Montag, 25.11.2019 / 16:18 Uhr

Die Selbstdemontage der AKP - Ali Babacan in Gründerstimmung

Von
Silas Gudea, Istanbul

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(Ali Babacan; Quelle: Wikipedia)

 

Rauh und demütigend muss sich die verbale Schelte angefühlt haben, die Ali Babacan in seiner damaligen Funktion als türkischer Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident im März 2015 aus Ankara erhalten hatte. Recep Tayyıp Erdoğan, damals noch in seiner Funktion als türkischer Staatspräsident ohne weitreichende Exekutivgewalt, war sehr erbost über den, seiner Meinung nach “zu laxen” Umgang Babacans und seines Chefs der Türkischen Zentralbank Erdem Başçı bei der Entwicklung des Zinses.

Der “unsittliche Zins”, der zuvorderst den Interessen der “Zinslobby” diene und dem Projekt Erdoğans der allgemeinen Etablierung des Islamic Bankings (Katılımcı Bankalık / Sukuk) in der Türkei im Wege stehe, sollte auf diese paternalistisch-restringierende Art und Weise, ein für allemal in ihre korankonformen Schranken gewiesen werden. Babacan der sich stets für eine zins- und fiskalpolitische Unabhängigkeit der Türkischen Zetralbank einsetzte, und sein oberster Währungshüter Başçı wurden ferner mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrates konfrontiert, da diese, so Erdoğan, anscheinend mit den “Zinslobbyisten” paktierten.

Vielleicht war es diesem Umstand, resp. dieser öffentlichen Stigmatisierung geschuldet, dass damals der Anfang vom Ende der Liebe Ali Babacans zu seiner einstigen Mitbegründung, der AKP, eingeläutet wurde. Eine einst große Partei, die in ihren jungen Jahren ein Prototyp eines gemäßigten Islamismus zu sein schien. Ein von Europa und den USA alimentiertes und verwöhntes Kind, das stets von einer westlich geprägten, aber islamisch-konservativ vertonten, “Ileri Demokrasi” brabbelte und als politisch-gesellschaftliches Musterkind für andere muslimische Länder herhalten sollte. Diesem unromantischen Ende entsprang offenbar Babacans Vision, oder auch Wunsch, zur Gründung einer neue Partei, die auf den Spuren der einstigen wirtschaftsliberalen Framesetterin AKP schreiten sollte.

Bis dato steht zwar nicht fest, wie die Partei Babacans heißen und welches politisch-gesellschaftliche Fundament sie aufweisen soll, jedoch kommen erste Details über sie ans Tageslicht. Seine ehemaligen Parteifreunde Abdullah Gül und Mehmet Şimşek, die, wie er selbst zu den AKP-Gründungsmitgliedern zählen, werden ihn wohl auf diesem Pfad begleiten. Ersterer, der nach Aussage des Journalisten Fehmi Koru von Anfang an an diesem Projekt beteiligt gewesen sei, anscheinend nur als Mediator mit der alten Mutterpartei AKP, letzterer, wenn denn diese Partei ihre endgültige Physiognomie offenbaren sollte, anscheinend als kreditwürdiger Garanteur für die westliche Finanz- und Investitionswelt.

Babacans Partei wird sich als potenzielle Juniorpartnerin einer AKP-MHP-dominierten Allianz gerieren müssen

Weitere potenzielle Wegbegleiterinnen und -begleiter möchten ihren Beitritt in Babacans Partei an von seiner Einstellung zum umstrittenen exekutiven Präsidialsystems macheb. Seine Entscheidung hierzu erscheint weiterhin nebulös, da er einerseits von den Vorteilen eines starken, pluralistischen Parlamentarismus, aber andererseits von einer Möglichkeit zur Verbesserung des gegenwärtigen exekutiven Präsidialsystems spricht. In einem Interview mit der Zeitung “Karar” verriet Babacan ferner, dass sein ehemaliger AKP-Parteifreund und ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu, aufgrund divergierender politischer Prioritäten, keinen Platz in seinem geplanten Führungsteam innehaben werde.

Im selbigen Interview weist Babacan dem entschlossenen Kampf gegen den Terrorismus im Lande den primären Fokus zu, da sich die staatliche Beschneidung der Freiheit, die Einschränkung der Judikative und folglich die Limitierung der Demokratie in der Türkei, aus jenem Umstand nährten. Dabei wird der Kampf gegen den Terrorismus, wie üblich, in einem Atemzug mit der “Kurdenfrage” genannt. Die Probleme beim Namen zu nennen und sie als solche anzuerkennen, so Babacan, seien der erste Schritt zur Lösung dieser.

Die Geburt der neuen Partei, soll sich, so Babacan, noch im Dezember 2019 vollziehen. Wie groß die ideologischen Komplikationen bei dieser sprichwörtlichen Entbindung aus dem mütterlichen Uterus der AKP sein werden, lässt sich seit Wochen bereits erahnen.

Experten sprechen von einer Totgeburt, sollte sich Babacans Partei komplett konträr zu Recep Tayyıp Erdoğan und seine AKP positionieren. So gesehen wird sich Babacans Partei als potenzielle Juniorpartnerin einer AKP-MHP-dominierten Allianz gerieren müssen, da man eine Koalition mit der CHP und der HDP schon jetzt ausschliessen kann. Beide oppositionelle Parteien werden, etliche Wochen nach den für die AKP desaströs ausgefallenen OB-Wahlen, aber vor allem seit dem Beginn der militärischen Offensive in Nord-Syrien, auf allen staatlichen und AKP-nahen Kanälen als Keimzellen der Terrororganisation PKK dämonisiert.