different kinds of boats, to suit them all. Then I saw, as in a dream three boats named 'Abstinence', 'Fidelity' and 'Condom', a real fleet, 'the Fleet of Hope'.« (8)

Hansjörg Dilger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin, wo er sich zur Zeit mit seiner von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderten Dissertation zum Thema »Leben mit Aids im Kontext von Land-Stadt-Migration« befasst.

Anmerkungen

(1) Farmer, Paul (1996): On Suffering and Structural Violence: A View from Below; in: Daedalus, Vol. 125, Number 1: S.261-283.

(2) Sontag, Susan (1989): Aids und seine Metaphern; München et al.: Hanser.

(3) Lakoff, George und Mark Johnson (1980): Metaphors we live by; Chicago: The University of Chicago Press.

(4) Sontag, Susan, op. cit., S. 99f.

(5) Dreuilhe, Emanuel (1988): Mortal Embrace. Living with Aids; New York: Hill and Wang. S.7.

(6) Wolf, Angelika (1996): Essensmetaphern im Kontext von Aids und Hexerei in Malawi; in: Wolf, Angelika und Michael Stürzer (Hrsg.): Die Gesellschaftliche Konstruktion von Befindlichkeit; Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung. S.205-221.

(7) Palmer, Susan (1997): Aids as an Apocalyptic Metaphor in North America; Toronto et al.: University of Toronto Press.

(8) Joinet, Bernard und Theodore Mugolola (1995): The Fleet of Hope - Towards an Adapted and Personalized Aids Prevention Programme: Teacher's Book; Daressalaam.