Merkwürdiger Blick

Von Ivo Bozic

Es geht um viel bei den Wahlen in den USA. Ein realistisches Bild der Alternativen existiert jedoch nur dort. Ein Interview mit detlev claussen

Detlev Claussen ist Professor für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie an der Universität Hannover und hat zahlreiche Bücher über Rassismus und Antisemitismus veröffentlicht, ebenso über Marcuse und Adorno, dessen Schüler er war.

Die bevorstehenden Wahlen in den USA sind auf der ganzen Welt ein Thema. Ist diese Wahl wirklich so bedeutend?

In gewisser Weise schon. Für Amerika ist diese Wahl von großer Bedeutung. Aber auch Europa ist stark involviert, insofern, als die künftigen transatlantischen Beziehungen auch davon abhängen, welcher Präsident gewählt wird. Auch die Frage von Krieg und Frieden hängt mit dieser Wahl zusammen. Das heizt die Stimmung besonders an. Es geht darum, wie künftig die internationalen Beziehungen gestaltet werden. Von außen gesehen, spitzt sich das sehr dramatisch auf diese beiden Personen, die zur Wahl stehen, zu.

Kerry steht ja nun nicht gerade für eine völlig andere Politik.

Selbst wenn er wollte, kann er ja nicht morgen aus dem Irak abziehen, das ist ja vollkommen unmöglich. Das wollen nur ein paar Friedensfreunde, Leute, die gar nicht genau hingucken. Es kann ja höchstens darum gehen, einen geschickten Weg hinaus zu finden aus diesem Sumpf im Irak, aber das wird lange dauern. Und eine Wahl von Kerry würde die Lage für die abstinenten Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Russland eher schwierig machen.

Weil Kerry mehr wert auf Bündnispolitik legt?

Ja. Deutschland und Frankreich können jetzt sagen, sie seien von Bush brüskiert worden. Gegenüber einem Kerry würde ihnen das schwer fallen. Denn der wird auf sie zugehen und ihnen sagen: Ich werde multilateraler orientiert sein, dafür tragt ihr dann auch mehr Verantwortung.

Warum genießt Kerry weltweit so große Sympathien?

Sicher stehen unterschiedliche Führungsstile zur Disposition, mit einer großen Relevanz für die internationale Politik. Aber die Erwartungen, die teilweise – vor allem im Ausland – an eine Wahl Kerrys geknüpft werden, entsprechen nicht der Realität. Amerika ist politisch gespalten. Das hat ja schon die letzte Wahl gezeigt, ganz unabhängig von Personen. Es ist auch kein Waschmittelwahlkampf, bei dem es nicht drauf ankommt, wer gewinnt. Der Unterschied ist riesig groß. Kerry steht für das parteipolitisch demokratische Amerika, also für einen gewissen sozialen Touch. Bush ist durch extreme Steuergeschenke für die Wohlhabenden aufgefallen und durch seine Verbandelung mit Teilen der Großindustrie.

Ist die Art, wie die USA seit dem Irakkrieg in der Welt wahrgenommen werden, vergleichbar mit der Zeit des Vietnamkriegs?

Ja, man sollte das vergleichen. Der Vietnamkrieg war politisch ein ganz schwerer Fehler der Vereinigten Staaten. Er war überhaupt nicht notwendig und fand statt auf der Grundlage einer Täuschung der Öffentlichkeit. Da gibt es also gewisse Parallelen. Allerdings war die Weltsituation völlig anders. Wir hatten eine bipolare Welt, und man konnte so tun, als seien die Vietnamesen nur Marionetten der Sowjetunion. Der Irak ist aber nicht Vietnam und Saddam Hussein ist kein Ho Chi Minh. Hier ist ein anderer extrem schlimmer Fehler gemacht worden, nämlich dass man den War On Terror, der nach dem 11. September durchaus verständlich gewesen wäre, mit einer alten Rechnung verknüpft hat, nämlich Saddam Hussein zu beseitigen. Außerdem hat man die soziale und gesellschaftliche Struktur im Irak völlig falsch eingeschätzt. Diesbezügliche Fakten wurden ignoriert. Man wollte den schnellen militärischen Erfolg, um ihn in einen politischen umzumünzen, und das hat sich gerächt – und inzwischen 1 100 amerikanische Soldaten das Leben gekostet.

Hätte Kerry den besseren Krieg geführt? Er hat sich jedenfalls nicht vom Irakkrieg distanziert.

Was soll er denn machen? Er kann ja nicht sagen, ich habe damit nichts zu tun. Er kann ja nur sagen, ich muss jetzt diese Krise managen. Aber dass sich Kerry und die Demokraten damals verdrückt haben, als die Frage nach Krieg und Frieden anstand, das kann und muss man ihnen vorwerfen.

Bush ist die absolute Hassfigur der Linken und der arabischen Welt. Ist es nicht eine Verschwörungstheorie zu glauben, dieser eine Mann lenke das Schicksal der ganzen Erde?

Da wird sehr stark die Oberfläche mit dem Wesen verwechselt. Alle, die in dieser arabischen Welt in verantwortlicher Position Politik machen, bieten nur unterschiedliche Stufen von Heuchelei und Verlogenheit. In Wirklichkeit gibt es ja viel bessere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, als es in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Und selbst die Palästinenser gäbe es ohne die USA überhaupt nicht mehr als politische Größe. Die Vereinigten Staaten sind die einzige Kraft, die mäßigend auf die israelische Regierung eingewirkt hat. Dass die israelische Politik überhaupt über einen palästinensischen Staat diskutiert, das ist allein den USA zu verdanken. Das wird aber immer ignoriert, und zwar vor allem von zwei Seiten: der europäischen Linken und der offiziellen arabischen Politik. Und das wider besseres Wissen.

Inwiefern steckt Antiamerikanismus hinter dem Feindbild Bush?

Die tief greifenden weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen seit 1990 werden mit der amerikanischen Gesellschaft identifiziert. Wir brauchen nur die öffentliche Diskussion der letzten Tage über Opel und General Motors zu betrachten. Die antiamerikanischen Untertöne sind ja nicht zu überhören. Das sind Chimären. Doch man hat es gerne einfach, und da phantasiert man sich Bush als Cowboy zurecht, der überhaupt nicht durchblickt und keine Ahnung hat. So einfach ist die Sache aber nicht. Hinter Bush steht eine Administration, in der sehr viel Knowhow vorhanden ist. Das sind keine Amateure.

Antiamerikanismus funktioniert immer auch deshalb, weil »das andere« oder »das bessere« Amerika, also etwa Martin Luther King oder Bob Dylan, affirmiert und herausgelöst werden, um damit das »eigentliche« Amerikabild erst recht zu zementieren. Erfüllt Kerry diese Rolle?

Das ist der merkwürdige europäische Blick auf Amerika. Die meisten Leute, die in Amerika politisch interessiert sind, haben eine sehr realistische Vorstellung von dem, was da zur Alternative steht. Das Bild einer unpolitischen Bevölkerung, die mit Showeffekten gelockt werden muss, stimmt nicht. Eine Wahl ist in Deutschland ein bürokratischer Akt. Da bekommt man seinen Zettel zugeschickt mit der Post. In Amerika muss man sich in Wahllisten eintragen. Es ist mit einem großen Aufwand verbunden, überhaupt sein Stimmrecht wahrzunehmen. Deshalb sind die Leute, die zur Wahl gehen, viel interessierter als hierzulande.

interview: ivo bozic