Nur einer wird gewinnen

Von einem wilden Streik wie in Bochum will die schwedische Metallgewerkschaft nichts wissen.
Nur punktuell zeigen schwedische GM-Arbeiter Solidarität. von bernd parusel, stockholm

Deutsche Metallarbeiter hätten einen »ganz anderen Hang zu großen Aktionen«, meint Håkan Skött, Verhandlungsbeauftragter der schwedischen Metallergewerkschaft bei Saab. Es sei in Deutschland nicht ungewöhnlich, dass »man sich hinsetzt und streikt«. In Schweden dagegen sei ein wilder Streik undenkbar. »Juristische Klauseln hindern uns daran, so etwas zu tun«, erklärte Skött der linken Gewerkschaftszeitung Arbetaren. Auf die Frage, ob im Saab-Werk in Trollhättan, das wie Opel zu General Motors (GM) gehört, auch über die Lage in Deutschland diskutiert werde, und ob man Solidaritätsaktionen für die streikenden Arbeiter in Bochum durchführe, entgegnete er: »Bisher ist nichts dergleichen geplant.«

Skött hat eigene Probleme. Auch in Trollhättan spürt die Belegschaft die Auswirkungen der Kürzungspläne des angeschlagenen Automobilkonzerns. Zwar scheint Saab im Vergleich zu Opel noch relativ glimpflich davonzukommen, »nur« rund 540 Stellen werden in Trollhättan gestrichen. Längerfristig stehen jedoch nahezu alle 5 600 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Schon vor den aktuellen Stellenstreichungen hatte GM im September angekündigt, die Mittelklasseautos von Saab und Opel künftig nur noch an einem Standort in Europa, in Trollhättan oder Rüsselsheim, bauen zu lassen und den anderen zu schließen. Sollte die Wahl auf das deutsche Opel-Werk fallen, gehen im schwedischen Standort die Lichter aus. Nur noch eine Entwicklungsabteilung bliebe dann bestehen.

Trotzdem verleihen die Beschäftigten in der westschwedischen Kleinstadt ihrem Ärger über den Stellenabbau bislang nur mit recht zahmen Aktionen Ausdruck. Vergangenen Dienstag, am europäischen Aktionstag gegen die GM-Kürzungspläne, hielt die Gewerkschaft svenska metall lediglich ein zweistündiges so genanntes Informationstreffen für die Beschäftigten ab. Danach stellten sich die Arbeiter vor den Werkstoren auf, ein Versuch, Proteststimmung zu erzeugen. Die zweistündige Arbeitsniederlegung war im Vorfeld von der Werksleitung abgesegnet worden. Der Aktionstag wirkte dementsprechend harmlos und erregte wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Die Proteste bei Opel wurden, wie Håkan Skött zugibt, gar nicht erst erwähnt.

Einige Medien und linke Gewerkschafter, die sich der offiziellen Linie nicht verpflichtet fühlen, sprechen dagegen voll Anerkennung von den Arbeitern in Bochum. »Schon kurz nachdem die GM-Führung ihren Stellenkürzungsbescheid herausgab, gab es einen spontanen Gegenschlag«, schrieb der Arbetaren begeistert. Die »soziale Krise in Deutschland«, mit öffentlichen Sparprogrammen, Arbeitsplatzabbau und starkem Druck auf die Gewerkschaften, schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, drohe sich durch die Aktionen der Bochumer Arbeiter jedoch weiter zuzuspitzen, so die Zeitung weiter.

Auch die großen Tageszeitungen berichteten in den vergangenen Tagen mehr über Aktionen bei Opel als über Trollhättan. In Internet-Diskussionsforen riefen Linke dazu auf, sich an den Arbeitern in Bochum ein Beispiel zu nehmen. Es sei an der Zeit, auch in Schweden eine härtere Gangart einzuschlagen. Viele beklagten, dass die Lage bei Saab zu ruhig sei, obwohl GM dort schon seit Jahren Stellen abbaue. Erst 2003 hatten 1 400 Arbeiter in Trollhättan ihre Jobs verloren. Schweden ist noch stärker als Deutschland von seiner Automobilindustrie abhängig. Sie ist verantwortlich für 16 Prozent der Exporte. 140 000 Arbeiter und Angestellte sind dort beschäftigt. Vor zehn Jahren waren es jedoch noch 185 000.

Angesichts dieses Niedergangs rieche die offizielle Gewerkschaftslinie in Trollhättan nach »Opportunismus«, kritisierte ein Saab-Arbeiter gegenüber der Zeitung Flamman. Selbst Vize-Betriebsrat Chresten Nielsen gestand mit Blick auf Bochum, dass die schwedischen Proteste »vergleichsweise gemäßigt« seien und die deutschen Kollegen sogar den Eindruck gewinnen könnten, bei Saab tue sich überhaupt nichts. Anstatt Werkstore zu blockieren, nahmen von Entlassung bedrohte Beschäftigte vergangenen Mittwoch an einer Informationsveranstaltung der Gemeindeverwaltung Trollhättan teil, bei der Vertreter des Arbeitsamts über die Möglichkeiten informierten, eine neue Anstellung zu finden, notfalls an einem anderen Ort in Schweden.

Die Arbeiter, die vorerst ihre Stellen behalten, warten derweil darauf, was die Zukunft bringt. Bis zum 1. November werden die Werksleitungen von Saab und Opel der GM-Spitze darlegen, warum ihr jeweiliger Standort am besten geeignet sein soll, die Produktion der Mittelklasseautos Vectra und Saab 9-3 zu leisten. Spätestens dann wird ein direkter Standortwettbewerb zwischen Deutschland und Schweden eröffnet.

Ende der Woche will der schwedische Ministerpräsident Göran Persson in die Schweiz reisen, um bei einem Treffen mit der GM-Leitung für Trollhättan zu werben. Seine Regierung kündigte außerdem an, die Verkehrsanbindung des Saab-Werks zu verbessern. Auf diesem Gebiet hatte bisher Rüsselsheim die Nase vorn, während für Schweden niedrigere Lohn- und Energiekosten sprechen, sowie längere Arbeitszeiten. Unklar ist, ob sich das bislang zahnlose Verhalten der schwedischen Gewerkschaften positiv oder negativ auf die Zukunft des Werks auswirken wird. Zahme Gewerkschaften können ein Standortvorteil sein. Andererseits könnte eine kämpfende Belegschaft es einem auf seinen guten Ruf bedachten Unternehmen schwer machen, unpopuläre Schließungen durchzusetzen, spekuliert etwa die Boulevardzeitung Aftonbladet.

Ebenso offen wie der Ausgang des Kräftemessens Trollhättan gegen Rüsselsheim ist unterdessen, ob die gegenseitigen Solidaritätsbekundungen der Belegschaften am Ende mehr sind als Lippenbekenntnisse. Mehrmals versicherten Gewerkschafter in Schweden und Deutschland, bestehende Tarifverträge nicht für Verhandlungen über schlechtere Arbeitsbedingungen oder niedrigere Löhne zu öffnen und sich nicht von der GM-Spitze gegeneinander ausspielen zu lassen. Bisher haben die Betriebsräte beider Standorte nach eigenen Angaben täglich Kontakt zueinander. Dafür aber, den streikenden Bochumern Unterstützung zukommen zu lassen, reicht die gewerkschaftliche Solidarität offenbar nicht.

Allein die syndikalistische SAC schickte vergangene Woche eine Grußbotschaft ins Ruhrgebiet, in der sie den Opelarbeitern »Erfolg für ihren Kampf« wünschte und bei dieser Gelegenheit auch ein wenig Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen übte. »Es ist sehr hart, gegen die Auswirkungen des modernen Kapitalismus zu kämpfen«, schreibt das SAC-Sekretariat. »Wir Arbeiter müssen es aber zumindest versuchen. Ihr habt nichts zu verlieren, außer euren Jobs.« Und die seien ja ohnehin in Gefahr.