Samstag, 09.03.2019 / 22:10 Uhr

Ein algerischer Frühling?

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Am gestrigen Freitag fand die bislang größte Demonstration gegen die erneute Nominierung des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika statt. Nicht nur in der Hauptstadt Algier, sondern an unzahligen anderen Orten in Algerien und auch Frankreich gingen Zehntausende auf die Straße. Längst ist in der Region von einem  „algerischen Frühling“  die Rede und Gäste in Talkshows spekulieren über ein mögliches Ende des algerischen Einparteiensystems, dass die ganzen regionalen Umbrüche und Unruhen der vergangenen Jahre bislang recht unbeschadet überstanden hatte.

Die Menschen, die dieser Tage in Algerien protestieren, fordern „Citoyenneté et Democratie“, sie wollen keinen islamischen Staat, sondern das, was in Tunesien zumindest auf dem Papier inzwischen erreicht wurde.

Denn anders als in den benachbarten Maghrebstaaten kam es 2011 in Algerien zu keinen größeren Protesten.  Das lag wohl vor allem in den traumatischen Erfahrungen, die Algerier mit der Islamischen Heilsfront und den Jihadisten der Islamic Group of Algeria in den 90er Jahren machten mussten. Denn der blutige Terror, mit dem Islamisten später die ganze Region überzogen, begann damals in Algerien. Und als einziger Schutz erschienen Armee und Regierung, die ihrerseits wiederum mit äußerster Brutalität gegen die Islamisten und alle, die im Verdacht standen mit ihnen zu sympathisieren, vorgingen.

Als dann im Winter 2010 in Tunesien die Proteste begannen und sich später in Ägypten die Muslimbrüder als starke Kraft innerhalb der Opposition entwickelten, hielten sich Algerier lieber zurück: Zu groß war die Angst, Islamisten könnten erneut in ihrem Land erstarken. Das Regime profitierte von der Angst und spielte gekonnt mit ihr, stellte sich als Bollwerk und Hort der Stabilität dar. Dabei litt und leidet das Land unter genau denselben Problemen wie die Nachbarn: ökonomische Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit, eine extrem junge Bevölkerung der jede Perspektive fehlt und ein repressives System, das Veränderungen mit allen Mitteln zu verhindern sucht.

Wenn heute in Algerien nun Tausende auf die Straßen gehen, dann weil die Lage unerträglich geworden ist und die Angst vor einem Wiedererstarken der Islamisten nicht mehr so stark ist wie noch vor acht Jahren. Denn der politische Islam scheint dieser Tage in der Defensive, ob in Ägypten oder Tunesien und dem Nahen Osten. ISIS ist militärisch, wenn nicht geschlagen, so doch enorm geschwächt.

Die Menschen, die dieser Tage in Algerien protestieren, fordern „Citoyenneté et Democratie“, sie wollen keinen islamischen Staat, sondern das, was in Tunesien zumindest auf dem Papier inzwischen erreicht wurde. Das aber sind politische Forderungen, die sich genau so gegen die Islamisten und ihre auf der Scharia basierende Idee von der natürlichen Ungleichheit der Menschen vor dem Gesetz richten wie gegen das verknöcherte Regime.

Aber auch in Algerien gibt es keine nahmhafte organisierte Opposition und konkrete Ideen, wie eine Alternative zum bestehenden System aussehen könnte, fehlen. Darin gleichen die Proteste denen aus dem Jahr 2011 in den Nachbarländern. Entsprechend panisch reagieren die Europäer, allen voran Frankreich, die Chaos und Unruhe fürchten und auf vermeintliche Stabilität in ihrem ehemaligen Überseedepartment setzten.

Einmal mehr scheint man überrascht, dass diese Stabilität im Nahen Osten seit langem nicht mehr existiert und jederzeit in fast jedem Land Unruhen ausbrechen können, die das fragile Staatsgefüge in wenigen Tagen bis ins Mark erschüttern. Momentan bangt nämlich nicht nur die alte algerische Elite um ihre Zukunft, auch im Sudan reißen die Demonstrationen und Proteste nicht ab. Die alte arabische Welt nämlich gibt es seit langem nicht mehr und jeder Versuch, den Status Quo ante mit Zwang zu restaurieren, ist zum Scheitern verurteilt. Da helfen auch irgendwelche Gipfel mit abgehalfterten Despoten nicht, wie das jüngst in Ägypten abgehaltene Treffen zwischen EU und Arabischer Liga.