Ein wenig foltern

von john philipp turn

Horst Dreier wurde nicht wie geplant zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Entgegen den sonst üblichen Geheimverhandlungen der großen Parteien herrscht über den Verfassungsrechtler Streit, er wird öffentlich kritisiert: von rechts und links. CDU und CSU lehnen den SPD-Kandidaten ab, weil er eine Liberalisierung der Stammzellenforschung für möglich hält. Dass ein im Reagenzglas gezeugter Embryo keine Menschenwürde haben soll, gilt der Union als gefährlicher Atheismus. Liberale und Linke haben ganz andere Vorbehalte gegen den Würzburger Professor: Heribert Prantl schrieb in der Süddeutschen Zeitung, mit Dreiers Meinung zur Folter werde die Würde des Menschen antastbar, Amnesty International schrieb einen offenen Brief mit ähnlichem Tenor.

Im Gegensatz zu einigen Kollegen spricht sich Dreier nicht explizit für die »Rettungsfolter« aus, aber verklausuliert: Das »Unabwägbarkeitsdogma« sei »anfechtbar«. Wenn die Polizei ein Entführungsopfer retten müsse, dann könne Würde gegen Würde stehen. In »Extremsituationen« wie dieser dürfe »der Rechtsgedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein auszuschließen sein«, schreibt Dreier. Die »Dreiersche Relativitätstheorie« (SZ) kommentierte Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erfreulich eindeutig: »Die bislang für das Selbstverständnis des Rechtsstaats konstitutive Meinung unterscheidet zwischen der Unterlassungspflicht gegenüber dem Tatverdächtigen und der Handlungspflicht zugunsten des Opfers.« Und sie stellt beides nicht auf eine Stufe, sondern räumt dem Folterverbot den absoluten Vorrang ein. Dass die Union sich über das Folterargument empörte, erklärten nicht nur Dreiers Freunde in der SPD für »scheinheilig«. Der Verfassungsrechtler selbst sagte, er bleibe dabei: »Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.« Die Debatte dürfte also weitergehen.