Die musikalischen Konzepte von The Magnetic Fields

Viele schnelle Nummern

Die meisten Songs auf dem neuen Konzeptalbum von The Magnetic Fields dauern nicht länger als zwei Minuten.

Stephin Merritt liebt Herausforderungen, die er sich selbst sucht. Er hat zum Beispiel ein Album für seine Band The Magnetic Fields geschrieben, auf dem jeder Song mit dem Buchstaben »i« begann. Seine Memoiren erschienen nicht in Buchform, sondern als Platte, »50 Song Memoir«, die ein Lied für jedes Jahr seines ­Lebens enthielt. Und dann wäre da noch »69 Love Songs«, ein Album, auf dem sich laut Merritt allerdings nicht unbedingt 69 Liebeslieder ­befinden, sondern vielmehr 69 Lieder über Liebeslieder. Auch das neue ­Album seiner bekanntesten Band The Magnetic Fields verrät bereits im Titel, was für eine Regel sich der Songwriter dieses Mal auferlegt hat. Der längste Song auf »Quickies« ­dauert zwei Minuten und 35 Sekunden, der kürzeste 17 Sekunden, die meisten bleiben knapp unter zwei Minuten. So stark an »69 Love Songs« von 1999 wie »Quickies« erinnert kein anderes der Folgealben der Band. Streckenweise wirkt »Quickies« mit all seinen kauzigen Charakteren, die nicht allein von Merritts Stimme, sondern auch von denen seiner langjährigen Mitstreiterinnen Shirley Simms und Claudia Gonson zum Leben erweckt werden, wie eine Sammlung von Outtakes aus »69 Love Songs«, dem wohl bislang besten Album der Band.

Es klingt ironisch: »Quickies« dauert insgesamt zu lange.

Der Vergleich läuft natürlich Gefahr, »Quickies« Erwartungen aufzubürden, die es unmöglich erfüllen kann. Schließlich gibt es zwei Arten von Merritt-Konzeptalben: die einen, deren Konzept auf dem gewählten Genre und/oder der Songthematik aufbaut, und die anderen, bei denen den Songs selbst formale Beschränkungen auferlegt werden, die aber keine thematischen oder stilistischen Begrenzungen verlangen. »69 Love Songs« fällt in die erste Kategorie. Sein Konzept führt zu einem Songzyklus, der die verschiedenen Facetten der popkulturellen Aufarbeitung von Romantik genauso einfängt wie deren emotionale Essenz. Im Vergleich ist »Quickies« eher eine Fingerübung der zweiten Kategorie, die viele geistreiche Einfälle zutage fördert, aber auch ein paar banale, die oftmals dann entstehen, wenn sich Merritt von der gewünschten Kürze des Liedes dazu hinreißen lässt, auf einen einzigen, oft schon im Songtitel ablesbaren Gag hinzuarbeiten und es dabei zu belassen. Deshalb lassen sich bei ­aller Kürze ein paar Längen vor allem im ersten Drittel der Spielzeit nicht leugnen. Es klingt ironisch: »Quickies« dauert insgesamt zu lange.

Nutzt er die zwei Minuten Spielzeit eines Liedes hingegen, um genauer hinzusehen, findet Merritt zur tragischen Komik, die viele seiner witzigsten Stücke gleichzeitig zu seinen traurigsten macht – und um­gekehrt. Im Song »When She Plays the Toy Piano« wird eine gutmütige Person beschrieben, die andere mit ihrer Musik glücklich macht und von ihnen doch als gescheiterte Existenz wahrgenommen wird. Die im Outro gestellte Frage »Will we ever dance again?« bekommt durch die Covid-19-Pandemie einen unbeabsichtigte weitere Bedeutung. Das Highlight der Platte aber heißt »I’ve Got a Date with Jesus« und ist die Liebes­erklärung einer einsamen Frau an Jesus Christus, die die Tragik ihrer ­Religiosität als Liebesersatz humorvoll verpackt, ohne ihre Einsamkeit auch nur im mindesten der Lächerlichkeit preiszugeben. »He’s a 30-something single man and I’m on fire tonight«, singt Shirley Simms und es klingt wie der traurigste Witz der Welt.

The Magnetic Fields: Quickies (Nonesuch Records)