Militäroperationen der Türkei im Nordirak

Erdoğans Fuß im Irak

Im Nordirak wurden zwei irakische Offiziere und ein PKK- Kommandant von einer türkischen Drohne getötet. Die Zahl türkischer Militäroperationen in der Region ist gestiegen.

Am Dienstag voriger Woche tötete eine türkische Drohne im Nord-Irak einen General und einen Generalleutnant der irakischen Grenztruppen sowie den PKK-Kommandanten der irakischen Grenzregion Khakurk, Agit Garzan. Ein weiterer Soldat starb später an seinen Verletzungen, ein Offizier wurde verwundet. Die Angegriffenen kamen von einem Treffen, bei dem ein Konflikt zwischen den Grenztruppen und der PKK gelöst werden sollte. Am Tag zuvor hatten Grenzsoldaten versucht, ­einen neuen Kontrollpunkt zu errichten. Die PKK hatte daraufhin das Feuer eröffnet. Nun hatte man verhandelt und anschließend zusammen gegessen. Beim Aufbruch erfolgte der Angriff. Garzan starb in einem Fahrzeug der Grenztruppen.

Einer Landnahme der Türkei im Nordirak stehen einige Hindernisse entgegen, insbesondere der im Vergleich zu Syrien größere Anteil an kurdischer Bevölkerung.

Es ist gut möglich, dass die Angreifer nicht nur die PKK treffen wollten, sondern sehr gezielt auch die irakischen Grenzer. Die friedliche Konfliktregelung zwischen der PKK und den Grenzsoldaten, die zwar nicht der kurdischen Regionalregierung, sondern der Zentralregierung unterstehen, aber Kurden sind, liegt nicht im Interesse der Türkei.

Die irakische Regierung reagierte empört auf die Verletzung der staatlichen Souveränität. Der türkische Botschafter erhielt eine Protestnote, der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar, dessen Besuch in Bagdad für Donnerstag vergangener Woche vorgesehen war, wurde wieder ausgeladen. Dies war dann schon das Maximum an irakischer Vergeltung.

Der irakische Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi kam erst im Mai nach großen Protesten an die Macht. Er sieht sich mit vielen Problemen konfrontiert: Wirtschaftskrise, Korruption, Covid-19, Reste des »Islamischen Staats« (IS). Der Konflikt zwischen dem Iran und den USA wird auch im Irak ausgetragen, die Türkei kann dem Land mit ihren Staudämmen das Wasser abdrehen und die Abhängigkeit von Importen aus der Türkei ist groß.

Offiziell geht es der Türkei nur um die Bekämpfung der PKK im Nordirak. Gelten die irakischen Bemühungen in dieser Hinsicht als unzureichend, ist dies aus türkischer Sicht eine Rechtfer­tigung für eigene Interventionen. Doch Angriffe der PKK aus der Grenzregion sind in den vergangenen Jahren selten geworden.

Seit den neunziger Jahren marschierten hingegen immer wieder türki­sche Truppen ein, mit Duldung Massoud Barzanis, dessen Kurdische Demokratische Partei die Grenzregion kontrolliert, blieben auch einige Spezialeinheiten sationiert. Als im Herbst 2015 etwa 600 türkische Soldaten nahe dem zehn Kilometer von der damals noch vom IS gehaltenen Stadt Mossul entfernten Ort Bashiqa einen Stützpunkt errichteten, kochte die ­Erregung hoch. Der Vorsitzende der Sicherheitskommission des irakischen Parlaments, Hakim Zamili, forderte gar Luftangriffe auf die türkischen Soldaten. Auch der Botschafter bekam Klagen zu hören. Dabei blieb es, und auch mit dem sonst so aggressiven IS gab es keine Probleme.

Ein Jahr später wärmte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die alten Ansprüche der Türkei auf die Region um Mossul und das rund 160 Kilometer südöstlich dieser Stadt gelegene Kirkuk wieder auf. »Mossul hat uns gehört, schaut die Geschichte an«, sagte Erdoğan. »Wir haben schon immer gesagt, dass der Schlüssel zum Irak nicht einer ethnischen Struktur überlassen werden soll. Das sagen wir auch in Bezug auf Syrien.«

»Ethnische Struktur« ist eine Umschreibung für »Kurden«. Mossul ist aber überwiegend arabisch, und die Wendung »hat uns gehört« gilt für fast alle umliegenden Länder, wenn man wie Erdoğan die Türkei mit dem Osmanischen Reich identifiziert. Allerdings war das Wilayet Mossul mit dem Ölzentrum Kirkuk der Teil des Osmanischen Reiches, auf den die Türkei zuletzt – in einem 1926 mit Großbritannien geschlossenen Vertrag – verzichtete. Außerdem leben in dem Gebiet neben Kurden und Arabern auch viele Turkmenen. Seit 2016 ist Erdoğan, was Mossul und Kirkuk angeht, ruhig geblieben. Einer Landnahme der Türkei im Nordirak stehen einige Hindernisse entgegen, insbesondere der im Vergleich mit ­Syrien größere Anteil an kurdischer Bevölkerung.

Was auch immer die langfristigen Ziele sein mögen, die Zahl militärischer Operationen der Türkei im Nordirak hat seit einem Jahr erheblich zugenommen. Mitte Juni sind türkische Truppen im Rahmen der Operation »Tigerkralle« 15 Kilometer auf irakisches Territorium vorgedrungen und haben 50 kleine Stützpunkte errichtet. Außerdem sterben bei türkischen Drohnenangriffen neben PKK-Kämpferinnen und -Kämpfern auch immer wieder Zivilistinnen und Zivilisten. Die Zahl der Toten ist nicht sehr hoch, aber um Schrecken zu verbreiten, reicht es.

Anders als in Syrien verfolgt die Türkei ihre Politik im Irak relativ diskret. Außerdem leben in der ohnehin seit Jahren unsicheren Gebirgsregion viel weniger Menschen als in der syrischen Ebene. Doch es sieht so aus, als ob die Türkei auch im Irak einen Streifen Land besetzt halten möchte. Wenn auch in geringem territorialen Umfang verleibt sich die Türkei damit doch de facto ein weiteres ehemals osmanisches Territorium ein. Im Falle einer neuen Phase extremer Instabilität, etwa aufgrund einer Rückkehr des IS, ließe sich der Landgewinn dann auch ausbauen. Kirkuk liegt wohl außerhalb der Reichweite, aber ein Versuch, das nordwestlich von Mossul gelegene, hauptsächlich von Turkmeninnen und Turkmenen bewohnte Tal Afar zu erreichen, wäre denkbar. Das würde auch eine Art Riegel zwischen die kurdische Region im Nordirak und die kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien legen.

Erdoğan ist geopolitisch ambitioniert: Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass er in Libyen eingreifen und mit Hilfe Libyens Griechenland dessen maritime Wirtschaftszone streitig machen würde (Jungle World 31/2020)? Ebenso wird er wohl auch Gelegenheiten im Irak nicht einfach verstreichen lassen.