Dienstag, 26.02.2019 / 17:23 Uhr

Das Erbe des IS

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Das IS-Kalifat gibt es nicht mehr. Die letzten paar Quadratkilometer rund um die noch von den Dschihadisten kontrollierte Kleinstadt Baghouz in Ost-Syrien, in der sich vor allem hunderte internationale Kämpfer verschanzt hatten, sind inzwischen beinahe zur Gänze erobert.

An der Front spielen sich unvorstellbare Szenen ab. Befreit wurde etwa eine Gruppe von jesidischen Kindern, die sich seit mittlerweile viereinhalb Jahren in den Klauen der Organisation befunden haben. Neben Tausenden von Mädchen und Frauen, von denen unzählige bislang noch nicht zurückgekehrt sind, verschleppte der IS gezielt jesidische Kinder und unterzog sie einer Gehirnwäsche mit dem Ziel, aus ihnen Muslime zu machen. Einige wurden sogar als Selbstmordattentäter missbraucht. Viele mussten mit ansehen, wie ihre Eltern misshandelt und ermordet wurden.

In einem kurzen Video fragt eines dieser Kinder, ob seiner Heimat Shingal auch nichts geschehen sei. Offenbar weiß es bislang nicht, dass sich dort, wo es einst gewohnt hat, heute eine fast unbewohnbare Ruinenlandschaft befindet und Hunderttausende Jesiden weiterhin in Flüchtlingslagern im kurdischen Nordirak leben müssen.

 

Sollten diese Kinder, die oft nicht einmal mehr ihre richtigen Namen kennen, „Glück“ haben und Familienangehörige finden, so wird auch ihre Zukunft aus dem Leben in einem Lager für intern Vertriebene bestehen. Wenn nicht, bleibt ihnen nur der Gang in eines der miserabel ausgerüsteten und völlig überfüllten Waisenhäuser in der Region.

Ein paar Anschläge im Irak sind keine Schlagzeilen wert.

So oder so, ihr Leben wird in den kommenden Jahrzehnten von den traumatischen Erlebnissen der vergangenen vier Jahre geprägt sein. Normalität wird für sie ein Fremdwort bleiben. Der IS mag vorerst militärisch geschlagen sein, das Leben der Jesiden im Irak, die auszulöschen eines der Ziele der Dschihadisten war, ist aber weitgehend zerstört und Besserung ist nicht in Sicht. Die meisten von ihnen werden den sechsten Sommer in den über irakisch-Kurdistan verstreuten Zeltlagern verbringen.

Die befreiten Kinder werden – wie unzählige andere Opfer des IS auch – bald in Vergessenheit geraten und ihrem Schicksal überlassen. Über sie redet kaum jemand, während in Europa hitzige Debatten geführt werden, ob man verpflichtet sei, IS-Kämpfer oder -anhängerinnen mit französischem, deutschen oder österreichischem Pass zurückzunehmen.

Der IS wird weiter morden und bomben, nur eben nicht mehr als Armee eines von ihm kontrollierten Kalifats, sondern als dschihadistische Guerillatruppe. Die Blutbäder, die er anrichten wird, werden vom Rest der Welt kaum zur Kenntnis genommen werden: Ein paar Anschläge im Irak sind keine Schlagzeilen wert.

Während das ganze Thema bald aus den Medien verschwunden sein wird, geht das Leid der Jesiden und der anderen Opfer des IS weiter. Deshalb schrieb Seth J. Frantzman schon vor einigen Monaten, man müsse die bittere Realität akzeptieren, dass der IS in gewissem Sinne gesiegt habe: Große Teile Nordostsyriens und des Irak sind Ruinenlandschaften, für Hunderttausende Menschen, die die Dschihadistenorganisation als ihre Feinde identifiziert hat, wird es keine Rückkehr zu dem Leben vor 2014 mehr geben.

Joseph Goebbels, der deutsche Propagandaminister, soll angesichts der sich abzeichnenden Niederlage des 3. Reichs gesagt haben, wenn die Nazis die Tür zuschlagen, werde es in einer Weise geschehen, die man noch in hunderten von Jahren hören werde. Gleiches könnte man vom IS sagen. Die Dschihadisten wissen, welches Erbe und welche Wüsten sie hinterlassen haben – und sind vermutlich auch noch stolz darauf.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch