Im Schleudergang

Ihre Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Arbeiter und Angestellte des Waschmaschinenherstellers BSH in Berlin-Spandau streiken und durchqueren zu Fuß die Republik.

Rote Plastikwesten der IG Metall erinnern an die Arbeitskämpfe längst vergangener Zeiten, als es noch um Forderungen wie die 35-Stunden-Woche ging. Ziehen sich heute die Metaller rote Plastiksäcke über, kann man davon ausgehen, dass die Streikenden schon so gut wie arbeitslos sind. So ist es auch beim Streik bei der Bosch und Siemens Haushaltsgeräte GmbH (BSH) in Berlin-Spandau, dort, wo erst vor kurzem der Baumaschinenhersteller CNH den Großteil der Pro­duktion stilllegte.

Im Mai vorigen Jahres hatte die BSH angekündigt, die 1953 gegründete Waschmaschinenfabrik bis Ende 2006 zu schließen. Dies soll ungeachtet dessen geschehen, dass die BSH Marktführer ist und im Jahr dieser Ankündigung 500 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete.

Die Konzernleitung begründete die Schließung in erster Linie mit den angeblich vergleichsweise hohen Löhnen im Spandauer Werk. Der Betriebsrat reagier­te sofort mit eigenen Vorschlägen, wie Kosten eingespart werden könnten, und zeigte große Opferbereitschaft, um die bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten. Doch der Versuch der Lohnabhängigen, die besseren Managementkonzepte zu entwerfen, scheiterte. Nach langen Verhandlungen stimmten Mitte September schließlich 94,97 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik.

Da das deutsche Recht Streiks ausschließlich im Rahmen von Tarifkonflikten zulässt, wird offiziell für einen Sozialtarifabschluss gestreikt. »Aber ei­gent­lich streiken wir für den Erhalt unserer Arbeits­plätze, die Abfindung ist ja schnell weg«, sagt einer der jüngeren Arbeiter, der sich schon einen Wanderruck­sack auf den Rücken geschnallt hat. Denn an diesem Morgen findet im nebligen Spandauer Industriegebiet die Auftaktkundgebung für den »Marsch der Solidarität« statt. Die Streiken­den wollen bis nach München zum Sitz der Konzernleitung marschieren. Mit der »längsten Demo der Geschichte« wollen sie die Aufmerksamkeit der Medien wecken. Denn wenn man nicht mehr gebraucht wird, ist Streik allein kein besonders effektives Druckmittel. Fraglich ist jedoch, ob sich die Öffentlichkeit für Superlative wie den »längsten Streik« oder die »längste Demo« interessiert, und ebenso, ob sich Siemens von Negativschlagzeilen beeindrucken lässt.

Die Hoffnung der Protestierenden besteht darin, die Verhandlungsposition der Konzernleitung schwä­chen zu können, um so hohe Abfindungen auszuhandeln, dass eine Fortführung der Produktion billiger wäre als die Schließung des Werks. Im August vorigen Jahres hatte dies immerhin schon einmal funktioniert. Deshalb haben die Streikenden vor, die Produktion in anderen BSH-Werken zu stören und den Abtransport der fertigen Waschmaschinen, die auf dem Spandauer Werksgelände lagern, zu verhindern. Denn die fertigen Waren in Beschlag zu nehmen – das konnte man beim Streik bei CNH sehen, als wochenlang Bagger nicht ausgeliefert wer­den konnten –, ist ihr einziges materielles Druckmittel.

Jedoch nicht alle Beschäftigten sind solidarisch. Ein Teil der Spandauer Belegschaft, »hauptsächlich die Angestellten«, wie ein Arbeiter versichert, erledigten im brandenburgischen Nauen »Streikbrecher­arbeiten«. Und nach Nauen soll auch die Produk­tion der Waschmaschine »EuroWasher« verlagert werden. Deshalb sind die Berliner BSH-Beschäftigten nicht gut auf die Kollegen in Nauen zu sprechen. »Das sind keine Kollegen«, sagt einer der Streikenden entrüstet. Nauen ist schließlich das einzige nicht tarifgebundene Werk der BSH in Deutschland. Dort arbeitet man 43 Stunden pro Woche, und es werden niedrigere Löhne gezahlt. Zudem zeigt das Beispiel der geplanten Produktionsverlagerung, wie »Standortpolitik« in Deutschland funktioniert. Dafür, dass in Nauen 90 Millionen Euro in 50 neue Arbeitsplätze investiert werden, erhält die BSH vom Land Brandenburg fünf Millionen Euro Investitions­zulagen. In Berlin werden dafür mehr als 600 Arbeiter und Angestellte entlassen.

Die Entrüstung über den Unternehmensvorstand, der zugleich eine 30prozentige Erhöhung seiner eigenen Bezüge plant, ist groß. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der Senator und Bürgermeister Harald Wolf (Linkspartei) und der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, stehen mit dem Betriebsratsvorsitzenden Güngör Demir­ci und anderen Gewerkschaftern gedrängt auf einer kleinen Rednerbühne vor den Streikenden und ihren Angehörigen. Gemeinsam kritisieren sie in kämpferischem Ton die unsoziale Unternehmenspolitik und verweisen auf die im Grundgesetz verankerte Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Der »Marsch der Solidarität« solle der Konzernführung zeigen, worum es wirklich gehe – »nicht um die Rolex des Vorstands­mitglieds«, sondern um die »arbeitenden Menschen, die Siemens in Berlin erst groß werden lassen haben!« ruft Oli­vier Höbel, der Bezirksleiter der IG ­Metall.

Laut wird die Solidaritätsadresse des Parteivorsitzenden der SPD, Kurt Beck, beklatscht. Irgendwo aus der Menge schallt eine einzelne Stimme dagegen: »Arschloch! Die machen doch mit beim Sozialabbau.« Auch ein Bünd­nis aus Wasg, SAV und ähnlichen Gruppie­rungen bemüht sich um die Politisierung der frustrierten Beschäftigten und bekundet seine Solidarität mit dem Widerstand gegen die »volks­feindliche Politik«, wie es die MLPD formuliert.

Schließlich wird ein kleines Mädchen auf das Podest gehievt, das an diesem nebligen Morgen die klarsten Worte findet: »Es tut mir einfach leid, dass ihr eure Arbeit verliert und jetzt Hartz-IV-Empfänger werdet.« Da sich der Betrieb bei früheren Massenentlassungen bereits von vielen Beschäftigten mit kürzerer Betriebszugehörigkeit getrennt hat, sind vor allem ältere Arbeiter und Angestellte übrig geblieben, die auf dem Berliner Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben. Ein großer Teil der Beschäftigten ist türkischer, polnischer, vietnamesischer oder afrikanischer Herkunft, was es ihnen erschweren dürfte, eine reguläre Arbeit zu finden.

Trotz des kämpferischen Tons der Gewerkschafter herrscht eher Beerdigungsatmosphäre. Aber der »Marsch der Solidarität« zeige, »dass wir uns nicht so leicht klein kriegen lassen«, sagt einer derer, die sich auf den Weg machen. »Kein Widerstand ist ja auch keine Lösung!« Ziel der ersten Etappe ist Nauen, wo die Streikenden die Werkstore blockieren wollen. Vorige Woche verteilten sie dort bereits Kekse mit der Warnung: »Ohne Solidarität krümelt auch euer Arbeitsplätzchen.« In Charlottenburg wuschen sie am Mittwoch vergangener Woche die Wäsche von Passanten – per Hand, um darauf aufmerksam zu machen, »dass Berlin unsere Waschmaschinen braucht«. Die Aktion könnte aber auch zukunftsweisend sein. Schließlich geht der Trend weg von der industriellen Produktion, hin zur Dienstleistung. Wer braucht noch »EuroWasher«, wenn es jede Menge günstige Ein-Euro-Wäscher gibt?