Der Machtkampf in der AfD spitzt sich zu

Der Glencheck-Sakko und seine Hunde im Souterrain

Der offene Machtkampf in der AfD greift auch auf deren Parteistiftung über. Um inhaltliche Differenzen geht es nur vordergründig. Aus einer Spaltung könnten zwei erfolgreiche Parteien rechts von der Union hervorgehen.

In der AfD tobt ein offener Machtkampf. Zur Debatte steht, welche Netzwerke welche Politik vorgeben sollen und wo die Grenzen des Extremismus liegen. Soll man daraus, dass der Verfassungsschutz Teile der Partei beobachtet, Konsequenzen ziehen oder dem weiter mit Trotz begegnen? Die Frak­tionen bereiten sich auf den großen Konflikt vor, der Ausgang ist noch ungewiss. Sicher ist nur, dass die eingespielte Arbeitsteilung zwischen staatstragendem Gestus und »revolutionärer« Erhitzung nicht mehr funktioniert.

Den Auftakt bildete die Annullierung der Parteimitgliedschaft des brandenburgischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz, der neben Björn Höcke die wichtigste Führungsfigur des extrem rechten »Flügels« war, bevor dieser sich offiziell auflöste. Kalbitz hatte bei seinem Eintritt in die AfD 2013 seine frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern und der neonazistischen Organisation »Heimattreue Deutsche Jugend« (HDJ) verschwiegen (Jungle World 22/2020). Letztere bestreitet Kalbitz trotz eindeutiger Hinweise weiterhin. Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen hielt Kalbitz plötzlich für untragbar und wagte den offenen Konflikt mit Alexander Gauland, dem Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion.

Gauland nahm die Herausforderung an, nun geht es um die Zukunft der Partei. Denn auch der Mann im Glencheck-Sakko kann die extreme Rechte nicht mehr decken; eine Konstellation, für die Konrad Adam, einer der drei AfD-Bundesvorsitzenden der ersten Stunde, kürzlich ein passendes Bild prägte: »Während Gauland auf dem Balkon stand und die Annehmlichkeiten des englischen Landlebens pries, versorgte Kalbitz im Souterrain die Hunde.« Sollte Meuthen sich durchsetzen, gingen Teile der AfD wohl eigene Wege. Damit ergäbe sich die Möglichkeit neuer politischer Konstellationen.

Der Eindruck einer konsequenten Mäßigung der AfD wird dadurch geschmälert, dass stets erst Druck von außen zu entsprechenden Aktivitäten führte.

Noch ist fraglich, ob es so weit kommt, immerhin hatte Meuthen selbst lange die Einigkeit der verschiedenen Parteiströmungen als Grundlage des Erfolgs der AfD beschworen. Doch inzwischen erfasst der Konflikt die gesamte Partei. In der bayerischen AfD-Landtagsfraktion scheiterte Ende Mai nur knapp eine Abwahl der Vorsitzenden Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn. Anlass für die Revolte waren die extrem rechten Positionen Ebner-Steiners. Ruhe ist jedoch noch lange nicht eingekehrt, der ­Konflikt gilt als lediglich vertagt. Auch hier zeigt sich, dass der völkische Flügel weder einfach aufzulösen ist noch seine Gegner im Zaum zu halten vermag.

Ähnlich brodelt es auch in der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES). Dort drängte Ende Mai die Vorsitzende Erika Steinbach, ehemalige CDU-Politikerin und Vertriebenenfunktionärin, Erik Lehnert aus dem Stiftungsvorstand. Dieser ist seit über einem Jahrzehnt Geschäftsführer von Götz Kubitscheks Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda und war erst im vergangenen Herbst als Schriftführer in den Vorstand der Erasmus-Stiftung gewählt worden. Die Angelegenheit ist schwer nachzuvollziehen, schließlich unterscheiden sich die vergangenheitspolitischen Standpunkte Erika Steinbachs kaum von denen des Schnellroda-Kreises um Kubitschek. Steinbach möchte wohl den Draht zu den Merkel-Gegnern in der CDU nicht verlieren. Aber vor allem dürfte die Sorge eine Rolle spielen, der Stiftung könne die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, da der Verfassungsschutz das IfS inzwischen als rechtsextremen Verdachtsfall führt.

Die Querelen zeigen, wie wenig gefestigt die Strukturen der AfD sind. Der Weg zu einer eigenen Stiftung war für die Partei ohnehin schon steinig. Früh hatten führende Vertreter der AfD die Finanzierung der Stiftungen anderer Parteien als Verschwendung von Steuergeldern gebrandmarkt, um schließlich ebenfalls den Aufbau einer solchen Institution zu betreiben. Verschiedene Netzwerke konkurrierten unter diversen Namen, bis man sich schließlich auf die Desiderius-Erasmus-Stiftung einigte.

Der Fall Lehnert zeigt, dass dieser Konflikt niemals wirklich befriedet wurde. Kaum hatte Steinbach Abwahl und Rauswurf des Kubitschek-Getreuen durchgesetzt, drohte Gauland im Gegenzug, der DES den Status als »parteinahe Stiftung« abzuerkennen. Damit verlöre die DES nicht nur der Zugang zu etlichen Millionen Euro an Steuermitteln, auch die ganze Auseinandersetzung um eine AfD-nahe Stiftung begänne von neuem.

Ohnehin ist die Angelegenheit mit dem Rauswurf Lehnerts noch nicht beendet. Dieser wies selbst darauf hin, dass das IfS mit dem Beisitzer Jan Moldenhauer noch einen zweiten Mann im Vorsitz der Stiftung habe.

Der Eindruck einer konsequenten Mäßigung wird ohnehin dadurch geschmälert, dass stets erst Druck von außen zu entsprechenden Aktivitäten führte. Satzungsvorschriften gegen einen allzu völkischen Kurs gab es schon lange, doch wurden sie kaum durchgesetzt. Auch Meuthen war in dieser Frage vor allem durch Untätigkeit und Verharmlosung aufgefallen. Dass er zudem selbst bei Treffen des »Flügels« am Kyffhäuser und im Institut für Staatspolitik aufgetreten war, macht seinen plötzlichen Sinneswandel unglaubwürdig. Wahrscheinlicher ist, dass er dienstrechtliche Konsequenzen fürchtet – er ist derzeit beurlaubter Professor für Volkswirtschaft an der Verwaltungshochschule in Kehl –, sollte er nicht auf den Warnschuss des Verfassungsschutzes reagieren. Zudem ist Meuthens Position in der Partei bereits geschwächt, weil sein Vorhaben ab­gelehnt wurde, eine Privatisierung der Altersvorsorge ins Parteiprogramm aufzunehmen. Ernsthafte Probleme mit den Positionen von Lehnert und Kalbitz dürfte er kaum haben.

Dennoch ist die derzeitige Auseinandersetzung nicht zu unterschätzen, entscheidet sich doch in ihr die Anpassungsfähigkeit der deutschen Rechten. Denn die Gründung der AfD als Sammlungsbewegung unterschiedlicher rechter Strömungen versprach, diese aus dem Schatten ihrer Geschichte zu führen. Sie sollte unter Beweis stellen, dass rechtsaußen eine Modernisierung möglich sei, um Anschluss an den eu­ropäischen Rechtspopulismus zu finden. Wie in Schweden oder den Niederlanden wollte man zwar einwanderungsfeindlich, aber nicht ethnonationalistisch oder antiwestlich sein und sich zum freien Markt bekennen. All das gelang nur in Ansätzen.

Es ist noch nicht abzusehen, ob sich Meuthen gegen seine Gegner durchsetzt. Doch hat er durchaus Verbündete. Die AfD-nahe Wochenzeitung Junge Freiheit präsentierte wiederholt von ihr in Auftrag gegebene Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Insa, ­denen zufolge die Partei durch Mäßigung Wähler gewinnen könnte. Ein Sieg Meuthens könnte die politischen Verhältnisse erneut gravierend verändern. Nach einer vorgeblichen »Entnazifizierung« könnte die AfD für die CDU und CSU koalitionsfähig werden. Manche Unionspolitiker, die derzeit nur widerwillig zur AfD Abstand halten, könnten die Partei dann als Partnerin umwerben. Damit geriete auch die Bundes-CDU unter Druck, täte sich doch perspektivisch eine Alternative zu schwarz-roten oder schwarz-grünen Koalitionen auf, falls nötig im Verbund mit der FDP, mit deren Programm Meuthens marktradikaler Sozialdarwinismus einige Schnittmengen aufweist. Die Möglichkeit sollte nicht von der Hand gewiesen werden, auch wenn die AfD einiges ihrer Schlagkraft einbüßen würde. Dann gäbe es zwei rechte Parteien mit Parlamentssitzen – eine Meuthen-AfD und eine Höcke-AfD. Vielleicht wäre Meuthens AfD dann weniger traditionell. Weniger rechts wäre sie allerdings kaum – nur anders.