Ein Gespräch mit Elisabeth Schleert, Diplom-Psychologin bei Pro Familia, über Schwangerschaftskonflikte, Stress und Sex im Homeoffice

»Für Sexualität braucht man Zeit und Gelegenheit«

Liebe, Sex und Partnerschaft stehen in der Pandemie zunehmend unter Druck. Wie belastend die Situation ist, hängt auch vom Einkommen der Liebenden ab.
Interview Von

Mit welchen Anliegen kommen die Menschen in der Pandemie zu Ihnen in die Beratung?

Zu Beginn der Krise haben wir unser Angebot umgestellt. Wir haben zunächst nur in Schwangerschaftskonflikten ­sowie dringenden medizinischen Fällen und akuten Krisen beraten. Unsere normalen Sprechstunden mussten wir erst mal schließen. Der Senat erlaubte dann, dass wir auch telefonisch und per Video beraten dürfen. Telefonisch konnten wir auch rasch wieder Paar- und Sexualberatungen anbieten. Die wurden auch stark nachgefragt, insbesondere zum Thema Paarkonflikte.

Für eine Schwangerschaftskon­fliktberatung müssen die Frauen also nicht mehr zu ihnen kommen?

Wir haben da ein Mischkonzept: Persönliche, Video- und Telefonberatung. Und das wird auch vorläufig so bleiben. Für viele Frauen ist das natürlich eine Erleichterung und deswegen auch eine Bereicherung für uns als zusätzliches Angebot. Von der Beratung abgesehen, gab es aber andere Probleme. Zu ­Beginn der Krise war der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erschwert, weil einige Praxen geschlossen waren oder nur medikamentöse Abbrüche bis zur neunten Woche angeboten haben. Außerdem waren die Büros der meisten Krankenkassen nicht geöffnet, sondern nur telefonisch oder über das Internet erreichbar. Das heißt, es war auch nicht einfach, an die Kostenübernahme zu kommen. Gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen, schlechter digitaler Infrastruktur und weniger guten Deutschkenntnissen war das kaum zu bewältigen.

Wie haben die Angst vor Covid-19 und die Kontaktbeschränkungen Partnerschaft und Sexualität beeinflusst?

Die Krise hat natürlich zu einer allgemeinen Erhöhung des Stresslevels ­geführt. Das hängt aber auch von individuellen Lebensbedingungen ab. In einer Zweizimmerwohnung mit zwei kleinen Kindern ist das ein anderes ­Level als in einem Einfamilienhaus mit Garten, wo jeder sein eigenes Zimmer hat. Besonders für Eltern war das Thema Intimität und Sexualität schwierig, weil ihnen natürlich oft die Räume fehlten. Wenn die Kinder schlafen, sitzen sie dann beide oder im Wechsel am Schreibtisch und arbeiten. Für Sexualität braucht man schließlich auch Zeit und Gelegenheit. In den festen Beziehungen, in den es keine Kinder gibt, sieht das anders aus. Da kann man die gemeinsame Mittagspause im Home­office auch im Bett verbringen. Da eröffnen sich Räume und Möglichkeiten. Das ist eben sehr unterschiedlich. Insgesamt haben sich Konfliktlagen in Partnerschaften verdichtet. Probleme, die schon vorher da waren, kommen in der Krise verstärkt zum Tragen. Je besser es den Leuten aber sozioökonomisch geht, desto besser sind sie auch als Paar durch die Krisenzeit gekommen. Denjenigen, denen es auch vorher schon schlecht ging, für die war diese Zeit natürlich besonders herausfordernd.

War häusliche Gewalt in dieser Zeit ein Thema?

Für uns hat sich da ein sehr differenziertes Bild ergeben. So taucht bei uns das Thema zum Beispiel in der Schwangerschaftskonfliktberatung auf. Da ist häusliche Gewalt nicht der Anlass der Beratung, aber das Thema wird deutlich. Ob es da eine Steigerung gab, ist schwer zu sagen. Aber wir haben festgestellt, dass es manchmal schwierig war, überhaupt ein ungestörtes Beratungssetting herzustellen, weil eben der Partner oder die Partnerin immer mitgehört hat oder die medialen Kontaktmöglichkeiten kontrolliert werden. Oft sind die Frauen dann rausgegangen und haben während eines Spaziergangs mit uns telefoniert. Für viele hat der lockdown es kompliziert gemacht, Hilfeeinrichtungen überhaupt zu kontaktieren.

Spielen außer der Enge noch andere Faktoren eine Rolle?

Teilweise hat sich leider auch die ökonomische Abhängigkeit der Frauen während der Krise erhöht, weil die Frauen sich verstärkt um die Kinder gekümmert haben und die Männer eher ihrer oft besser bezahlten Berufstätigkeit nachgegangen sind. Das vergrößert die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was die Einkommen angeht. Ökonomische Abhängigkeit in der Beziehung kann auch ein Risikofaktor für häusliche Gewalt sein.