Die vierte Generation

Generationswechsel in der KP Chinas: Zum Abschied gab es eine Abstimmungsniederlage für Jiang Zemin. Und die Kritik an den USA wird lauter. von volker häring

Es war der erste friedliche Generationswechsel in der KPCh seit der Gründung der Volksrepublik 1949. Bereits im November 2002 auf dem 16. Parteitag angekündigt, wurde er letzte Woche mit dem Abschluss des Nationalen Volkskongresses in Peking vollzogen: der Wechsel von der so genannten Dritten Generation der KPCh mit Jiang Zemin als ihrem bekanntesten Vertreter zur Vierten Generation unter dem neuen Präsidenten Hu Jintao.

Der Übergang von der wesentlich durch Mao Zedong und Zhou Enlai bestimmten Ersten zur Zweiten Generation unter Deng Xiaoping hatte zehn Jahre Chaos in der so genannten Kulturrevolution mit sich gebracht, der Wechsel von Deng zu Jiang Zemin fand vor dem Hintergrund der Revolte und anschließenden Repression von 1989 statt. Demgegenüber erschien der Rückzug Jiang Zemins, Zhu Rongjis und Li Pengs aus der aktiven Politik und die Übergabe der Amtsgeschäfte an die Nachfolgergeneration wie ein in aller Gemütsruhe vollzogener Akt der Verjüngung der chinesischen Führung.

Hu Jintao wurde erwartungsgemäß mit 99 Prozent der Stimmen zum neuen Staatspräsidenten gewählt und erklärte in seiner Antrittsrede: »Nur der Sozialismus mit chinesischen Merkmalen kann China entwickeln.« Diese Phrase wird seit dem Beginn der achtziger Jahre benutzt. Im November zum Parteichef gekürt, nun zum Staatschef, ist Hu Jintao der mächtigste Mann in China.

Mit Wen Jiabao folgt ein weiterer als Reformer geltender Wirtschaftsexperte Zhu Rongji im Amt des Ministerpräsidenten. In den neunziger Jahren war Wen im Staatsrat für Landwirtschaft, Armutsbekämpfung und Flutkontrolle zuständig, für diejenigen Ressorts also, die eine Schlüsselrolle in der zukünftigen Entwicklung der VR China spielen und auf der Agenda des Nationalen Volkskongresses ganz oben standen.

Nachfolger Li Pengs als Vorsitzender des Nationalen Volkskongresses wurde der als enger Vertrauter Jiangs geltende Wu Bangguo.

Jiang Zemin hingegen kandidierte ein weiteres Mal für den Vorsitz der Zentralen Militärkommission, ein formal relativ unbedeutendes Gremium, traditionell jedoch das letzte Refugium der grauen Eminenzen der chinesischen Politik von Mao bis Deng, das mit großem informellen Einfluss und auch dem Oberbefehl über die Streitkräfte verbunden ist.

Doch die Abstimmung geriet für Jiang zu einem Debakel. Insgesamt 220 der knapp 3 000 Delegierten sprachen sich gegen ihn aus oder enthielten sich der Stimme. Im normalerweise nahe der Einstimmigkeit votierenden chinesischen Parlament gilt ein solches Ergebnis als vernichtend.

Dieses Debakel hat zwei Ursachen. Zum einen mehrten sich in den letzten Jahren inner- und außerhalb der KP Stimmen, die den Personenkult um Jiang, sein Festhalten an der Macht und die bei jeder Gelegenheit offen zur Schau getragene Geltungssucht des im Volksmund »Kasper« Genannten kritisierten. Zudem wurde er gegen Ende seiner Amtszeit mit Vetternwirtschaft und Korruption in Verbindung gebracht.

Nicht unwichtig wird jedoch auch die außenpolitische Linie Jiangs gewesen sein. Während in den letzten Monaten sowohl die wirtschaftlichen – chinesische Ölfirmen hatten sich in den letzten Jahren zunehmend im Irak engagiert – als auch die außenpolitischen Interessen der VR China signifikant durch die Irakpolitik der USA gefährdet wurden, hielt sich die Vetomacht China sowohl im Sicherheitsrat als auch auf diplomatischer Ebene auffällig zurück.

Was von internationalen Beobachtern vor allem auf das gesteigerte Interesse der VR China an guten diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA zurückgeführt wurde, hatte auch innenpolitische Ursachen. In den letzten Monaten seiner Amtszeit versuchte Jiang Zemin, sich durch die Aussöhnung mit den USA einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Unterstützt wurde diese Politik vom ebenfalls scheidenden Außenminister Tang Jiaxuan, den nicht wenige Beobachter für eine Marionette seines Vorgängers Qian Qichen hielten, der über ausgezeichnete Kontakte zu den USA verfügt.

Doch bereits im Februar wurde klar, dass die Neutralität der VR China in der Irakfrage innenpolitischen Sprengstoff in sich barg. Mitte des Monats übergab eine Gruppe von 506 bekannten chinesischen Intellektuellen, die sich »Neue Linke Nationalisten« nennt, in der US-amerikanischen Botschaft in Peking eine Petition gegen den Irakkrieg und kritisierte darin auch die konziliante Politik der chinesischen Regierung gegenüber den USA.

Ironie der Geschichte: Es war die Administration unter Jiang, die Mitte der neunziger Jahre den Antiamerikanismus als Mittel entdeckte, um ihren schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung durch einen außenpolitisch motivierten Nationalismus zurückzugewinnen. Angesichts der US-amerikanischen Irakpolitik fiel es Jiang immer schwerer, seinen proamerikanischen Kurs der letzten Monate zu verteidigen.

In dieser Situation ergriff Hu Jintao die Chance, sich von Jiang abzusetzen. Allzu laute Kritik an Jiangs Politik konnte sich dessen designierter Nachfolger jedoch vor dem Volkskongress nicht leisten. Zu sehr war der von der westlichen Presse oft als blass charakterisierte Hu im Interesse seiner Wahl auf das Wohlwollen von Jiang und dessen Seilschaften angewiesen. Dann zeigte sich jedoch, dass seine Zurückhaltung wohl eher taktischer Natur war. Kurz nach seiner Wahl fand er deutliche Worte gegen die US-amerikanische Irakpolitik.

Auch aus dem chinesischen Außenministerium kommen schärfere Töne. Während seines ersten internationalen Auftritts anlässlich der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Dienstag der vergangenen Woche sprach sich der neue Außenminister Li Zhaoxing deutlich gegen ein militärisches Vorgehen im Irak aus und warf den USA vor, gegen internationale Gesetze zu verstoßen.

Zu Recht sieht Staatspräsident Hu Jintao die Chance, sich mit einem Thema, bei dem er sich der Zustimmung der chinesischen Bevölkerung sicher sein kann, auf Kosten seines Vorgängers Jiang Zemin zu profilieren. Und Rückhalt in der Bevölkerung werden er und die neue chinesische Regierung in den nächsten Jahren dringend nötig haben. Denn von der Vorgängergeneration übernimmt die neue Führung die strukturellen Probleme, die nicht zuletzt die fortschreitende wirtschaftliche Öffnung mit sich bringt: marode Staatsbetriebe, Massenarbeitslosigkeit, Landflucht, Bankenkrise, Vetternwirtschaft und Korruption.