Zeit fürs Bewusstsein

raucherecke

Es beginnt wieder zu regnen, es wird Nacht, und der Bus ist endgültig abgesoffen. Auf dem Busbahnhof von Conakry in Guinea machte er einen ganz passablen Eindruck, doch der verschlammten Strecke nach Freetown im benachbarten Sierra Leone und den kleinen Seen, die er dabei zu durchschwimmen hat, ist der gelbe Toyota nicht gewachsen. Irgendwann kippt er bedrohlich zur Seite, wir fürchten schon, dass die dreckige Brühe durch das Fenster schwappen und das Gepäck auf dem Dach im Morast versinken wird. Die Jungs, die sonst dem Fahrer zur Hand gehen, tragen uns mehr oder weniger panische Fahrgäste durch knietiefes Wasser aufs Trockene.

Nach einigen Versuchen, den Bus wieder in Gang zu bringen, geben wir es auf. »Das soll nun die Entwicklung sein, die sie uns versprechen? Guck dir diese Straße an!« verschafft sich jemand Luft. Ein anderer belehrt ihn, Entwicklung bedeute vor allem Investitionen, und die fehlten nun mal. Nein, nein, heißt es darauf: Entwicklung, das sei genug zu essen, ein Haus, Bildung, sauberes Wasser, Strom und eben befahrbare Straßen, auch zur Regenzeit. All das lässt auf sich warten, drei Jahre nach Ende des Bürgerkrieges.

Ein paar hundert Meter weiter taucht ein Checkpoint auf. Die Polizisten sind freundlich, lassen uns unter das Vordach ihres Flachbaus und zünden ein Feuer an. »Aber geschlafen wird hier nicht«, stellt einer von ihnen klar. Vorsorglich dreht er das kleine Transistorradio bis zum Anschlag auf. Der Alte aus dem Bus lässt sich zwei leere Zementsäcke bringen und streckt sich darauf aus, wir anderen drängeln uns auf den schmalen Holzbänken.

Das Radio plärrt auf der Frequenz von Radio Unamsil, betrieben von dem im Land stationierten UN-Kontingent. »Conscious Time« heißt die Sendung, die Anrufer sind besorgt um die Sicherheit nach dem Rückzug der einst 17 500 Soldaten starken UN-Schutztruppe, der im nächsten Jahr abgeschlossen werden soll. Der Moderator missioniert in einer Endlosschleife: »Lasst uns vergeben und vergessen. Es gibt keinen anderen Weg.« Die Musik ist auch nicht besser, in einer Coverversion von Bob Marley heißt es leicht, aber entscheidend abgewandelt: »Get up, stand up, stand up for yourselves.«

Nur noch selten kommt ein Auto vorbei, und der Fahrer unseres Busses ist zu geizig, einen Mechaniker aus dem nahen Port Loko zu holen. Also richten wir uns darauf ein, die Nacht hier zu verbringen. Doch an Schlaf ist kaum zu denken, dafür sorgt Radio Unamsil. »Volk von Sierra Leone, wir müssen endlich aufwachen, hör auf zu träumen«, schallt es aus dem UN-Hauptquartier just dann, wenn man eingenickt ist.

ruben eberlein