Dienstag, 29.09.2020 / 22:21 Uhr

Jemen: Die humanitäre Katastrophe geht weiter

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Völlig unbemerkt von der Welt verschärft der Vormarsch der Houthis im Jemen die ohnehin schon katastrophale humanitäre Situation.

 

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Bild: 2019 European Union (by Peter Biro)

 

Es gibt Orte auf dieser Welt, in denen wird weitgehend unbemerkt gehungert und gestorben. Ganz selten hört man in Medien von dem dort herrschenden Elend, und wenn, wird schnell auf die nächste Seite geblättert oder geklickt. Hin- und wieder treffen sich irgendwo irgendwelche politischen Vertreter und nennen das Friedensverhandlungen, manchmal kommt bei ihren Treffen sogar irgendein Papier zustande, an dessen Inhalt sich aber ohnehin niemand zu halten gedenkt.

Der Jemen ist so ein Ort, wo seit Jahren ein brutaler Bürger- und Stellvertreterkrieg das eh schon ärmste Land der arabischen Welt jeden Tag ein wenig weiter ruiniert und in den Abgrund treibt. Millionen hungern dort seit Jahren, das Gesundheitssystem ist de facto zusammengebrochen und nun wütet auch noch eine Corona-Pandemie. Und es kann immer noch schlimmer werden.

Ignorierter Bericht

Seit einiger Zeit befinden sich die vom Iran unterstützten Houthi-Rebellen erneut in der Offensive – mit verheerenden Folgen. In einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Report kritisiert Human Rights Watch nicht nur die Houthis, sondern alle an diesem Krieg beteiligten Akteure und beschuldigte sie der systematisch Vorenthaltung von Hilfe an die notleidende Zivilbevölkerung:

Der 65-seitige Bericht ‚Tödliche Folgen: Behinderung der humanitären Hilfe im Jemen während der der Corona-Krise‘ beschreibt die systematische Einmischung in Hilfsoperationen durch die Behörden der Houthis, die international anerkannte jemenitische Regierung und die ihr angeschlossenen Streitkräfte sowie dem von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützten Südlichen Übergangsrat.

Trotz des gestiegenen Bedarfs kürzten die Geber im Juni 2020 die Mittel, zum Teil wegen der Behinderung, weswegen die Hilfsorganisationen, die Unterstützung für Millionen bedürftiger Menschen in den Bereichen Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung sowie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einschränken mussten.

Die Parteien des fünf Jahre andauernden bewaffneten Konflikts im Jemen sollten die Blockade unverzüglich beenden. Die Geber sollten die Mittel für die Hilfsorganisationen aufstocken und gleichzeitig Druck auf die lokalen Behörden ausüben, damit diese die humanitären Grundsätze der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit respektieren. Die Vereinten Nationen sollten eine unabhängige Untersuchung über das Ausmaß der Behinderung und die Versäumnisse bei der Reaktion der internationalen Gemeinschaft einleiten.

„Millionen Menschen leiden  im Jemen, weil die Houthis und andere jemenitische Behörden der UNO und anderen Hilfsorganisationen den ungehinderten Zugang zu Menschen in Not verweigern‘, sagte Gerry Simpson, stellvertretender Krisen- und Konfliktdirektor bei Human Rights Watch und Autor des Berichts. ‚Der dezimierte jemenitische Gesundheitssektor und die unkontrollierte Ausbreitung von Covid-19 machen die Behinderung und die jüngsten Kürzungen der Geberhilfe zur Katastrophe.‘

Der Bericht erschien vor zwei Wochen, hatte natürlich keinerlei Auswirkungen und dürfte, außer von ein paar Experten, nicht einmal wahrgenommen worden sein. Wen interessiert schon der Jemen?

Hunger und Corona

Inzwischen hat sich die Lage sogar noch weiter verschlechtert, die Houthis rücken auf die im Norden des Landes liegende und von so genannten Regierungstruppen gehaltene Stadt Marib vor. Dabei treiben sie eine Welle neuer Binnenvertriebener vor sich her, die verzweifelt versuchen irgendwo unterzukommen – und das in einem Land, in dem inzwischen 3,3 Millionen als Binnenvertriebene irgendwo vor sich hin vegetieren müssen.

„Die Zahl der Binnenvertriebenen in Marib ist nicht klar. Es ist schwierig, die Menschen zu zählen, die sich in den Gemeinden und bei Verwandten aufhalten, und einige Menschen sind in Wüstengebiete geflohen, die für humanitäre Organisationen unerreichbar sind. Angesichts der 140 Lager beziffern einige Quellen die Zahl der Vertriebenen auf eine Million. Vor den jüngsten Unruhen schätzten die Vereinten Nationen die Zahl der Vertriebenen auf etwa 750.000.

‚Fast 80 Prozent der Neuankömmlinge des letzten Monats können nirgendwo hingehen und mussten sich in bereits extrem überfüllten Vertriebenenlagern untergebrachte werden‘, sagte die Sprecherin der Internationalen Organisation für Migration, Olivia Headon, gegenüber der AFP. ‚Das ist ein großes Problem, da Hygiene und physische Distanzierung der Schlüssel zur Bekämpfung von Covid-19 sind.‘

Corona allerdings dürfte das geringste Problem dieser Menschen sein, die größtenteils schwer unterernährt sind und unter chronischem Hunger leiden.

Immerhin erbarmt sich UNICEF ihrer und schaltet erneut einen Spendenaufruf, selbst wenn UN-Agenturen warnen, dass sie bald nicht mehr in dem Bürgerkriegsland arbeiten können. Sehr viel mehr wird wohl auch diesmal nicht geschehen, außer es findet irgendwo erneut eine sinnlose Friedenskonferenz statt, ganz so als scherten sich der Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – die treibenden Kräfte hinter diesem Krieg – auch nur im geringsten um das Wohlergehen irgendwelcher Jemeniten.

Und da diese Jemeniten am Horn von Afrika festsitzen und bestenfalls ins gegenüberliegende Somalia fliehen könnten, der Weg nach Europa ihnen aber versperrt ist, droht auch keine Flüchtlingswelle aus dem Land. Dafür ist es, anders als Syrien oder Libyen, einfach zu weit weg.