Next Exit Pussy

John Updikes »Landleben« ist von gespenstischer Nostalgie. Von Peter Praschl

Es ist sein 21. Roman, aber das Thema ist das gleiche geblieben. Ein Mann wird erwachsen, heiratet, zeugt Kinder, schläft mit den Freundinnen seiner Frau und den Frauen seiner Freunde, lässt sich scheiden, heiratet wieder – als könnte es das Rumoren dämpfen.

Ein Lebenswerk lang hat John Updike, mittlerweile 74, nicht viel anderes getan, als ein einziges Thema zu variieren, die Mysterien des Sex in den amerikanischen Vor- und Kleinstädten. Diesmal, in »Landleben«, besteht die Variante darin, dass der Sex schon erloschen ist und Rückschau gehalten wird.

Updikes Held Owen Mackenzie ist mit 70 in einem Alter, in dem sich nur noch das Langzeitgedächtnis versteift. Er kann die Namen seiner Golfpartner kaum noch behalten, er kann sich immer weniger daran erinnern, warum man überhaupt aufstehen, Haferflocken zum Frühstück essen und Einladungen zu Cocktailparties annehmen sollte, dafür aber umso präziser an die Vaginen, von denen er einst willkommen geheißen wurde. »Ihm enthüllte sich, dass ihre Fotze sich nicht so wie die von Phyllis anfühlte. Glatter, irgendwie schlichter, ihre Nässe weniger dick, weniger soßig, mehr eine Art Glasur.«

»Landleben« ist von recht gespenstischer Nos­tal­gie. Ein alter Mann hat tagaus, tagein nicht mehr viel anderes zu tun, als sich an den Sex zu einnern, den er einst hatte. In seinem Beruf als Software-Erfinder ist Owen zu behäbig, zu verstiegen, zu zögerlich gewesen, dass er dennoch wohlhabend wurde, verdankt er den Umständen, genauer einer lukrativen Marktbereinigung, nicht aber dem, was man einst »Verdienste« nannte. Die vier ehelichen Kinder, die er gezeugt hat, tauchen in seinem Bewusstsein so wenig auf wie sie in seinem Leben eine Rolle gespielt haben; um die Windeln, Zeugnisse, Schulbälle hat sich stets jemand anderes gekümmert.

Und auch an die beiden Frauen, die er geheiratet hat, weiß sich sein Langzeitgedächtnis nicht gerade episch zu erinnern. Die erste, er hat sie als Student kennen gelernt und zu seiner eigenen Verwunderung erobert, ist viel brillanter als er selbst gewesen, eine Frau, die sich von der Schönheit der Mathematik faszinieren lassen konnte. Bald aber wurde sie wie viele Frauen in der Epoche vor dem Feminismus an die home front abgeschoben, um Nachkommen zu gebären, dekorativ und verständnisvoll zu sein, so lange, bis irgendwann ihr Faszinationskapital aufgezehrt war.

Wie viel Schäbigkeit und Schuld man sich doch in so einem sortierten Kleinstadtmittelschichtleben einhandelt, denkt man beim Lesen ein ums andere Mal, aber Updike und sein Held kennen nur einen ein­zigen Notausgang, den der Männer, den in eine andere Pussy.

Die zweite Ehefrau, mit der Owen nun seit 25 Jahren verheiratet ist, hat sich zu einer Art Mutti entwickelt, ständig hinter ihm und seinen Tischmanieren herbosselnd. Er liebt sie dennoch, mit dieser romantischen Bockigkeit, die einem übrig bleibt, wenn die Gefühle keine Substanz haben und sich in den Details verschanzen müssen: Ihre blauen Flip-Flops! Ihre rosigen Zehen! Man ist beinahe gerührt davon, er muss sie wirklich lieben, wenn ihn ihre Flip-Flops, ihre Haut, ihre Haare immer noch so sehr entzücken, aber dann fällt einem gleich wieder auf, dass es im ganzen Buch zwischen den beiden kein einziges Gespräch gibt, das mehr wäre als Geplapper, ein paar menschliche Geräusche im Unterschied zum Knacken der Dachbalken und den Vögeln, die draußen in den Bäumen zwitschern.

Ein paar Mal in seinem Leben ist Owen an Frauen geraten, die ihn nicht so einfach davonkommen lassen wollten. Doch jedes Mal, wenn ihn eine herausgefordert hat und aus seinem Ängstlichkeits- und Schüchternheitspanzer hervorlocken wollte, hat er gekniffen und die Affäre beendet, um eine andere anzufangen, ein weiteres gebrochenes Herz hinter sich lassend.

Es sind die Untaten eines Feiglings, von denen Updikes Roman erzählt und von denen Männer selten eine Ahnung haben. Für sie ist das Leben eine Karriere, von einem erotischen Engagement zum anderen, Mackenzie versenkt sich in sie alle, voller Anbetung und Dankbarkeit.

Man liest so etwas gerne, weil man über Sex ja immer gerne liest und weil man es zu schätzen weiß, wenn einer das Genitale zu ästhetisieren versteht. Andererseits: Den lieben langen Tag von den sexy Clips aus seinem eigenen Leben heimgesucht zu werden und dazwischen durch die Wohnung zu tapern und mit der Frau ein wenig übers Wetter zu reden, ist eine Horrorphantasie.

Auch sonst ist Updikes Roman eine Zeremonie des Abschieds. Es passiert nichts Nennenswertes mehr in dieser Welt, es gibt bloß noch déjà vus. Die Kriege, die Erfindungen der Ingenieure, das Internet, die Politik, die Ehebrüche: kein Fortschritt mehr, lauter Plattheiten, had it all, seen it all. In deutschen Romanen würde man darauf vermutlich mit Altersmuffigkeit oder Großer-Alter-Mann-Zorn antworten, Updike reagiert mit Melancholie, der weitaus zivilisierteren Haltung. Sowieso mag man sich keinen Roman ausmalen, in dem ein 70jähriger Deutscher sich seinen Lebenserinnerungen hingäbe; es käme dabei ja doch nur Walser heraus, und die vergeudeten Körperflüssigkeiten wären auch andere.

Irgendwann in der Mitte des Romans stellt Updikes Held einer seiner Geliebten die eine Frage, auf die er nie eine Antwort gefunden hat: »Warum ficken Frauen?« Die Auskunft, die er erhält, ist nicht der Rede wert, eine amüsierte Bemerkung von der Art, wie man sie eben nach Orgasmen macht.

Die wahrhaftigeren Antworten – aus Lust, aus Mitleid, aus Verzweiflung, aus Einsamkeit, weil sich Männer sonst gar nicht interessieren würden, oder weil den Frauen auch nichts Besseres einfällt – bleiben Owen Mackenzie erspart. Und wahrscheinlich hat er es ja auch nicht wirklich wissen wollen. Geht alles weiter seinen geregelten Gang in den amerikanischen Kleinstädten und in Updikes Roman. Man schläft sich so durch die Gegend. Und sobald der Kater ausgestanden ist, erzählt man sich selbst, was für ein aufregendes Doppelleben man hatte. Viel ist das nicht. Aber immer noch besser als Opis Erzählungen vom Krieg.

John Updike: Landleben. Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel und Helmut Frielinghaus. Rowohlt, Reinbek 2006, 414 S., 19,90 Euro