Die große Versöhnung

Die größte linke Partei Italiens hat beschlossen, sich aufzulösen. Die Mehrheit will mit ehemaligen Christdemokraten eine neue Demokratische Partei gründen. von catrin dingler, rom

Während der Feierlichkeiten verkündete der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano, der 25. April, der offizielle Gedenktag zur Befreiung vom Faschismus, sei »ein Fest aller Italiener«. Mit letzter Kraft hoben die geladenen Partisanen daraufhin ihre Fahnen und Wimpel in den Frühlingshimmel, doch von ihrem antifaschistischen Befreiungskampf war an diesem Tag nicht einmal mehr in den sonst üblichen rhetorischen Floskeln die Rede. Zufrieden konstatierte Ministerpräsident Romano Prodi in seiner Rede, Italien sei auf dem Weg zur nationalen Versöhnung.

Erst wenige Tage zuvor hatten die Demokratischen Linken (Democratici di sinistra, DS) ihre Versöhnung mit der aus ehemals christdemokratischen Splitterparteien hervorgegangenen Partei Margherita beschlossen. Auf einem extra einberufenen Kongress in Florenz bestätigten die Delegierten den zuvor per Urabstimmung von der Parteibasis mit 75 Pro­zent der Stimmen angenommen Antrag von Generalsekretär Piero Fassino, Italiens größte linke Partei aufzulösen, um zusammen mit der Partei Margherita, deren Vorsitzender der ehemalige römische Bürgermeister Francesco Rutelli ist, eine neue Demokratische Partei (Partito democratico, PD) zu gründen.

Dass die DS mit ihrer roten Vergangenheit endgültig abschließen wollten, war bereits an der ins Orange tendierenden Bühnendekoration erkennbar. In seiner Eröffnungsrede ließ Fassino keinen Zweifel daran, dass die »neue« Politik ihren programmatischen Ausgang nicht mehr im Jahr 1945, sondern 1989 nehme. Der PD sei »eine Partei für diejenigen, die 2010 20 Jahre alt sein werden«.

Nach dem Fall der Berliner Mauer war die »Wende«, und das hieß die Auflösung des Partito Comunista Italiano, beschlossen worden. Seit damals lautete das Ziel, die neue Partei der demokratischen Linken »in eine größere und schönere Sache«, wie Fassino erläuterte, zu verwandeln. Doch der Traum von dieser »Sache« blieb lange unerfüllt: Zunächst spalteten sich die Gegner der »Wende« ab und gründeten die Rifondazione Comunista. Mitte der neunziger Jahre formierten sich zudem der »Olivenbaum« und die erste Regierung Prodi.

Die Demokratischen Linken blieben in diesem linksliberalen Bündnis zwar stärkste Partei, verwandelten sich aber selbst immer mehr in eine liberale Kraft. Seit Ende der neunziger Jahre gab es deshalb eine parteiinterne Linke, die sich als so genannte große Strömung verstand, die die Parteilinie kritisch begleitete. Für Fassino und die Mehrheit seiner Partei soll mit der Konstitution der Demokratischen Partei diese lange Phase des Übergangs zu ihrem Ende kommen. Im Gründungsmanifest des PD heißt es: »Mit der Umwandlung des Olivenbaum­bündnisses zu einer Partei werden endgültig die ideo­logischen Mauern des 20. Jahrhunderts niedergerissen und die ideologischen Barrieren, die im vergangenen Jahrhundert die reformistischen Kräfte geteilt haben, überwunden.«

Die Gründung des PD wird als »historische Notwendigkeit« präsentiert. Obwohl sich das nach alter geschichtsphilosophischer Konstruktion der Weltgeschichte anhört, beteuert der Generalsekretär, es handle sich um eine »neue Philosophie für ein neues Jahrhundert«. Tatsächlich ähnelt Fassino weniger dem majestätisch voranschreitenden Hegelschen Weltgeist als einem von den Wirren des Zeitalters aufgeschreckten Gespenst.

Die neue Partei entsteht nicht aus einer gesellschaftlichen Bewegung, sondern als Fertigprodukt zweier Regierungsparteien. Deshalb freute sich vor allem Ministerpräsident Prodi über die neue Einheitspartei. Selig lächelnd kündigte er zum Ende der laufenden Legislaturperiode seinen Rücktritt an: Sein »Lebenswerk« ist vollbracht.

Der Zusammenschluss mit den ehemaligen Christdemokraten verlangt von den Linken in der Diskussion um familienpolitische und so genannte ethisch sensible Themen weitgehende Zugeständnisse an die klerikal-konservativen Wertvorstellungen. Auch hinsichtlich der europäischen Positionierung des PD werden die Differenzen zwischen den beiden fusionierenden Parteien offensichtlich. Für die Demokratischen Linken ist ein Beitritt zur europäischen sozialistischen Partei selbstverständlich, doch die neuen Parteikollegen der Margherita schließen dies kategorisch aus, sie stehen dem bürgerlichen Lager näher. So kommt es, dass sich die DS vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich für die sozialistische Kandidatin Ségolène Royal ausgesprochen haben, während Margherita sich über den Erfolg des liberalen Francois Bayrou freut.

Konsequenterweise verkündete Fabio Mussi, der die »große Strömung« der linken Kritiker vertritt, sie seien nicht bereit, an der Konstitution des PD teilzunehmen und den Weg in die Mitte mitzugehen: »Wir bleiben hier stehen!« Mehr als zehn Prozent der alten Parteimitglieder sind seinem Antrag »Links. Für einen europäischen Sozialismus« gefolgt und werden nun eine eigene Gruppierung bilden.

Durch den Zusammenschluss der moderaten Kräfte kommen die unüberschaubar vielen Gruppen links von den DS unter Zugzwang. Für Franco Giordano, den Vorsitzenden der Rifondazione, steht fest: »Jetzt braucht die Linke ein neues Subjekt.« Vor allem im Parlament müsse die radikale Linke ein Zeichen setzen und zu einer Einheit zusammenfinden. Doch mit einem Zusammenschluss der Kritiker zu einer Partei ist nicht zu rechnen. Vorerst gibt es nur Vorüberlegungen und die Beteuerung der Parteiangehörigen, sich irgendwie an der Konstruktion einer neuen Linken für einen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« beteiligen zu wollen. Was genauso phrasenhaft klingt wie das Manifest des PD.

Die Linksliberalen wollen sich nun vom Erbe der kommunistischen Partei endgültig befreien und schreiben deshalb unkritisch die Demokratie groß, als ob diese nicht auch die »Geschichte einer Ideologie« wäre, wie der Philologe Luciano Canfora schrieb. Die radikale Linke schleppt dagegen Versatzstücke der kommunistischen Geschichte in die neue Weltordnung, doch als antiamerikanische Ressentiments, kulturalistische Iden­ti­fi­ka­tio­nen oder Glorifizierung lokaler Aufstände tragen sie nicht zur Emanzipation der gesellschaftlichen Verhältnisse bei.

Mussi zufolge käme es darauf an, dass sich die Linke aus dem Verständnis dessen, »was hätte sein können, aber nicht gewesen ist«, neu konstituiert, Tradition nicht verleugnet, aber auch nicht unreflektiert reproduziert. Dass es auf dem für Mai geplanten Treffen der verschiedenen Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen wirklich gelingt, die linke »Baustelle« in diesem Sinne einzurichten, ist eher unwahrscheinlich.