Wachstum ins Nichts

Die Streiks der letzten Wochen zeigen, dass der Unmut
in der peruanischen Bevölkerung trotz positiver
Wirtschaftsdaten wächst. von knut henkel

Ab 1. Juli wird Perus Präsident Alejandro Toledo 30 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung haben. Denn die peruanische Regierung hat sich selbst eine Gehaltskürzung verordnet, um ihr in der Bevölkerung verlorenes Ansehen zurückzugewinnen und gleichzeitig ihren Beitrag zur geplanten Erhöhung der Lehrergehälter zu leisten.

Diese Geste illustriert gut die Kehrtwende, die der peruanische Präsident in den letzten Wochen vollzogen hat. Ende Mai ließ er das Militär aus den Kasernen ausrücken und verhängte den Ausnahmezustand, wenig später besann er sich eines Besseren und ließ mit den streikenden Gewerkschaften verhandeln. Das Ergebnis ist ein Abkommen, in dem sich die Regierung zum Wahlversprechen Toledos bekennt und den geringen Lohn der Lehrer in einem ersten Schritt um 25 Euro anhebt.

Das ist nicht viel, aber die Gewerkschaften haben es nun schriftlich, dass das Gehalt der Lehrer bis zum Ende der Regierungsperiode, wie im Wahlkampf versprochen, verdoppelt wird. Und es ist ein Erfolg, den staatliche Angestellte anderer Branchen, zum Beispiel im Justiz- und Gesundheitswesen, auch wollen. Die Regierung in Lima steht also weiter unter Druck, denn die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit sind schlecht, und Toledo hat versprochen, sie zu bessern.

Doch trotz eines Wirtschaftswachstums von 5,2 Prozent ist bei der Bevölkerung noch nicht viel davon angekommen. Erstmals seit Mitte der neunziger Jahre und nach vier Jahren der Krise lag Peru zuletzt mit seiner Wachstumsquote wieder an der Spitze Lateinamerikas.

Und auch die Prognosen für dieses Jahr sind gut. Mit 4,5 Prozent rechnet Kai Stefani, Peru-Experte der Dresdner Bank Lateinamerika AG. Er bescheinigt der Regierung eine solide Finanzpolitik. Toledo habe allerdings im Wahlkampf Versprechen gemacht, die nicht so schnell einzulösen seien. »Peru braucht ein stabiles durchschnittliches Wachstum um die fünf Prozent, damit neue Arbeitsplätze entstehen«, so Stefani. Gute Ansätze sieht er in den Infrastruktur- und den Wohnungsbauprogrammen (Vamos a Trabajar und Techo Propio) der Regierung, die langsam Erfolg haben.

Zu langsam allerdings, um die Erwartungen und Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Über die Hälfte der 27 Millionen Peruaner gilt als arm, mindestens zehn Prozent sind arbeitslos, und die Quote der Unterbeschäftigten, die im tertiären Sektor arbeiten, dürfte weit über 20 Prozent liegen. Sie warten auf Taten, doch die Regierung versucht, es allen recht zu machen: den Unternehmern des Landes, den internationalen Investoren, die man wieder ins Land holen will, und dem IWF, der klare Vorgaben für die Haushaltspolitik gemacht hat und die Auslandsschulden bezahlt sehen möchte.

Auf 32 Milliarden US-Dollar beläuft sich derzeit die Auslandsschuld, für deren Bedienung rund 20 Prozent der Haushaltsmittel aufgewendet werden müssen. Der finanzielle Spielraum der Regierung ist daher nicht allzu groß, und er hängt vom Wachstum der Wirtschaft ab. Erste positive Anzeichen hat es zwar gegeben, aber sie sind in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Das liegt auch daran, dass es Toledo bisher nicht gelang, den Wertzuwachs der Landeswährung Nuevo Sol gegenüber dem Dollar, die niedrige Inflationsquote oder das Textilabkommen mit den USA, das neue Arbeitsplätze schaffen soll, als Erfolge zu präsentieren.

Ähnliches gilt für die partielle Steuerreform, die der Regierung mehr finanzpolitischen Spielraum bringt und die in mehreren Schritten durchgeführt werden soll. Die Steuerquote soll von zwölf Prozent auf mindestens 20 Prozent angehoben werden. Die Steuerhinterziehung, ein beliebtes Spiel der Unternehmer unter dem ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori, wurde bereits angegangen.

Das gefällt auch der Opposition. Javier Diez Canseco von der Vereinigten Linken (IU) unterstützt die Pläne der Regierung. Nur geht es ihm viel zu langsam. Steuerprivilegien der transnationalen Unternehmen, vor allem im Bergbau, die unter Fujimori gewährt wurden, will Canseco rigoros abbauen.

Nur leider lassen sich die Privilegien in der Praxis nicht einfach aufkündigen, weil sie oft vertraglich fixiert sind und für einen genau definierten Zeitraum gelten. Zudem will Toledo es sich mit dem wichtigsten Wirtschaftssektor des Landes nicht verderben. Schließlich ist es eines seiner zentralen wirtschaftspolitischen Ziele, das Investitionsklima in Peru zu verbessern. Eingriffe in laufende Verträge wären aus seiner Sicht ein falsches Signal. All das hat ihm den Vorwurf eingebracht, er setze die neoliberale Politik seines Vorgängers Fujimori fort.

Allein im letzten Jahr kamen zwei Milliarden US-Dollar an Direktinvestitionen nach Peru. Nicht zuletzt dieser Devisenzufluss hat es der Regierung ermöglicht, 500 Millionen US-Dollar für die Wirtschaft locker zu machen. Vor allem das verarbeitende Gewerbe profitierte davon, und die nationale Nachfrage ist seither spürbar gestiegen. Das trägt wiederum zum wirtschaftlichen Erfolg der letzten Monate bei.

Die Bilanz Toledos ist somit zwiespältig. Finanz- und wirtschaftspolitischen Erfolgen stehen die Armut und die enttäuschten Erwartungen der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber. Seit er die Privatisierung der Elektrizitätsversorgung von Arequipa zurücknehmen musste, hat Toledo von größeren Privatisierungen Abstand genommen, mit deren Einkünften er eigentlich seinen Haushalt den Vorgaben des IWF anpassen wollte. Toledo, der noch vor zwei Jahren die Symbolfigur der Veränderung war, gilt vielen Peruanern nun wahlweise als Wendehals oder als Neoliberaler, der noch nicht so weit gehen kann, wie er es gerne täte.

An diesem schlechten Image des Präsidenten werden auch die neuen Arbeitsplätze, die derzeit auf der Basis des Abkommens mit den USA in der Textilbranche entstehen, nichts ändern. Auch die laufenden Investitionsprogramme, die für eine stärkere Nachfrage von peruanischen Produkten im Inland sorgen, und die langsam greifenden Arbeitsbeschaffungsprogramme im Wohnungs- und Straßenbausektor haben für Toledo bisher keinen kurzfristigen Nutzen.

Er hat Wunder versprochen und daran wird er gemessen. Da kann er sein Gehalt noch so sehr reduzieren.