Von weit her

Deutsch-türkische Familiensaga

von deniz yücel

Es war eine veritable Kriegserklärung, die Feridun Zaimoglu formulierte: »Eine weinerliche, sich anbiedernde und öffentlich geförderte Gastarbeiterliteratur«, schrieb er in »Kanak Sprak«, verbreite »die Legende vom ›armen, aber herzensguten Türken Ali‹« und lege »den Kanaken auf die Opferrolle« fest. Doch seine »24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft« unterschieden sich in der Übersetzung des deutsch-türkischen Kreols in eine poetische Kampfsprache, nicht aber in Arbeitsweise und Thema von der verschmähten »Gastarbeiterliteratur«. Man vergleiche nur Dursun Akçams vergessenen Band »Deutsches Heim – Glück allein« mit Zaimoglus Frühwerk.

Zehn Jahre und acht Bücher später kann sich Zaimoglu nicht über fehlende öffentliche Förderung beklagen. Auch bedient er nicht länger das Bedürfnis nach einer exotischen Ghettoromantik. Es existiert ohnehin nicht mehr. Inzwischen gilt der Multikulturalismus, der Zaimoglus Sache nie war, als raffinierte Verteidigungsrede von Ehrenmördern und Zwangsverheiratern, und mit ihm steht jeder Verweis auf Differenz unter Verdacht.

Angesichts dessen könnte man Zaim­og­lus neuen Roman »Leyla« als literarischen Beitrag zur Integrationsdebatte lesen. Darin schildert die Ich-Erzählerin ihr Aufwachsen in der beklemmenden Enge der anatolischen Provinz der fünfziger Jahre. Wie ihre Geschwister und ihre Mutter leidet sie unter der Armut und unter dem Haustyrannen: »Er ist der Kopf, und wir sind der Körper, ohne ihn sind wir nichts. Wir schwirren wie Schmeißfliegen über dem Abortloch.« Leyla erklärt nichts, sie schildert ihre Erlebnisse, was in Verbindung mit der nicht immer gelungenen kraftvoll-poetischen Sprache und dem atemlosen Präsens die Lesefreude zuweilen schmälert. Nach dem Umzug der Familie nach Istanbul wird die väterliche Autorität allmählich infrage gestellt. Der Roman endet mit Leylas Ankunft in Deutschland, wohin sie ihrem Mann folgt.

Zaimoglu zeigt den konfliktreichen, aber evidenten Wandel, dem die türkische Gesellschaft seit 50 Jahren unterliegt. Doch der Weg zur Emanzipation ist lang, länger als der von Anatolien nach München. Damit bewegt sich Zaimoglu erst recht im Horizont der »Gastarbeiterliteratur«. Nur wird daraus ein deutscher Familien- und Entwicklungsroman, der »weit hinten in der Türkei« spielt. Was Goethe als Inbegriff der Ferne galt, ist heute ein Ort der deutschen Vorgeschichte. Und die dürfte viele jüngere Deutsch-Türken nicht weniger befremden als deutsche Leser.

Feridun Zaimoglu: Leyla. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 527 S., 22,90 Euro