Nüchtern in die Zelle geschickt

Prozess gegen den Mörder Fortuyns
von udo van lengen, amsterdam

»Er hat unserer Demokratie die Unschuld geraubt«, hieß es vor einem Jahr nach dem Attentat auf den Rechtspopulisten Pim Fortuyn allerorten in den Niederlanden über den Todesschützen Volkert van der Graaf. Er wurde am Mittwoch der vergangenen Woche in Amsterdam für die tödlichen Schüsse auf den charismatischen Soziologieprofessor zu 18 Jahren Haft verurteilt. In der Regel müssen Verurteilte zwei Drittel ihrer Strafe im Gefängnis verbringen. Van der Graaf könnte also nach zwölf Jahren freikommen. Die Staatsanwaltschaft beantragte Revision. Sie hatte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe gefordert, ebenso wie eine Mehrheit der niederländischen Öffentlichkeit. Der zuständige Richter und der Staatsanwalt erhielten nach dem Urteil mit Gewehrkugeln gefüllte Drohbriefe.

Der Ruhepol im gesamten Prozess war vor allem van der Graaf, der auch das Urteil gefasst zur Kenntnis nahm. Viele Anhänger Fortuyns wären selbst mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht zufrieden gewesen. Sie wollten den Kopf des 33jährigen rollen sehen. Die Justizbeamten entzogen sich den blutdurstigen Forderungen der Straße. Sie beurteilten den Mord als Tat eines Einzelgängers, der in der Person Fortuyn eine Bedrohung für die Schwächeren der Gesellschaft, für Asylsuchende, Muslime und Erwerbsunfähige sah. Von den anfangs angenommenen Motiven, dass van der Graf den Mord aus Sorge um die Tierrechte und die Umwelt begangen habe, ist in dem Urteil nichts wiederzufinden.

Das Urteil ist juristisch ausgewogen, weil das Gericht die Tat zwar als politischen Mord einstuft, die tatsächlichen und vermeintlichen Konsequenzen jedoch sauber trennt. Das Gericht geht davon aus, dass der Mord der parlamentarischen Demokratie einen vorübergehenden Schaden zugefügt hat. Ob nach dem Mord potenzielle Wähler der Liste Pim Fortuyn (LPF) ihre Stimme einer anderen Partei gaben, konnte das Gericht nicht feststellen. Auch immer wieder geäußerte Spekulationen, dass die Regierung aus Christdemokraten, Rechtsliberalen und Fortuynisten wegen des Mordanschlags zerfiel, können für die juristische Entscheidung nicht relevant sein. So kam es zu den 18 Jahren Haft. Für einen einfachen Mord ist das in den Niederlanden eine hohe Strafe.

Dass die Politiker und die Anhänger der LPF mit dem Urteil nicht zufrieden sind, war von vornherein klar. Fortuyn war mehr als nur der Namensgeber seiner Partei. Er war ihr Gesicht und Gehirn. Aber kein noch so strenges Urteil könnte Fortuyn wieder zum Leben erwecken. Eine lebenslange Strafe hätte vielmehr eine Abkehr von der üblichen juristischen Praxis bedeutet und die Frage nach sich gezogen, ob der Mord an einem Politiker schwerer wiegt als ein Mord am Gemüsehändler um die Ecke. Würde man diese Argumentation fortführen, hieße das, dass Menschenleben unterschiedlich bewertet würden.

Van der Graaf hat in den Niederlanden den ersten politischen Mord seit 400 Jahren begangen. Das erklärt die besondere Aufregung in der Gesellschaft. Aber die Gefahr einer Wiederholung ist gering. Die nüchterne Herangehensweise des Gerichts befriedigt nicht den blindwütigen Hass der Rechtspopulisten, aber sie betont die langjährige Rechtpraxis dieses Landes.