Montag, 13.07.2020 / 17:08 Uhr

Hizbollah droht mit Flüchtlingswelle

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Die Hizbollah droht, Europa „mit syrischen Flüchtlingen zu fluten“, sollte die EU keine Hilfsgelder an den krisengeschüttelten Libanon zahlen.

 

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(Bild: Wikimedia Commons)

 

Wo man dieser Tage im Nahen Osten auch hinschaut, der Verfall, der seit Jahren stattfindet, beschleunigt sich dieser Tage, bedingt vor allem durch niedrige Ölpreise und Corona in rasantem Tempo. Ob in der Türkei, wo, wie gerade gemeldet wurde, ausländisches Kapital wieder acht Milliarden abgezogen hat, im Iran, der so wenig Einnahmen aus Ölexporten erzielt wie seit Jahrzehnten nicht mehr, oder eben im Libanon, wo inzwischen eine Hyperinflation droht und der de facto pleite ist.

Was sie alle brauchen ist frisches Geld, nur das zahlt ihnen niemand, auch die Chinesen in absehbarer Zeit nicht, die irgendwie als allerletzte Hoffnungsträger scheinen.

Was also bleibt? Sicher: Ein wenig Zeit lässt sich mit großen Reden und Drohungen schinden, mit außenpolitischen Abenteuern und Invasionen, wie sie der türkische Präsident gerade überall vorantreibt, aber auf Dauer helfen auch die nicht aus der Klemme.

Erpressung mit Flüchtlingen

So schauen sie alle auf Europa und grübeln, wie man die Europäer dazu bewegen könnte, doch den Geldbeutel aufzumachen, ohne dass man zumindest so tun müsste, als strebe man irgendwelche Reformen an, um die maroden Länder, die man regiert und selbst zugrunde gerichtet hat, irgendwie aus der Krise zu bekommen.

Vor dieser Herausforderung stehen vor allem die herrschenden Eliten des Libanon, die alle zusammen das Land systematisch in den Ruin getrieben haben. Besonders betroffen ist dabei die de facto regierende Hisbollah, die auch noch unter schrumpfenden Zuschüssen aus dem Iran zu leiden hat. Zunehmend richtet sich der Unmut der Protestbewegung im Lande gegen sie und langsam gehen die Ideen aus. Sicher, sie kann den eh schon florierenden Handel mit Drogen noch ein wenig intensivieren, aber genügend bringt das auch nicht, um irgendwie aus der Krise zu kommen.

Flüchtlinge als Waffe einsetzen hat in den letzten Jahren so oft so gut funktioniert

Warum also nicht die Europäer erpressen? Mit Flüchtlingen? Das könnte funktionieren, fürchten die doch nichts so sehr wie ein neues 2015 und, das hat sich auch in den Libanon herumgesprochen, tun so ungefähr alles, um es zu verhindern. Sollte Europäer nicht zahlen, drohte deshalb jüngst ein Parlamentarier der Hizbollah, werde man es „mit syrischen Flüchtlingen fluten“.

Noch immer leben kanpp 1,5 Millionen Syrerinnen und Syrer im Libanon, die die libanesische Regierung so schnell wie möglich loswerden möchte. Und Flüchtlinge als Waffe einsetzen hat in den letzten Jahren so oft so gut funktioniert: Man denke nur an den EU-Türkei Deal, der Erdogan Milliarden, vor allem aber ein wunderbar funktionierendes Druckmittel in die Hand gegeben hat, das er zuletzt im März 2020 nutzte, als er die türkische Westgrenze für Flüchtlinge öffnen ließ und fast umgehend eine Krise in Griechenland auslöste.

Vermutlich aber wird die Drohung in Europa keine Wirkung zeigen, weil der Libanon geographisch einfach zu ungünstig liegt: Einzig Zypern, wo in der Tat in letzter Zeit vermehrt Flüchtlingsboote anlanden, bietet sich al nahe gelegenes Ziel in Europa an. Und sollte es je so weit kommen, wird eben die Kontrolle der Gewässer dort so verschärft werden, wie jetzt schon vor Süditalien und Griechenland. Denn längst ist die Entscheidung in Europa gefallen, notfalls auch mit illegalen Methoden mit aller Härte gegen Flüchtlinge an den Außengrenzen vorzugehen.

Syrien am Rande einer Hungerkatastrophe

Insofern werden syrische Flüchtlinge dem Libanon bzw. der Hisbollah auch nicht das dringend benötigte Kapital bringen, ganz besonders nicht, weil sich in Syrien selbst die nächste humanitäre Katastrophe anbahnt und das Welternährungsprogramm (WFP) schon eindringlich vor einer neuen Flüchtlingswelle warnt. Dort droht nicht nur aufgrund der rasenden Inflation eine Hungerkatastrophe bislang ungekannten Ausmaßes, nun blockieren Russland und China auch noch eine UN-Resolution, die den Zugang für humanitäre Hilfe nach Idlib ermöglichen soll.

Schon länger steht die Frage im Raum, was eigentlich passieren werde, wenn irgendwann die Verzweiflung der Menschen in Idlib so groß sein wird, dass auch Minen und Selbstschussanlagen sie nicht mehr abschrecken.

Eine Million Syrer stünden am Rande einer Hungerkatastrophe, weitere 9,3 Millionen gingen hungrig zu Bett, erklärte jüngst der für das Land zuständige Chef des WFP.

Sollten Russland und China sich durchsetzen, könnte deren Lage sich schnell noch weiter verschlimmern. Der UN-Vertreter kam dann zu dem ebenso einfachen wie naheliegenden Schluss: Sollten sie nichts zu essen bekommen würden sie tun, was für das Überleben ihrer Kinder notwendig sei, nämlich fliehen bzw. migrieren.

Ob der von der EU-finanzierte türkische Grenzzaun sie dann immer noch abhalten wird? Schon länger steht die Frage im Raum, was eigentlich passieren werde, wenn irgendwann die Verzweiflung der Menschen in Idlib so groß sein wird, dass auch Minen und Selbstschussanlagen sie nicht mehr abschrecken.

Dieser Moment könnte, sollte der wirtschaftliche Verfall in Syrien so rasant weitergehen wie in den letzten Monaten, und wirklich Hilfslieferungen der UN nicht mehr gestattet sein, bald erreicht sein. Denn nun kommt eine weitere Horrormeldung: Die ersten postiv getesteten Fälle von Corona in Idlib.

Wenn, abgesehen vom Jemen, irgend ein Gebiet im Nahen Osten nicht auf die Pandemie vorbereitet ist, dann diese Enklave, in der von den knapp drei Millionen Bewohnern fast die Hälfte unter unbeschreiblichen Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften leben müssen.

Flüchtlinge als Waffe

Was geschieht, sollte sich das Virus unter den geschwächten, auf engstem Raum zusammenlebenden Bewohnern dieser Lager, in denen es an grundlegender Hygiene mangelt, ausbreitet, möchte man sich nur ungern ausmalen. In der Sprache von EU-Technokraten wäre das jedenfalls ein weiterer Push-Faktor, um sich gen Norden auf den Weg zu machen.

Angesichts solcher Szenarien klingt die Drohung aus dem Libanon weit weniger dramatisch und dürfte kaum auf große Resonanz stoßen. Dass sie überhaupt ausgesprochen wurde, zeigt aber, wie weit es gekommen ist: Längst werden Flüchtlinge, die aus Höllenlöchern wie Syrien entkommen sind, nicht mehr als Schutzbedürftige betrachtet, sondern, wenn nicht als unzumutbare menschliche Last, dann bestenfalls noch als eine Art Waffe mit der man andere Staaten bedrohen oder erpressen kann.