Die deutschen Hochschulen kehren noch nicht zum Normalbetrieb zurück

Die Nothilfe hilft nicht

An den deutschen Hochschulen wird der Online-Betrieb zur Routine. Studierende stehen in der Pandemie weiterhin vor erheblichen logistischen und finanziellen Problemen.

»Sommersemester 2020 weiter als Online-Semester durchführen« – zu diesem Schluss kam die Hochschulrektorenkonferenz am 7. Mai. Vor gut einem Monat lief an den meisten Hochschulen der Lehrbetrieb wieder an – allerdings lediglich online. Anfänglich hofften einige Hochschulleitungen noch, den Präsenzbetrieb ab Mitte des Semesters wiederaufnehmen zu können (Jungle World 17/2020). Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass das nicht möglich sein wird. Zudem haben viele Hochschulen den Beginn des Wintersemesters in den November verschoben.

Mittlerweile ist eine gewisse Routine eingekehrt, das Lehrpersonal und die Studierenden haben sich an die neue Situation gewöhnt: Vorlesungen werden teils aufgezeichnet, Seminare und Sprechstunden in Form von Videokon­ferenzen abgehalten. Diese Lösungen bringen aber häufig neue Probleme mit sich. So sagte Leonie Ackermann, Vorstandsmitglied des Freien Zusammenschlusses von Studentinnenschaften (FZS), kürzlich der Zeit, an manchen Hochschulen wie etwa der TU München werde geprüft, Software zur virtuellen Klausuraufsicht einzusetzen, was aus datenschutzrechtlicher Sicht ein großes Problem sei. Ihre Vorstandskollegin Amanda Steinmaus kritisiert zudem den Umgang mit Videokonferenzdiensten. Hochschulen hätten ­Panikkäufe für Lizenzen des Anbieters Zoom getätigt, anstatt Open-Source-Angebote zu nutzen.

Abgabefristen für schriftliche Arbeiten sind an einigen Hochschulen ausgesetzt. An anderen bestehen sie weiter. Die Universität Bamberg legte in einer eigens verabschiedeten »Corona-Satzung« fest, dass die Studentinnen und Studenten mehrere kleine Studienleistungen wie Zusammenfassungen oder Begriffsdefinitionen erbringen müssen – zusätzlich zu den ohnehin nötigen Leistungen. Schwierig ist die derzeitige Situation für diejenigen, die nicht ohne weiteres von zu Hause aus arbeiten können. Eine stabile Internetverbindung hat nicht jeder, einen ungestörten Arbeitsplatz im eigenen Heim auch nicht.

Studierendenverbände kritisieren Anja Karliczeks Programm scharf und fordern den Rücktritt der CDU-Bundesbildungsministerin.

Viele Studentinnen und Studenten haben zudem ihr Einkommen verloren. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stellte deshalb am 30. April ein Kreditprogramm vor. Bei der staatl­ichen Förderbank KfW können Studierende seit dem 8. Mai ein zinsfreies Darlehen in einer Höhe bis zu 650 Euro im Monat beantragen. Dieses Angebot richtet sich an diejenigen, die keine Unterstützung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) erhalten. Zinsfrei sind die Darlehen aber nur bis Ende März nächsten Jahres. Sie unterscheiden sich also kaum von den bereits seit 2006 existierenden KfW-Krediten.

Studierendenverbände kritisieren Karliczeks Programm scharf. »Eine Darlehenslösung ist gleichbedeutend mit Studienabbrüchen. Gerade Menschen aus nichtakademischen Elternhäusern und internationale Studierende werden eher ihr Studium abbrechen, als sich zu überschulden«, sagte Steinmaus in einer Pressemitteilung. Studentische Organisationen fordern den Rücktritt der Bundesbildungsministerin. »Karliczek betreibt organisierte Verantwortungslosigkeit. Sie agiert beratungsresistent, ignorant und selbstgefällig«, sagte Sabrina Arneth, die Sprecherin des Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Ministerin habe versucht, die Beteiligung von Interessenvertretungen zu umgehen, und gestehe ihre Fehler bei der im Spätsommer 2019 erfolgten Bafög-Reform nicht ein.

Karliczek hat zudem einen Nothilfefonds eingerichtet: Das Deutsche ­Studentenwerk soll mit 100 Millionen Euro die Nothilfefonds der lokalen ­Studierendenwerke unterstützen. Wie das Geld den Studierenden ausge­zahlt werden soll, wird derzeit noch verhandelt. Doch die Summe erscheint vielen ohnehin als viel zu gering. In einem offenen Brief forderten Studierendengruppen und -verbände in der vergangenen Woche ein »Bund-Länder-Programm zur Aufstockung der Zuschüsse an die Studierendenwerke auf mindestens 900 Millionen Euro«. Der Betrag ergibt sich aus den überschüssigen, nicht für Studierende abgerufenen Bafög-Mitteln von 2019, die sich der Süddeutschen Zeitung zufolge auf 917 Millionen Euro belaufen. »Das ist Geld, das für die Studierenden vorgesehen war. Eine Verwendung dieser Mittel würde sich für eine zielgerechte und faire Zuschusslösung hervorragend eignen. Dass es lediglich 100 Millionen Euro von einer knappen Milliarde in den Topf geschafft haben, ist aus unserer Sicht eine magere Bilanz«, heißt es in dem Brief.