Dienstag, 28.08.2018 / 17:28 Uhr

Koba, Katzen und Khinkali: Kulturkämpfe

Von
Jörn Schulz
Tiflis, Graffiti

Tiflis

Bild:
Archiv 2. Juni

Punk‘s not dead, it just moved to the Caucasus. In Albanien gab es nur einen Punk, der lange vor unserer Ankunft verstarb. Hier ist das anders, und hier kann es auch gefährlich werden, Punk zu sein – inklusive Nahtoderlebnis. Nein, mit der Kirche oder den Faschos hatte es nichts zu tun. Wie wir diese Geschichte in der schon prall gefüllten Georgien-Ausgabe unterbringen können, wissen wir noch nicht. Vorsichtshalber sei an dieser Stelle aber nur verraten, dass eine solide Bürokratie auch für Punks lebenswichtig sein kann und es hierzulande auch für tätowierte Biker keine Schande ist, zu weinen.


Georgische Punks trinken natürlich Bier, wie es sich gehört. An sich ist Georgien aber eher das Land des Weines, vielleicht das erste, in dem er hergestellt wurde. Es wird noch viel in Heimarbeit selbst produziert und es gibt spezielle Methoden. Auch darüber mehr am 6. September. Der Wein ist hier Teil der Nationalmythologie, gibt dem Nationalismus aber auch eine versöhnliche Note, jedenfalls in Gestalt der Kartlis Deda (Mutter Georgiens), einer Monumentalstatue in Tiflis. Sie hält, wie es sich für solche Statuen geziemt, in der rechten Hand ein Schwert. In der linken Hand aber hält sie eine Weinschale – zur Begrüßung der Gäste. Ich finde, das ist ein freundlicher Zug. Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen und der Germania statt der Reichskrone einen Bierkrug in die Hand geben.


Dass wir uns hier in einem Bürgerkriegsland mit einem mehr oder weniger gefestigten Waffenstillstand befinden, fällt im Alltag nicht auf. Gori, die Geburtsstadt Stalins, die auch ein Stalin-Museum beherbergt, liegt in Artilleriereichweite Südossetiens. Viele Einwohner hatten Besitz in Südossetien und die Verbindung dorthin verloren, wir trafen einige, die kein Russisch mehr sprechen wollen. In Tiflis hingegen ist Russisch als internationale Verkehrssprache wohl noch verbreiteter als Englisch, im vorigen Jahr besuchten fast 1,4 Millionen Russinnen und Russen das Land. Dass wir hier mit erstaunlich vielen Abchasierinnen und Abchasiern zu tun haben, ist sicherlich Zufall.


Die Folgen der bewaffneten Konflikte prägen auch die georgische Gesellschaft jenseits der separatistischen Gebiete. Spätestens seit 2008 kann der abchasische und südossetische Separatismus im Wesentlichen als russische Intervention gelten, die Entstehungsgeschichte der Konflikte ist aber viel komplizierter und hat auch einiges mit einem Minderheiten ausgrenzenden georgischen Nationalismus zu tun. Doch selbst wenn es auf allen Seiten eine ausreichende Bereitschaft gäbe, die „ethnischen“ Konflikten zugrunde liegenden Probleme zu lösen – einfach wäre es auch dann nicht, etwa den richtigen Weg in Fragen der Schulsprache zu finden.   


Die nationalmythologische Aufladung erleichtert die Problemlösung natürlich nicht. Der neue georgische Nationalismus ist stark von der hiesigen orthodoxen Kirche geprägt – der oft unterstellt wird, sie sei prorussisch. Handelt es sich um einen oberflächlichen Bezug wie bei den AfD- oder Pegida-Kreuzschwenkern? Mehr darüber, Sie haben es erraten, am 6. September. Dass es an der nächstgelegenen Metro-Station einen Kiosk mit religiösen Devotionalien gibt, liegt jedenfalls wohl nur daran, dass wir in der Nachbarschaft des größten Sakralbaus des Kaukasus logieren.


Wie in der georgischen Gesellschaft toben auch in unserer Redaktion heftige – aber unblutige – Kulturkämpfe. Analog vs. digital, Techno vs. Punk, Khinkali vs. Chatschapuri (als jüngste kulinarische Entdeckung sei an dieser Stelle nebenher die Ktemali, die georgische Pflaumensauce, erwähnt), Comic vs. Graphic Novel, um nur einige wenige zu nennen. Sollte eine Eskalation drohen, können wir uns nun ein Beispiel an Kartlis Deda nehmen, das Schwert senken und dem Kontrahenten oder der Kontrahentin eine Schale Wein reichen.