Small Talk mit Juliane Nagel über die Proteste gegen Mietsteigerungen in Leipzig

»Die Blase verlassen«

Pyrotechnik, brennende Mülltonnen, Barrikaden, fliegende Pflastersteine – nach der Räumung eines aus Protest gegen steigende Mieten besetzten Hauses kam es in der vergangenen Woche im Leipziger Stadtteil Connewitz an mehreren Abenden zu Zusammenstößen mit der Polizei. Juliane Nagel, Stadträtin und Mitglied des Sächsischen Landtags für die Linkspartei, hat mit der »Jungle World« über die Ereignisse gesprochen.
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Die Debatte über Gentrifizierung in Leipzig ist nicht neu. ­Weshalb bedarf es erst der Bilder von Ausschreitungen, um überregional Aufmerksamkeit für die Entwicklung auf dem ­Wohnungsmarkt zu erhalten?

Ich denke, es ist einfach Teil der medialen Logik, bestimmte Themen erst in der Eskalation aufzugreifen. Das Thema »Linke Gewalt« löst so das eigentliche Thema der Miet- und Stadtentwicklung ab. Die Mieten steigen rasant und der Druck auf Mieterinnen und Mieter wächst. In Connewitz werden gerade 700 neue Wohnungen ­gebaut, der Mietpreis liegt bei mindestens zehn bis zwölf Euro pro Quadratmeter, Menschen geben mindestens 30 Prozent ihres Einkommens für Miete aus. Leipzig ist eine der am stärksten wachsenden Städte und mit dem Erlass des Mietendeckels in Berlin haben große Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia angekündigt, dass sie hier einen wichtigen Markt sehen

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will bei Protesten gegen die Pandemiemaßnahmen »verstehen, was die Menschen umtreibt«. Auf das Geschehen in Leipzig ­reagierte er mit dem Satz: »Wir sagen diesen Menschen den Kampf an.« Hat man es in Sachsen schwer mit linken Forde­rungen in der Wohnungspolitik?

Der Umgang von Michael Kretschmer damit ist skandalös. In den vergangenen Wochen gab es eine kritische Debatte über seine Teilnahme an einem sogenannten Coronaspaziergang. In Sachsen hat es System, dass die CDU sich immer nach rechts wendet und dort Verständnis zeigt, während linke oder soziale Forderungen keine ­Legitimität erhalten. ­Dabei geht es beim Wohnen nicht einmal um eine spezifisch linke Debatte, sondern eine ­sozialpolitische.

Sie kritisierten auf Twitter, dass die, die am »Ringen um regulierende Instrumente« wenig Interesse zeigen, beim »punktuellen Spektakel« gewaltbereit dabei sind. Warum ist das so?

Das ist die Natur von linkem Engagement. Einige haben keine Zeit, sich regelmäßig in einer Initiative zu engagieren, und andere finden einfach dieses punktuelle Spektakel gut. Immerhin haben sich inzwischen führende Politiker in dieser Stadt dezidiert geäußert, der Oberbürgermeister und auch manche Fraktionen im Stadtrat. Man kann hoffen, dass Menschen sich angesichts der Ereignisse am Wochenende weiter engagieren. Die Thematik wird zwar immer von links bespielt, alle haben eine Meinung dazu, aber in der kleinteiligeren Alltagsarbeit, im Aufbau solidarischer Nachbarschaft und in der konkreten Unterstützung von Menschen, die von Zwangsräumung bedroht sind, fehlen Leute. Es gilt hier, die eigene linke akademische Blase zu verlassen und Bündnisse über die ­eigenen Gruppen hinaus zu schmieden.

Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten?

Wir haben die selbstorganisierte Mieterinnen- und Mieterberatung, in der auch ein solidarischer Anwalt dabei sitzt. Aber es braucht nicht nur juristische Hilfe, sondern auch Unterstützungsnetzwerke für politische Aktionen, für Vernetzung und für öffentliche Wahrnehmung. Hauseigentümer und Immobilienfirmen reagieren sehr sensibel auf öffentlich geäußerte Kritik. Ein weiterer Punkt ist das Monitoring des Wohnungsmarkts, zum Beispiel hat die Deutsche Wohnen sich in Leipzig in ein Immobilienentwicklungsunternehmen eingekauft. Es ist wichtig, solche Entwicklungen zu beobachten, um konkret handlungsfähig zu bleiben.