Zerbrechlich wie Glas

Der Elektronikpopper Hausmeister hat eine neue Platte gemacht. Sie klingt romantisch und schön. von michael saager

Vor ein paar Jahren machte Hausmeister Listening-Elektronik. Inzwischen ist er beim komplexen Popsong mit Gesang angelangt. Eine ziemlich wunderbare Verwandlung.

Auf dem gemalten Cover der jüngsten CD des Bremers Christian Przygodda ist Lukas, sein Sohn, in einer narzisstischen Pose zu sehen: Die kaum vorhandenen Muskeln der Hühnerbrust gestrafft, ballt er seine Fäuste, winkelt die Ellenbogen an, presst die Lippen zusammen und lächelt ein leicht schräges, vielleicht sogar verschmitztes Siegerlächeln. Irgendetwas stimmt hier nicht, denkt man. Eigentlich ist Lukas mit acht Jahren (inzwischen ist er zehn) noch zu jung für ein derart heteromännliches Bild von sich selbst; und zu jung erst recht für die Ironie, die man auch darin lesen kann. Aber vermutlich hat ihn ohnehin sein Vater in diese Pose gerückt, um ihn anschließend zu malen. Bezeichnenderweise heißt das Album »Look At Me Now«.

Przygoddas Künstlername ist Hausmeister, was sich besser liest und schreiben lässt als sein bürgerlicher Name, bleiben wir also dabei. Plattentitel und Coverbild sind tatsächlich Teil eines kleinen ironischen Verwirrspiels. Sie sind eine Art sich selbst negierender negativer Kommentar zur Musik des Albums, die alles andere tut als lauthals auf sich selbst zu verweisen. Eher in sich ruhend, zurückgenommen, von größter Intimität ist sie. Die Pose des Jungen in Strumpfhose ist dabei selbst schon gebrochen; dergestalt verweist sie, so Hausmeister, auf die »Art wie im Popgeschäft immer alle sagen: Hier spielt die Musik!«

»Look At Me Now«, markiert eine deutliche Differenz zu zuvor erschienenen Hausmeister-Platten wie »Unser« (2001) und »Weiter« (2002). Dort ging es um sanft wippende Listening-Elektronik mit Songambitionen, die immer dann ausgebremst wurden, wenn sie sich gegen den Rest, den Nicht-Song, durchzusetzen suchten. Interessant und schön war das in jedem Falle, heiter beseelt, mitunter niedlich und verspielt.

Diese Leichtigkeit ist fort, aber man sollte deswegen nicht traurig sein – man bekommt etwas anderes, vielleicht sogar besseres: zwölf ziemlich kunstfertige, melancholische Popsongs, umgarnt von Synthiefäden und Streichern, gelegentlich unterbrochen von ein paar Dissonanzen. Der Rhythmus aus Drummachine-Sound und Schlagzeugspiel wogt im zurückgenommenen Tempo; Gitarre und Klavier spielen variantenreiche, mitunter klassische Figuren, die, wie die ganze Platte, nur schwer einzuordnen sind. Doch gerade weil diese Musik nicht ohne weiteres zu kategorisieren ist, hört man alles Mögliche heraus.

Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Hausmeister mit Artrock und Jazz groß wurde, vermeint man die frühen Genesis und Robert Wyatt herauszuhören. Ferner mag man an Brian Wilson denken, vor allem aber an den Act März, mit dem Hausmeister nicht nur den Hang zum raffiniert arrangierten Song teilt, sondern auch die Fähigkeit, aus einer intensiven musikalischen Sozialisation sozusagen traumwandlerisch Kapital zu schlagen. Bei beiden gibt es neben einem erstaunlichen Wissen über Musik offensichtlich auch so etwas wie einen intuitiven Zugang zum Songwriting und ein untrügliches Gespür dafür, wann ein Stück perfekt ist. Noch etwas verbindet Hausmeister mit sämtlichen herbeizitierten Musikern: die Liebe zum dreidimensionalen Klang, zur perkussiven Räumlichkeit, und eine Neigung zur Ausdehnung von Sequenzen und Geräuschen über den Augenblick hinaus – die Zeit scheint hier manchmal stillzustehen.

Zur typischen Musikjournalistenfrage über den tatsächlichen Einfluss fremder Musik auf die eigene fällt dem Multiinstrumentalisten Hausmeister allerdings kaum mehr ein als müdes Achselzucken. Er könne längst nicht mehr sagen, wo etwas herkommt, so »subtil« seien die Einflüsse seit einiger Zeit. Und beinahe apodiktisch fügt er hinzu: »Ich interessiere mich ausschließlich für meine eigenen musikalischen Visionen, was möglicherweise sehr platt klingt. Aber es war ein langer Weg dort hinzukommen. Genauer gesagt habe ich 25 Jahre dafür gebraucht.«

Einen Bruch zu früher markiert »Look At Me Now« auch in geschäftlicher Hinsicht. Mit seinem alten Label Karaoke Kalk, wo zuletzt das Album »Weiter« erschienen ist, hat Hausmeister sich entzweit. Die Label-Betreiber waren von den Stücken des neuen Albums nicht wirklich angetan: zu songhaft, zu viel Gesang auf Deutsch, insgesamt zu wenig vom »alten« Hausmeister sei zu hören. »Karaoke Kalk war kein guter Partner mehr für mich seit dem Zeitpunkt, an dem sich abzeichnete, dass ich Überzeugungsarbeit leisten müsste, um diese Platte dort machen zu können. Ich habe nun mal überhaupt keine Lust, jemanden von meiner Musik zu überzeugen.« Deshalb ist Hausmeister, der übrigens auch Bassist bei Go Plus war bevor sich die Band auflöste, jetzt unter Vertrag bei einem neuen, noch unbekannten Bremer Label namens Sopot. Und fühlt sich wohl dort.

Es gibt Menschen, die sich spätestens seit dem Quotengezerre dafür schämen, auf Deutsch zu singen. Hausmeister ist das egal. Er macht das seit 24 Jahren, seit er 14 ist, bemerkt aber: »Wäre ich Italiener, würde ich mich natürlich freuen, eine so schöne Sprache in mir zu tragen.« Womit wir wieder beim Klang wären, beim Klang seiner Stimme und der Worte, die er benutzt. Mit der Stimme sei in den letzten Jahren vieles passiert: »Ich habe daran gearbeitet.« Aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Und man kann das tatsächlich hören, nicht zuletzt, weil er im Gegensatz zu früher, als Gesang etwas eher sporadisch Verteiltes war, beinahe in jedem Song singt.

Es ist ein Gesang, der noch im Modus melodiebetonten Sprechens den Resonanzkörper nach sonoren, zärtlichen, beinahe schon intimen Klängen abtastet. Hausmeister presst nicht und hetzt nicht; er tupft sie ganz behutsam ins Mikrofon, seine Worte. Oder er lässt sie lange fließen. In diesem Fluss bekommen sie eine höchst charakteristische Form, die sehr gut wiedererkennbar ist. Offensichtlich geht es ihm um eine optimale musikalisch-poetische Korrespondenz zwischen innerer Stimmung und äußerer Expression, bei gleichzeitiger liebevoller Pflege charakteristischer Merkmale, wie dieser gläsernen Zerbrechlichkeit, die seinem Gesang innewohnt.

Wie gemacht für Hausmeisters Gesang sind die Texte, die, bestehend aus nur wenigen ausgesuchten Worten oder extrem verdichteten Situationen und Bildern, augenblicklich sehr viel Nähe beim Hörer zu einem imaginierten Du entstehen lassen: »Es ist das alte Lied / Prinzessin will, dass man sich um sie kümmert / soll bedeuten: sie vor ihrem eignen Leben schützt / und sie sitzt im Vakuum / wovor drückst du dich? / und wofür brauchst du mich?« Oder: »Am Ende stehst du da / Da ist noch immer dieses Licht / Das mal dein Leben war / So viel trinken kannst du nicht / Das hat mit dir zu tun / Da kannst du sagen, was du willst / Und es bewegt sich doch.«

Dieses Du, sagt Hausmeister, entstehe häufig aus einer Dialogsituation heraus, in die er sich mit sich selbst beim Texten versetze, einfach um ein Gegenüber zu haben, was es leichter mache, Dinge zu formulieren. Was nicht heißt, in seinen Songs ginge es nie um einen konkreten anderen Menschen. Bei einer Liedzeile wie »Komm, und sei mir nah« wäre das auch ziemlich absurd. Dass mancher Rezensent, nicht nur im positiven Sinne, seine Texte »romantisch« genannt hat, stört Hausmeister nicht, im Gegenteil. Denn was er macht, beschreibt er selbst als »Suche nach gewissen romantischen Verbindungslinien« zwischen Worten und dem Klang dieser Worte.

Ausnahmen gibt es freilich auch, sofern das Ende der Jugend nicht vielleicht auch ein semantisch verschobener, romantischer Topos ist: »Wir haben davon profitiert, dass das System funktioniert (…) Wir sind die Jüngsten unseres Alters / Vor unsren Vätern auf der Flucht / Wir war’n die Kinder ohne Zukunft / Du bist ein Sexsymbol – Kapitalismus.«

Hausmeister: Look At Me Now (Sopot Records)

Tourdaten: 14. Juli Göttingen, 15. Juli Berlin.