199

Von Ivo Bozic

<none>

»Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Ob das israelische Kabinett an Immanuel Kant gedacht hat, als es die Freilassung von 199 inhaftierten Palästinensern als »Geste des guten Willens« beschloss, wissen wir nicht. Einer der vier Minister, die dagegen stimmten, der als möglicher Kandidat für die Nachfolge von Ministerpräsident Ehud Olmert gehandelte Shaul Mofaz, bezweifelte jedenfalls, dass die palästinensische Seite die Geste in erster Linie als guten Willen interpretieren werde, sondern wohl eher als Zeichen der Schwäche. Tatsächlich betonten Sprecher der Fatah sogleich, man fordere die Freilassung von Tausenden, nicht von Hunderten, und die Hamas sprach von einem »Sieg des Widerstands« und kritisierte zudem, dass nur Anhänger der Fatah, jedoch keine der Hamas freigelassen werden sollen.
Die Amnestie ist in Israel vor allem deshalb umstritten, weil ihr eigentlicher Zweck, den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und die Fatah gegenüber der Hamas zu stärken, als aussichtslos angesehen wird. Seit dem Oslo-Abkommen gab es mehrere solcher Amnestien, zuletzt im November 2007, geholfen haben sie den vermeintlich moderaten Kräften nicht. Außerdem wartet die israelische Gesellschaft eher auf einen Deal mit der Hamas, oder auch auf einen Schlag gegen sie, jedenfalls auf irgendeine Aktivität, die die Befreiung der Geisel Gilad Shalit erbringt. Auch dazu taugt die jetzige Amnestie kaum.
Dennoch kann sie womöglich dazu dienen, den Keil zwischen Fatah und Hamas tiefer zu treiben, wie es die Hamas auch empört kritisierte. Dies wiederum könnte darauf hindeuten, dass sich die israelische Regierung auch deshalb um das Vertrauen der Fatah-Seite bemüht, weil sie eine Wiederaufnahme militärischer Aktivitäten im Gaza-Streifen in Erwägung zieht, denn von dort aus wird der vereinbarte Waffenstillstand permanent gebrochen, der Raketenbeschuss auf Sderot hat kaum abgenommen. Stärke zu zeigen, ohne dabei Friedensverhandlungen zu gefährden, diese Kunst wird den Israelis seit Jahrzehnten abverlangt. Auch »Gesten des guten Willens« können Teil eines solchen Kunststücks sein. Gottfried Benn allerdings sah es so: »Kunst ist das Gegenteil von ›gut gemeint‹.«